§ 38. Die Zölle. 851
#l38. Die Zölle.
Die wirthschaftliche Einheit des Deutschen Reiches, soweit sie überhaupt besteht,
war im Wesentlichen schon lange vor dessen Errichtung vorhanden. Sie wurde
durch die Zollvereinigungsverträge, beziehungsweise die zu diesen ergangenen Anschluß-
verträge geschaffen 2. Obgleich das Verhältniß unter den Mitgliedern des Deutschen
Zoll= und Handelsvereins rechtlich nur ein vertragsmäßiges und ein kündbares
war, so bestand doch thatsächlich, außer für Preußen, für keinen Vertragsgenossen
auch nur die entfernteste Möglichkeit, sich dem Zollverbande zu entziehen. That-
sächlich übte Preußen, gerade weil die Verträge kündbar gewesen find, durch Geltend-
machung der Kündigung eine geradezu absolute Herrschaft auss.
Das Zollvereinsverhältniß der zum Norddeutschen Bunde gehörigen Staaten
wurde durch die Verfassung dieses Bundes aus einem vertragsmäßigen ein ver-
fassungsmäßiges, aus einem kündbaren ein unkündbares, aus einem, äußerlich und
juristisch betrachtet, auf dem Grundsatze der Gleichberechtigung beruhendes ein
solches, in welchem Preußen bezüglich aller Gesetze, Verordnungen und Einrichtungen
das Recht des Veto gegen jede Aenderung und ferner das Recht der Controle
erhielt. Da es einerseits diese Rechte schon früher hatte — jeder Staat hatte ein
solches Veto und das Recht der Controle —, da es andererseits aber das Recht
verlor, durch Geltendmachung der Kündigungsklausel die übrigen Staaten nach
seinem Willen zu zwingen, so bedeutet die Umgestaltung des Zollvereinsrechts durch
die Verfassung eine große Concession Preußens an die Allgemeinheit.
Die Vereinigung der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde
erfolgte durch den Zollvereinigungsvertrag vom 8. Juli 1867 (B.-G.-Bl. 1867, S. 81)“,
nebst Schlußprotokoll vom gleichen Tage (B.-G.-Bl. 1867, S. 107), zunächst nur
vertragsmäßig, nur auf Zeit (zunächst 12 Jahre) und nur kündbar.
Durch die Errichtung des Deutschen Reiches ist auch die Vereinigung mit den
süddeutschen Staaten eine verfassungsmäßige und unkündbare geworden.
Die Reichsverfassung bestimmt nun in ihrem Art. 33 die Zoll= und Handels-
einheit des Deutschen Reiches, mit dem Hinzufügen, daß das deutsche Gebiet um-
geben von gemeinschaftlicher Zollgrenze, also ein gegen das Ausland selbstständiges
und abgeschlossenes Gebiet sein soll. Zu dem Gebiete des Deutschen Reiches ist
seit dem Gesetze vom 17. Juli 1871 (R.-G.-Bl. 1871, S. 325) auch Elsaß-
Lothringen getreten. Zu diesem Gebiete gehören nicht die Kolonien und
Schutzgebiete des Deutschen Reiches, auch nicht der Meeressaum bis zur Entfernung
von drei Seemeilen, welcher sonst zum Staatsgebiet gehört 5, noch unbedingt die
sog. Küstengewässer". Vielmehr gilt folgende Sondervorschrift in § 16 des Vereins-
zollgesetzes vom 1. Juli 1869 (B.-G.-Bl. 1869, S. 317): „Die Landesgrenzen
gegen das Vereinsausland bilden die Zollgrenze oder Zolllinie Wo das
Vereinsgebiet durch das Meer begrenzt wird, bildet die jedesmalige den Wasserspiegel
begrenzende Linie des Landes die Zolllinies. Das Gleiche gilt, wo das Vereins-
gebiet an andere Gewässer grenzt, sofern deren Stand von Ebbe und Fluth?
abhängig ist .... Zum Zollgebiet gehört bis auf Weiteres nicht die Insel
1 Literatur: Friedrich List, System * Siehe oben S. 13.
der nationalen Oekonomie, Nebenius, Der 2 Siehe oben S. 16.
Deutsche Zollverein, sein System und seine Zu- 4 Siehe oben S. 33.
kunft, 1835, Aegidi, Aus der Vorzeit des 5 Siehe oben S. 71.
Follporlaments (1865), Roscher, Zur Grün- * Vgl. v. Liszt, Völkerrecht, S. 52 f.
ungsgeschichte des Deutschen Zollvereins, 1870, 7 Die Ausnahmen sfiehe weiter unten.
v. Treitschke, in den Preuß. Jahrbüchern §8 Künstliche, in das Wasser hinausreichende
1872 u. 1873, L. Kühne, Ueber den Deutschen Anlagen (Molen, Dämme u. s. w.) gelten als
Zollverein, Berlin 1836, Roscher, Geschichte festes Land (Bundesrathsbeschluß vom 23. Dez.
der Nationalökonomie, Weber, Der Deutsche 1869, Preuß. Abgaben-Centralbl. 1870, S. 8,
Zollverein, 2. Aufl., 1872; das oft citirte Werk) Nr. 2).
don Sastenb-g- Pacssn Die Geschichte des * Bei Ueberschwemmungen ist die gewöhnliche
ollvereins, 1869, ist vollständig aus älteren Fluthlinie als Zollgrenze zu betrachten; s. den
erken, Dieterici u. A., abgeschrieben. in Anm. 8 angezogenen Bundesrathsbeschluß.