Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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mehrere zur Erzielung einer größeren Wirkung 
vereinigte Arbeitskräfte zu gleicher Zeit dasselbe 
tun, teils so, daß sie bei Teilung der erforderlichen 
verschiedenen Verrichtungen einem Gesamtzweck 
dienen. Diese Organisation der Arbeitskräfte ist 
im allgemeinen nur durch eine gleichzeitige Kapi- 
talsvereinigung durchführbar. Die Vorteile dieser 
Vereinigung von Arbeitskräften und Kapital sind 
sehr groß, allerdings auch die privat= und volks- 
wirtschaftlichen Nachteile, wenn die Konzentration 
gewisse Grenzen überschreitet. 
4. Geschichtliches. Die vorchristliche 
Zeit zeigt uns eine im ganzen steigende Scheu vor 
der Arbeit, eine zunehmende Verachtung derselben. 
Man muß die Anfangzzeit der da nacheinander 
auftretenden Völker von der späteren Entfaltung 
unterscheiden. Die Stellung der Arbeit ist im 
Anfang der Geschichte der einzelnen Völker weniger 
ungünstig als im Verlauf derselben. Jedes spätere 
Volk langt bei um so ärgerer Sklaverei an. Die 
Griechen staunen über die milde Behandlung der 
Sklaven im Orient, in Indien. Die griechischen 
Zustände hinwieder sind der römischen Sklaverei 
vorzuziehen. Dort die Kleinheit der Staaten, hier 
die sortwährende Eroberung, die zunehmenden 
Siege über die Barbaren bieten wohl den haupt- 
sächlichsten Erklärungsgrund hierfür. Für das 
Verständnis der Stellung der Arbeit im römischen 
Recht ist zu beachten, daß dasselbe einem spezi- 
fischen Sklavenstaat entstammt, wie es einen 
solchen in dieser Weise weder vor= noch nachher 
gab. Unter solchen Umständen ist es erklärlich, 
daß nur weise, vorsichtige und kluge Verwertung 
jener großartigen und wichtigen Rechtsbildung 
ein sonst für die Stellung der Arbeit ungünstiges 
Resultat verhüten kann. Diechristliche Lehre 
erneuerte der gesunkenen Menschheit die richtige 
Ansicht von der Arbeit als trauriger Folge des 
Sündenfalls, aber auch als eines trostreichen 
Mittels sittlicher Besserung durch Erfüllung des 
göttlichen Befehls: „Sechs Tage sollst du arbeiten 
usw.“ Den so geehrten Müßiggang des Hei- 
dentums, die Sünde der Trägheit, verurteilt der 
Apostel mit den Worten: „Wer nicht arbeiten 
will, der soll auch nicht essen“ (2 Thess. 3, 10). 
Von da an läßt sich eine Hebung der Arbeit in 
dem Maß beobachten, in welchem die christliche 
Lehre auf die Gesellschaft Einfluß gewinnt. Die 
Bande der Sklaverei und des Wuchers (usura) 
fielen von selbst, je mehr christlicher Glaube und 
Sitte das Leben der Völker durchdrang. In diesem 
Zeichen entstanden Institute, welche die Ehre der 
Arbeit garantierten, die sittliche Pflicht, durch Ar- 
beit Gott zu dienen, auch zu einer Rechtspflicht 
verdichteten und zugunsten der Arbeit den ar- 
beitslosen Gewinn eindämmten (Zinsverbote). 
Nur eine scheinbare Ausnahme hiervon macht die 
im 15. Jahrh. erfolgte Anerkennung des Renten- 
kaufs. Seine wichtigste Funktion war ja lange 
Zeit, Stiftungen zu fundieren und das Zustande- 
kommen gerade der wichtigsten, der gemeinnützigen 
Arbeit. 
  
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Arbeiten zu fördern. Über das ganze damalige 
Rechtsgebiet zieht sich der Grundsatz, daß Arbeit 
es ist, welche allein oder in Verbindung mit der 
vom Schöpfer dargebotenen Naturkraft die Güter 
erzeugt (Endemann). Die ganze Gesellschaft war 
nach der Art der Arbeit gegliedert. War auch der 
unmittelbare Dienst Gottes selbstverständlich der 
Hauptzweck des führenden geistlichen Standes, so 
fehlte es doch nicht an günstigem Einfluß auf die 
materielle Arbeit. Bekannt ist, wie sehr die Klöster 
auf Arbeit, besonders auf Ackerbau, gegründet 
waren. Als Arbeit des Adels war organisch mit 
seinem Besitz die Aufgabe des Justiz= und Finanz-, 
des Kriegs= und Verwaltungsdienstes verbunden. 
Der Zustand der bürgerlichen und ackerbauenden 
Klassen war eine lehrreiche Organisation der Arbeit, 
die sich in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit zu- 
gegebenermaßen eher verschlimmert als verbessert 
hat. Mit der Umgestaltung des Heerwesens und 
der Staatsverwaltung und demgemäß größeren 
Kostspieligkeit der öffentlichen Dienste (stehende 
Steuern) kam die größte Last auf die Masse der 
Staatseinwohner, auf Bürger und Bauern, zu 
liegen. Nach den Bauernkriegen, dem Dreißig- 
jährigen Krieg, durch die Verarmung des Adels 
wird die Lage des Bauernstands eine prekäre, seine 
Belastung groß und ungemessen. Während früher 
bei gesünderer Basis eine große Freiheit der ge- 
werblichen Arbeit herrschen konnte, beginnt jetzt 
erst, wo die keimende Kapitalwirtschaft der Neuzeit 
auch die Zünfte ergreift, deren wachsende Ver- 
knöcherung. Sie gestalten ihre Rechte zum Mono- 
pol, ihre Arbeit in Arbeitsbesitz. Zwar steht an 
der Spitze eines solchen Arbeitsbesitzes nur jemand, 
der selbst Arbeiter ist, und zwar der Klasse, zu 
der sein Arbeitsbesitz gehört. Allein die kräftige 
Arbeit allein genügt nicht mehr, sich Unabhängig- 
keit zu schaffen. Das Erfordernis wird ein zwei- 
faches, die Qualifikation auf der einen Seite, er- 
erbtes oder erheiratetes Vermögen auf der andern. 
Die Erhaltung der „bürgerlichen Nahrung“ ist 
Gegenstand komplizierter Maßregeln der Polizei. 
Die Obrigkeit fixiert die Zahl der in ihrem Bezirk 
mit Rücksicht auf gesicherten Nahrungsstand zu- 
lässigen Handwerker usw. Die damalige Staats- 
gestaltung (Polizeistaat) und die Unfähigkeit der 
produzierenden Stände zur alten Autonomie, zur 
Verwertung des aufkommenden Maschinenbetriebs 
in genossenschaftlicher Form, stehen in Wechsel- 
wirkung. Die schließlich unleidlich und unprak- 
tisch gewordene Regulierung der Arbeit von oben 
herab kommt seit der französischen Revolution zu 
Fall, wo endlich auch die Obrigkeit die Zügel aus 
den Händen verliert und die freie Konkurrenz der 
Privaten, jedoch unter ganz andern Grundbedin- 
gungen als ehedem, an die Stelle tritt. — Gar 
zu leicht wird vergessen, daß es rechtsgeschichtliche 
Phänomene sind, die wir vor uns haben, daß es 
Phasen des Arbeitsrechts sind, die hier skizziert 
wurden. Man kann es nicht oft genug wieder- 
holen: Nicht die technischen Veränderungen der
	        
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