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neueren Zeit zerstörten das alte Organisations-
prinzip. Es ist die durch Depravierung des Rechts-
bewußtseins entstandene Unfähigkeit der alten
deutschrechtlichen Organisation der Arbeit, sich der
technischen Anderung, Maschine und Großbetrieb,
gemäß zu erweitern. Es gliche dem Zorn des
Kindes, das den Tisch schlägt, an den es gestoßen,
wollte man für den Untergang des christlich-deut-
schen Arbeitsrechts die gemeinnützigen Erfindungen
verantwortlich machen. Eine ehrliche Rechtsge-
schichte wird, so hoffen wir, bezeugen, daß es andere
Gründe waren. Das Zurückdrängen des Einflusses
der arbeitehrenden kanonistischen Gesetze, das Er-
kalten des Kampfs gegen den arbeitslosen Gewinn,
das Herrschendwerden eines Rechtsbewußtseins,
welches das Eigentum in der egoistischen Schärfe
der Römer, ungemildert durch den christlichen
Arbeitsbeisatz, den Mitmenschen gegenüber zu be-
nutzen gestattete — wird mehr, als es bisher ge-
schehen, zur Erklärung des Verfalls der Ehre der
Arbeit beigezogen werden müssen. „Der Abfall
von den kanonistischen Grundsätzen verschuldete
den Ruin der arbeitenden Menschen, er schuf das
Proletariat der neueren Zeit“ (Janssen). Denken
wir uns beispielsweise, die gewerbliche Korpora-
tion hätte seinerzeit in alter elastischer Kraft jene
arbeitsparenden Vorrichtungen, die Maschinen,
in ihren (gemeinnützigen) Dienst genommen —
die moderne Kluft zwischen „Unternehmer“ und
Hilfsarbeiter, an der wir laborieren, wäre wahr-
scheinlich vermieden worden. Die allgemein ein-
gehaltenen christlichen Sonn= und Feiertage, die
Sitte der Feierabendglocke zu Ehren Unserer
Lieben Frau sicherten eine angemessene Erholung,
garantierten eine Art Normalarbeitstag. Die
Waffenfähigkeit, der Ehrbegriff, die politischen 19
Wahlrechte der alten Zünfte gewährten diesen die
gleiche ehrenvolle und einflußreiche Stellung, die
in der modernen Zeit viel zu ausschließlich auf
den Besitz, auf das Kapital als Führerin und
Leiterin aller Arbeit, ja auf das Leihkapital (Bank-
tum) als Führerin der Unternehmungen über-
gegangen ist. Der Stand des modernen Arbeiters
ist Lebensberuf, nicht mehr (was im Mittelalter
die Regel) nur Durchgangsstufe zu größerer Un-
abhängigkeit. Im Gegenteil, der moderne Ar-
beiter hat höchstens die Aussicht, es im Alter
noch schlechter zu bekommen. — Das antiprole-
tarische Geheimnis des deutschen Rechts bestand
darin, womöglich jedermann zur Arbeit zu ver-
pflichten, auf der einen Seite kein arbeitsloses,
unbelastetes Eigentum anzuerkennen, auf der an-
dern Seite jeden Arbeiter zu Arbeitsstoff und Ar-
beitsinstrument in gesicherte Beziehung zu setzen.
Mit der zunehmenden Ausscheidung des christ-
lichen Elements aus dem Rechtsleben, mit der
steigenden Anerkennung des Egoismus (wirtschaft-
liches Selbstinteresse) als hinreichender Triebfeder
des ökonomischen Prozesses verlor die alte heil-
same Mischung von Arbeit und Eigentum den
Halt. Auf der einen Seite ward das Eigentum
Arbeiterausschüsse.
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zu einer Summe ausschließlich von Befugnissen
ohne Pflichten gegen die Gesellschaft. Auf der
andern Seite sehen wir einen stets wachsenden
Bruchteil der Nation im Stand besitzloser Arbeit,
Arbeiter. Die vielgepriesene „Freiheit der Arbeit“,
d. h. die Befugnis eines jeden, zu arbeiten, was
ihm am besten dünkt, schützte nicht vor Ausbeutung
und Not. — Vgl. auch die Art. Lohn und Recht
auf Arbeit.
Literatur. Außer den nationalökonomischen
Schriften von Adam Smith, Rau, Hermann, Ro-
scher, Schäffle, A. Wagner, Schönberg, Schmoller:
Dunoyer, De la liberté du travail (3 Bde, Par.
21886); Marlo (Winkelblech), Untersuch, über die
Organisation der A. (4 Bde, :1884/86); Weiske,
Das deutsche Recht ein Schutz der A. (1849);
v. Thünen, Der naturgemäße A.lohn (1850);
Riehl, Die deutsche A. (8D1884); Roesler, Zur
Kritik der Lehre vom A.slohn (1868); Roßbach,
Gesch. der Gesellschaft (8 Bde, 1868/75); Weinhold,
Gesch, der A. I (1869); Baltzer, Das Buch von
der A. (1870); Stamm, Gesch. der A. (21871);
Thornton, On labour (Lond. 21870; deutsch von
H. Schramm, Die Arbeit, ihre unberechtigten An-
sprüche u. ihre berechtigten Forderungen (1870));
G. Jäger, Die menschliche A.skraft (1878); G
Adler, Das Wesen der A., in „Grundlagen der
Marxist. Kritik“ (1887); v. Buch, Intensität der
A. (1896); v. Schubert-Soldern, Der Begriff der
A. (Zeitschr. für die ges. Staatswissensch. 1896);
Bücher, A. u. Rhythmus (21902); ders., Die Ent-
stehung der Volkswirtschaft (51908); G. Diessel,
Die A. betrachtet im Licht des Glaubens (1891);
S. Weber, Evangelium u. A. (1898); A. Liesse,
DLe Travail aux points de vue scientifique, in-
dustriel et social (Par. 1899); Seipel, Die wirt-
schaftsethischen Lehren der Kirchenväter (1907);
U. Benigni, Storia Sociale della Chiesa I (Mail.
07). [Bruder, rev. Red.]
Arbeiterausschüsse. 1. Geschichtliche
Entwicklung und heutiger Bestand. Der
Arbeiterausschuß ist die Vertretung der Arbeiter
innerhalb ein und desselben gewerblichen Betriebs,
die entweder ganz oder doch zum größten Teil
aus freier Wahl der Arbeiter hervorgegangen ist
und deren Interessen in reger Fühlungnhhme mit
dem Unternehmer wahrnehmen soll. Der Gedanke,
die Arbeiter eines Betriebs in gewissem Grad an
dessen Verwaltung zu beteiligen, erhielt zum ersten-
mal in Deutschland eine klare Formulierung in
dem volkswirtschaftlichen Ausschuß des Frank-
furter Parlaments (1849). Die damals geplanten
Ausschüsse sollten durch Aufrechterhaltung der Ord-
nung im Innern, durch Vermittlung von Strei-
tigkeiten, durch Belebung des Interesses der Ar-
beiter an der Fabrikanstalt fördernd auf die In-
dustrie wirken, zugleich aber die Rechte der Arbeiter
wahrnehmen. Das Projekt kam aber nicht zur
Ausführung. Der erste Arbeiterausschuß wurde
gegründet 1861 in der mechanischen Weberei von
D. Peters u. Ko. in Neviges bei Elberfeld. In den
1870er und 1880er Jahren folgten L. Hutschen-
reuther zu Selb (Bayern), Fr. Brandts in M.=
Gladbach, die Marienhüttebei Kotzenau (Schlesien),