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tion der Bevölkerung in Fabrik, Wohnung und
Großstadt anderseits die Gefahren vermehrt, und
das Problem ist: Schutzwehren zu schaffen und
die gesprengten Ordnungen durch neue Organisa-
tionen zu ersetzen.
II. Die Elemente der Arbeiferfrage. Die
charakteristischen Erscheinungen, welche die moderne
industrielle Entwicklung kennzeichnen und gleichsam
die Elemente der Arbeiterfrage bilden, sind folgende:
1. Konzentration des Kapitals in
wenigen Händen, Trennungvon Ka-
pital und Arbeit. Die zunehmende Bedeu-
tung der Maschine und Arbeitsteilung gibt der
größeren, kapitalkräftigeren Unternehmung einen
natürlichen Vorsprung in der Konkurrenz, so daß
die kleineren selbständigen Unternehmungen im
Kampf der Konkurrenz unterliegen müssen. Das
Kapital spielt eine so entscheidende Rolle, daß die
individuelle Kapitalkraft kaum ausreicht und nicht
bloß durch umfassende Inanspruchnahme des Leih-
kapitals Verstärkung sucht, sondern vielfach Aktien-
gesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haf-
tung usw. an die Stelle der persönlichen, indivi-
duellen Unternehmungen treten. Das Kapital wird
immer mehr ein selbständiger Faktor, Intelligenz
und Arbeit werden dem Kapital dienstbar. Die
persönlichen Beziehungen zwischen Unternehmer
und Arbeiter, das Gefühl der Pflicht und Ver-
antwortung einerseits, der Anhänglichkeit und
Treue anderseits treten zurück, der Begriff des
„Dienst“-Verhältnisses wird abgelöst durch den
Begriff des „Arbeitsvertrags“, dessen Inhalt sich
auf den Austausch von Arbeitsleistung und Arbeits-
lohn beschränkt. Dieser Austausch vollzieht sich
nach den Gesetzen des Marktes — nach Angebot
und Nachfrage; der Arbeiter erachtet sich bei diesem
Vertrag als der schwächere, abhängige Teil fast
stets für benachteiligt, und so bildet sich ein Gegen-
satz aus zwischen Arbeitgebern und Arbeitern, der
anderseits wieder zu einer Verbindung der „Klasse"
führt. So tritt an Stelle der Solidarität der
Unternehmung die Solidarität der „Klasse“. Mit
der Verdrängung der kleineren Unternehmungen
Arbeiterfrage.
durch die größeren, mit der zunehmenden Kon-
zentration der Produktion und des Kapitals in
wenigen Händen steigt auch natürlich die Abhängig-
keit, der Klassengegensatz und der Klassenhaß die
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Eigentums- und Gesellschaftsordnung selbst auf-
lehnt und „die Expropriation der (kapitalistischen)
Expropriateurs durch die Gesellschaft“, d. i. durch
den Staat, verlangt (Sozialdemokratie). Und nicht
bloß mindert sich die Zahl der Unternehmungen,
vergrößern sie ihre Betriebe, sondern sie vereinigen
sich zu Kartellen, Syndikaten, Trusts, um
so mit verstärkter Macht alle, welche draußenstehen,
im Konkurrenzkampf zu vernichten und dann aus-
schließlich den gegebenen Absatzmarkt zu beherr-
schen. Richten sich diese Bestrebungen zunächst
auch gegen die Konsumenten, um diesen nach Be-
seitigung der Konkurrenz die Preise und sonstigen
Kaufbedingungen nach Belieben zu diktieren, so
werden sie doch bald auch den Arbeitern sich fühl-
bar machen. Es besteht die Gefahr, daß die Kar-
telle und Trusts wie die Preise, so auch bald die
Löhne und Arbeitsbedingungen zum guten Teil
nach ihrem Belieben bestimmen, so daß die Ar-
beiter doppelt getroffen sind, als Konsumenten
und als Arbeiter. So droht die Entwicklung,
daß Reichtum, Macht, Ehren und Genußmittel
in immer weniger Hände sich zusammendrängen,
während die Masse in bitterem Haß und Ver-
zweiflung sich zusammenschart und die Ketten des
Elends und unwürdiger Abhängigkeit zu durch-
brechen sucht. — Dieses Klassenbewußtsein wird
bestärkt durch die
2. Konzentration der Bevölkerung
in den Großstädten. Die Arbeitsteilung
und Massenproduktion erfordert einen erweiterten
Absatzmarkt; Handel und Verkehr bedingen des-
halb wesentlich die Entwicklung der Produktion.
Nun haben aber in dieser Beziehung die größeren
Städte einen bedeutenden Vorsprung. Anderseits
ist es leichter, inmitten der geschulten Arbeiterschaft,
der bestehenden Geschäftsbeziehungen und der ge-
schäftlichen. Tradition einer Großstadt bzw. eines
Industriezentrums eine neue Fabrik zu gründen,
als in der Kleinstadt oder auf dem platten Land,
wo alle diese Vorbedingungen erst geschaffen wer-
den müssen. Endlich sind es auch die gesellschaft-
lichen Annehmlichkeiten, welche Unternehmer und
Arbeiter gar leicht verlocken, der Großstadt den
Vorzug zu geben. So sehen wir denn unsere Groß-
städte und Industriezentren riesig anwachsen, die
dann den Herd eines unglücklichen Proletariats
Zahl der Unzufriedenen, welche diesen Haß schüren, und — der Sozialdemokratie bilden. Schon das
die Klasse zur solidarischen Gegenwehr organisieren. äußerliche Zusammenwohnen in den Vorstädten und
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licher Arbeit basierten produkliven Eigentums durch 1 und der gleichen Ohnmacht gegenüber den „Bour-
das arbeitslose Rentenkapital ist zugleich geeignet, geois“, aber auch ebenso das Bewußtsein der Macht
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ern, so daß nun das Eigentum an Produktions= Dazu kommen die Verführungen der dt,
mitteln selbst prinzipiell angezweifeit wird und welche die Leidenschaften, Genußsucht und Neid,
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Erringung einer würdigeren, selbständigeren Stel- leihen. Das Gegengewichtder i zisd Ziu
lung gegenüber den Arbeitgebern organisiert (Ge= fehlt vielfach, bietet nur schwache utzwehren.
werkschaften), sondern sich gegen die bestehende Die Fluktuation der Bevölkerung, welche, los-