11
und bei der Arbeit zu sehen. Sie begab sich an
Ort und Stelle, von Bezirk zu Bezirk und nahm
ihre Verhöre und Augenscheine an dem am ge-
eignetsten erscheinenden Orte des Bezirkes vor, wie
es in etwas veränderter Weise bei der Enquete
über die Trade-Unions im Jahr 1867 und
den folgenden Jahren der Fall gewesen war, wo
in London die Zentralkommission selbst die Ver-
höre vornahm, während dies in den übrigen Teilen
des Landes durch Subkommissionen geschah. Man
pflegt eben in England auf die Erhebung der Zu-
stände bestimmter, oft, ja in der Regel nur kleiner
Teile des sozialen Organismus viele Zeit zu ver-
wenden und der Kommission gänzliche Freiheit bei
der Durchführung ihrer Aufgabe zu lassen, so daß
dieselbe an keinen Fragebogen gebunden ist. Jeden-
falls aber gehen die englischen Enqueten in sehr
sorgfältiger Weise vor sich.
In Frankreich fandendie ersten Enqueten (über
die Eisen= und über die Zuckerfrage) im Jahr 1828
statt. Von 1834 an, wo eine solche über die Not-
wendigkeit von Prohibitivzöllen für gewisse Gegen-
stände veranstaltet wurde, bildete sich dann ein
Typus des Verfahrens aus, der in der Regel zur
Anwendung kam, wenn auch das mündliche Ver-
fahren, das bei diesen Erhebungen in den Hinter-
grund getreten war, später wieder einen größeren
Spielraum erhielt: es wurden nämlich meist Mit-
glieder des Conseil supérieur du commerce,
de ’agriculture et de l’industrie oder des
Staatsrats mit der Vornahme der Enqueten be-
traut, indem die Kommissionen aus solchen ge-
bildet wurden, sei es nun daß diese Körperschaften
mit Genehmigung der Regierung zu den En-
queten schritten, sei es daß die Regierung aus
eigener Initiative solche vornahm und Kommis-
sionen aus dem Schoße derselben zu deren Leitung
ernannte. So gingen vom Conseil supérieuretc.
aus und hat derselbe vorgenommen die sehr wich-
tigen Enqueten sur le regime des sucres in den
Jahren 1863 und 1872, sur la marine mar-
chande in den Jahren 1863/65 und die sur les
Principes et les faits généraux qui régissent
la circulation monétaire et fiduciaire in den
Jahren 1867/69. Vom Staatsrat hingegen
wurden unter anderem geleitet die Enqueten sur
la revision de la lgislation des Céréales im
Jahr 1859, sur le service des enfants assistés
im Jahr 1860 und die sur la 16gislation rela-
tive au taux de T’intéret de largent im Jahr
1864. In andern Fällen dagegen hat, und zwar
unter der dritten und schon unter der zweiten Re-
publik, die gesetzgebende Versammlung Enqueten
veranstaltet und durch aus ihrem Schoß erwählte
Kommissionen geleitet. So wurde im Jahr 1849
eine Kommission von 15 Mitgliedern zur Vor-
nahme der Erhebungen über die Salzproduktion
und -konsumtion erwählt. Auch die Enqueten
über die Lage der arbeitenden Klassen in den
Jahren 1872 und 1884 waren solche parlamen-
tarische Enqueten.
Enquete.
12
Der Vorgang bei den französischen Enqueten
ist folgender: Zunächst wird von der Kommission
ein Fragebogen verfaßt, der alle einschlägigen
Fragen umfaßt. Derselbe wird den zu befragen-
den Personen und Körperschaften zugemittelt, und
die Kommission hat alsdann die schriftlichen Ant-
worten einzusammeln bzw. die mündlichen Ver-
höre vorzunehmen. Beide Arten der Information
werden nämlich stets nebeneinander angewendet.
Es hat ja auch die schriftliche Einvernehmung,
wegen der Kompetenz der befragten Organe, ihre
große Bedeutung und verringert die Folgen des
Übelstands, daß viele Personen sich nicht an den
Ort der mündlichen Verhöre begeben, der freilich
weit besser dadurch vermieden wird, daß sich die
Kommission von Ort zu Ort verfügt, um die-
selben vorzunehmen, wie dies bei einigen Er-
hebungen geschah, z. B. bei der großartigen land-
wirtschaftlichen Enquete des Jahres 1866. Man
teilte bei derselben Frankreich in 28 Kreise, in
denen Kommissionen von 10/12 Personen die
Erhebungen vornahmen. Über diesen Kommis-
sionen stand die leitende Kommission in Paris,
die das Material verarbeitete und auch selbst
mündliche Verhöre abhielt. Die Resultate dieser
Enquete, bei der 10 000 Personen befragt wurden,
und bei der die Kreiskommissionen, welche die
mündlichen Aussagen wie die schriftlichen Berichte
entgegennahmen, an 270 Orten tagten, erschienen
seit 1867 in 35 Bänden. Im übrigen ist über
die französischen Enqueten noch zu bemerken, daß
die Kommission die zu vernehmenden Personen in
der Regel ganz selbständig und in beliebiger Zahl
bezeichnet, und daß sowohl die bei den betreffen-
den Fragen am meisten Beteiligten hinzugezogen
als die durch ihre Einsicht zum Urteil Berufensten
befragt werden. Bei der Befragung wird der
Fragebogen nicht streng eingehalten, sondern die
Betreffenden sagen nach ihrem Belieben nur über
das aus, worüber sie besonders unterrichtet oder
woran sie vorzugsweise beteiligt sind. Die Aus-
sagen werden in der Regel stenographiert und im
Druck von zusammenfassenden Berichten, dem Re-
sultat der Kommissionsberatungen, begleitet, die
Muster von eleganter Klarheit sind und (wenn
auch nicht immer ausführlich genug) orientieren,
ohne natürlich das Lesen der Protokolle ersetzen
zu wollen. So ist denn auch das französische En-
quetewesen, auf langjähriger Entwicklung be-
ruhend, in der Hauptsache zweckentsprechend ge-
ordnet und wie das englische wohl geeignet, über
die Bedingungen einer erfolgreichen Organisation
desselben in den verschiedenen Staaten Aufschluß
zu erteilen.
In Deutschland hatsich diese Organisation
vielfach in Übereinstimmung mit den eben be-
sprochenen Einrichtungen von England und Frank-
reich gestaltet. Der stark entwickelten bureaukrati-
schen Gestaltung der öffentlichen Verhältnisse in
Deutschland hat das daselbst bei weitem später zur
Ausbildung gelangte Institut der Erhebungen in