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Zugleich sank das Ansehen des Königtums, dem
ein Mann wie Ludwig XV. allen Nimbus raubte,
immer tiefer; die Schuldenlast wuchs ins Un-
geheure. Der dritte Stand trug drückende Auf-
lagen und war in seiner wirtschaftlichen Entwick-
lung durch veraltete Einrichtungen gehemmt, wäh-
rend Adel und Klerus, obwohl im Besitz von zwei
Dritteln des Landes und der bedeutendsten Vor-
rechte, beinahe steuerfrei waren. In Wissenschaft
und Literatur machte sich der frivolste Unglaube
immer breiter, und die Kritik am Staate wurde
immer härter und revolutionärer.
3. Revolution understes Kaiserreich.
Unter Ludwig XVI. (1774/92) erzwang die
steigende Finanznot die Eröffnung der Etats
généraux, 5. Mai 1789. Am 17. Juni kon-
stituierte sich der dritte Stand als Nationalver-
sammlung und eröffnete damit die Revolution.
Privilegien, Zünfte, Adel wurden abgeschafft, die
Kirchengüter eingezogen, in der neuen Verfassung
dem König nur noch ein suspensives Veto gelassen.
Die Gesetzgebende Versammlung (seit 1. Okt.
1791) erzwang die Kriegserklärung gegen OÖster-
reich und Preußen (denen sich England, Holland
und Spanien anschlossen), suspendierte das König-
tum und setzte den König gefangen. Die eigent-
lichen Herrscher waren jetzt bereits die radikalen
Klubs (Cordeliers und Jakobiner) und der Pöbel
der Pariser Vorstädte. Der Nationalkonvent be-
schloß am Tage des Zusammentritts, 21. Sept.
1792, die Proklamierung der Republik und
den Prozeß gegen Ludwig XVI., der am 21. Jan.
1793 hingerichtet wurde. In der allgemeinen Um-
wälzung der Gesellschaft, den Kriegen gegen halb
Europa und den Aufständen in der Vendtke und
Südfrankreich hielt sich die Regierung zuletzt nur
noch durch eine mörderische Schreckensherrschaft.
Mit Robespierres Sturz, 27. Juli 1794, war der
Höhepunkt überschritten. Eine gemäßigtere Ver-
fassung übertrug am 27. Okt. 1795 die gesetz-
gebende Gewalt zwei Kammern (dem Rat der
250 Alten und dem Rat der 500), die vollziehende
einem fünfköpfigen Direktorium, und schließlich
endete die Revolution wie so oft mit der Militär-
diktatur. Das Direktorium, das sich während des
ersten Koalitionskrieges nur durch Bonapartes
Siege erhielt, wurde während des zweiten durch
ihn gestürzt (9. Nov. 1799). Die neue (fünfte)
Konstitution übertrug Bonaparte als Erstem
Konsul auf zehn Jahre monarchische Gewalt,
die durch die beiden Nebenkonsuln, Senat, Tri-
bunat und Gesetzgebenden Körper unter dem Schein
der Republik verhüllt wurde, bis sie im Konsulat
auf Lebenszeit (2. Aug. 1802) und der Errich-
tung des Kaisertums (Plebiszit Sommer
1804) offen zutage trat.
Die Nation sehnte sich nach Ruhe und Ord-
nung, und dafür sorgte Napoleon I. gründlich.
Die Auswüchse der Revolution wurden beseitigt,
während er ihre Errungenschaften, die Beseitigung
aller historischen Rechte, die Zentralisation der
Frankreich.
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Verwaltung, für die Einrichtung der absoluten
Monarchie verwendete. Mit der Kirche wurde durch
das Konkordat vom 15. Juli 1801 Friede ge-
schlossen, Unterrichts= und namentlich Rechtswesen
(Code Napoléon) auf modernen Grundlagen voll-
ständig neu aufgebaut, dem Talent durch Beseiti-
gung der Standesvorurteile und dem Erwerbs-
trieb durch wirtschaftliche Reformen und die Erfolge
der Politik freie Bahn geschaffen. Und vollends
ausgesöhnt wurde die Nation mit der unum-
schränkten Selbstherrschaft durch den Glanz und
den Kriegsruhm des Kaisertums, das die Supre-
matie in Europa ausübte und fast jährlich die
Grenzen zugunsten Frankreichs oder seiner Va-
sallen änderte. Und doch fehlte es auch diesem
glänzenden Bilde nicht an Schattenseiten. Die
französische Seemacht war seit der Niederlage beie
Trafalgar vernichtet; auf den Handel drückte die
Kontinentalsperre, und der schrankenlose Despo-
tismus, die fortwährenden Kriege, die unaufhör-
lichen Aushebungen, die brutale Behandlung des
Papstes erweckten im Volke wachsende Unzufrieden-
heit. Als sein Kriegsglück aufhörte, war es mit
ihm vorbei. Die Bourbons kehrten zurück (3. Mai
1814), und mit Rücksicht auf sie wurden Frank-
reich im ersten Pariser Frieden (30. Mai) die
Grenzen von 1792 gelassen und von England
fast alle Kolonien zurückgegeben.
4. Restauration, Julimonarchie, zwei-
tes Kaisertum (1814/70). Ludwig XVIII.
(1814/24) suchte die Furcht vor der Reaktion
durch den Erlaß einer konstitutionellen Verfassung
(„Charte“, 4. Juni 1814) zu zerstreuen, die das
Gesetzgebungs= und Budgetrecht zweier Kammern
(die Pairs vom König ernannt, die Wählbarkeit
als Deputierter an eine Steuerleistung von
1000 FFF. geknüpft), die Gleichheit aller vor dem
Gesetze, Religions= und Preßfreiheit gewährleistete.
Die zurückgekehrten Emigranten hätten am liebsten
alles von der Revolution Geschaffene beseitigt und
den alten Privilegienstaat wieder eingeführt, und
bald klagte man über Nichterfüllung der Verfas-
sung. Besonders unbeliebt waren die Bourbonen
im Heer. Diese Stimmung benutzte Napoleon zur
Rückkehr nach Frankreich. Die Alliierten machten
der Episode der „Hundert Tage“ bald ein Ende,
und im zweiten Pariser Frieden, 20. Nov. 1815,
wurde Frankreich auf die Grenzen von 1790 ein-
geschränkt und zur Herausgabe der geraubten
Kunstschätze und Zahlung von 700 Millionen frs.
Kriegskosten verpflichtet. — Ludwig XVIII. und
seine Minister, vor allem Richelien, hatten ge-
mäßigte Anschauungen und übten eine weise Po-
litik zur Versöhnung der alten und neuen Zeit.
Aber eine solche wollten weder die extremen Roya-
listen („Ultras") noch die Radikalen. Verhängnis-
voll wurde die Ermordung des Herzogs von Berry,
auf dem die Zukunft des Königshauses beruhte,
durch einen fanatischen Republikaner (1820), da
sie die Herrschaft der Reaktion vollendete. Immer-
hin hatte Ludwig dem Lande wenigstens eine leid-