Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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tärischen Dienstzeit auf zwei Jahre zugut (1904). 
Zwar wurde am 13. Juli das Gesetz über den 
wöchentlichen Ruhetag in Kraft gesetzt; doch er- 
folgte eine große Zahl von Ausnahmen. 
In der auswärtigen Politik bahnte sich nach 
starker Entfremdung wegen afrikanischer Ent- 
täuschungen in der Ara Delcassé die Entente mit 
England an, der die Thronbesteigung des fran- 
zosenfreundlichen Königs Eduard und dann die 
Neigungen des Ministerpräsidenten Clémenceau 
großen Vorschub leisteten. Man einigte sich wegen 
Afrikas, gab England in Agypten freie Hand und 
glaubte nur Englands Zustimmung zu bedürfen, 
um der Durchführung der eigenen Pläne in Ma- 
rokko sicher zu sein. Der entschiedene Einspruch 
Deutschlands führte zum Falle Delcassés und zur 
Konferenz von Algeciras (1905). Die hierdurch 
beschnittenen französischen Hoffnungen lebten neu 
auf, als Frankreich 1907 infolge von Mordtaten 
an Europäern in Casablanca die ihm gegen die 
Akte von Algeciras zugewiesene zeitlich und örtlich 
beschränkte polizeiliche Aktion in Casablanca zu 
einer großen militärischen Expedition ausgestal- 
tete, welche vollendete Okkupationstatsachen schaffen 
zu sollen schien. Im Osten Marokkos betrieb 
Frankreich schon seit 1902 (Besetzung von Figig) 
eine starke Expansionspolitik von Algerien her. 
Das Verhältnis zu Deutschland blieb leidlich, da 
dieses die Vorgänge in Marokko grundsätzlich im 
Lichte der amtlichen französischen Erklärungen sehen 
wollte; um so mehr zeigte man sich in Paris 
empfindlich, wenn Deutschland gelegentlich in 
kün Zusammenhange Anläufe zu eigener Politik 
machte. 
II. Flächenraum und Pevölklerung. Frank- 
reich umfaßt nach der planimetrischen Berechnung 
des Kriegsministeriums einen Flächeninhalt von 
536 464, nach dem Kataster 528 876 qkm mit 
einer Einwohnerzahl (Zählung von 1906) von 
39252.267 (an fünfter Stelle unter den Staaten 
Europas). Die Zunahme gegenüber 1901 be- 
trägt nur 290 322 Einwohner und kommt größten- 
teils (223.072) den Städten mit mehr als 30 000 
Einwohnern zugute. 55 Departements weisen 
gegenüber 1901 einen Rückgang der Bevölke- 
rung auf. 
Ülber die Zusammensetzung der Bevölkerung nach 
Altersklassen, das Wachstum der Einwohnerzahl, 
über Eheschließungen, Rückgang der Geburten- 
ziffern, Sterblichkeit und Wanderbewegung vgl. 
Art. Bevölkerung (Bd I. Sp. 8483/857); es bleibt 
nur übrig, hier einige Ergänzungen zu geben. 
1907 betrug die Zahl der Geburten 810 729 
(darunter 36 760 Totgeborene), der Todesfälle 
798889, der Eheschließungen (314 908), der Ehe- 
scheidungen 10 938 (1900: 7156); die Lebend- 
geburten blieben demnach um 19 920 hinter den 
Todesfällen zurück. Die ländliche Bevölkerung sank 
von 26 753 743 im Jahr 1846 auf 23004 755 
im Jahr 1906, die städtische stieg von 8646743 
auf 15 957 190. Die Volksdichte (1906: 73,8 
Frankreich. 
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Einwohner auf 1 qkm, 1846: 71,8) ist am 
größten, abgesehen vom Seinedepartement (8018), 
im Norden (Departement Nord 328, Pas-de- 
Calais 150, Seine-Inférieure 136, Seine-et- 
Oise 133, Finistere 113), in den Departements 
Rhöne (304), Bouches-du-Rhöne (146) und Loire 
(134), am geringsten in den Alpen (Departement 
Basses-Alpes 16, Hautes-Alpes 19, Savoie 41), 
im Pyrenäenvorland (Landes 31, Gers 37), in 
der Auvergne (Lozere 25, Cantal 40) und auf 
Korsika (33). Von den 36 222 Gemeinden zählten 
(1906) 18714 unter 500 Einwohner, 14 781 
von 501 bis 2000, 1295 von 2001 bis 8000, 
520 von 3001 bis 4000, 269 von 4001 bis 
5000, 361 von 5001 bis 10000, 153 von 100001 
bis 20 000, 129 über 20 000 Einwohner. Groß- 
städte (über 100 000 Einwohner) besitzt Frank- 
reich nur 15 (Deutschland 40); die größten sind 
Paris (2763393), Marseille (517 498), Lyon 
(472 114), Bordeaux (251 917) und Lille 
(205 602). 
Nach der ethnographischen Zusammensetzung ist 
die Bevölkerung Frankreichs, von den Fremden 
abgesehen, ziemlich einheitlich; die Franzosen, die 
Nachkommen der Gallier, deren keltisches Blut 
stark mit römischem, germanischem und iberischem 
durchsetzt ist, machen mit den zugehörigen Wallonen 
(an den Grenzstrichen gegen Belgien) an 95% 
der eingebornen Bevölkerung aus; neben ihnen 
wohnen als selbständige Völker die keltischen Bre- 
tonen (1,1 Million) in der westlichen Bretagne, 
Vlaemen (150 000) im Nordosten (Departement 
Nord), Italiener (an 400 000) auf Korsika und 
im Südosten (Nizza, Marseille) und Basken (an 
100000) in der Südwestecke. Die Zahl der Frem- 
den ist relativ hoch; sie betrug 1901: 1021 438 
(86 684 Deutsche, 326 114 Italiener, 321 603 
Belgier, 79 548 Spanier, 700077 Schweizer, 
36224 Engländer, 21 691 Luxemburger usw.), 
1906: 1009 415 (davon 153 647 im Departe- 
ment Seine, 191 678 im Dep. Nord, 123 497 in 
Bouches-du-Rhöne, 93 554 in Alpes-Maritimes). 
Da das Religionsbekenntnis von der 
Republik nicht mehr festgestellt wird, ist man auf 
Schätzungen angewiesen. Die Katholiken zählen 
an 38.3 Millionen, wovon allerdings eine beträcht- 
liche Zahl von Religionslosen und Neuheiden ab- 
zuziehen ist, die Protestanten an 650 000, die 
Juden an 100 000 Seelen (meist in Paris und 
Umgebung). 
Nach dem Berufe verteilte sich die erwerbs- 
tätige Bevölkerung 1901 folgendermaßen: Acker- 
bau 8176 569 (44,5 %), Industrie 6086206 
(30,8 %), Verkehr 830 648 (4, 2%), Handel 
1 822 620 (9,2 %), freie Berufe 399 839 
(2,03 /%), öffentliche Dienstzweige 1 297 569 
(6,6 %), persönliche Dienstleistungen (Dienst- 
boten usw.) 1015 037 (5,1 %), Fischerei 67772 
(0,34 %): insgesamt 19715.075 Erwerbstätige, 
davon 6804 510 weibliche. Auf je 100 beschäftigte 
Personen waren Betriebsleiter im Ackerbau 42, 
 
	        
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