Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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nebst kündbaren Kapitalien am 1. Jan. 1908: 
29058,8 Mill., die schwebende Schuld 1102,9 
Mill. frs. 
VI. Das Heerwesen wurde nach den Er- 
fahrungen des Krieges gegen Deutschland neu 
organisiert; jedoch hat das Rekrutierungsgesetz vom 
27. Juli 1872, welches die allgemeine Wehrpflicht 
einführte, wieder Abänderungen am 15. Juli 1889 
(mit rückwirkender Kraft), am 2. Juli, 6. Nov. 
1890, 19. Juli 1892 und 21. März 1905 er- 
fahren. Die Wehrpflicht ist demnach auf 
25 Jahre festgesetzt; sie beginnt mit dem 21. Le- 
bensjahre und dauert 2 Jahre in der aktiven 
Armee, 11 Jahre in der Reserve (mit 2 Ubungen 
von je 4 Wochen), 6 Jahre in der Territorial= 
armee (mit einer 14tägigen Ubung) und 6 Jahre 
in der Reserve derselben (mit einem einmaligen 
Appell). Durch das Los wird eine jährlich vom 
Kriegsminister zu bestimmende Anzahl der Wehr- 
pflichtigen nach ein-, oder falls sie nicht lesen und 
schreiben können, nach zweijähriger aktiver Dienst- 
zeit zur Reserve entlassen; auch dürfen wegen be- 
sonderer häuslicher Verhältnisse Reklamierende so- 
wie die Rekruten der französischen Bevölkerung 
Algeriens nach einjähriger Dienstzeit zur Reserve 
entlassen werden. Das Institut der Einjährig- 
Freiwilligen ist aufgehoben. Die Personen, welche 
unfähig sind, mit der Waffe zu dienen, oder die 
aus irgend einem Grunde ihre Dienstzeit gar nicht 
oder nur zum Teil ableisten, haben hierfür eine 
Abgabe (Wehrsteuer) auf die Dauer von drei 
Jahren zu entrichten, wobei für jeden Monat der 
etwa geleisteten Dienstzeit /12 des Jahresbetrages 
in Abzug kommt. Befreit von der Steuer sind nur 
die, welche infolge einer Verwundung, Erkrankung 
oder Beschädigung im Dienste entlassen werden 
müssen, und solche, die notorisch arm oder erwerbs- 
unfähig sind. Die Steuer besteht in einer Grund- 
abgabe von 6 f##s. und einem nach der Höhe der 
Personal= und Mobiliarsteuer zu bemessenden Zu- 
schlage. 1906 wurden 236000 Mann eingestellt. 
Wegen der steten Abnahme des UÜberschusses der 
Geburten steigen die Befürchtungen hinsichtlich des 
notwendigen Rekrutenersatzes; man faßte schon die 
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Al- 
gerien ins Auge, wogegen aber die einheimische 
arabische Bevölkerung unter Berufung auf ihre 
heeine rückständige Rechtsstellung Einspruch 
erhob. 
Organisation der Armee. Der Präsident 
der Republik ist Chef der Armee und besetzt die 
Offiziersstellen; jedoch ist der Kriegsminister, in 
dessen Hand sich alle Fäden der Militärverwal- 
tung vereinigen, befugt, in den innern Dienst der 
Truppen einzugreifen. Der Generalstab ist eine 
Abteilung des Kriegsministeriums, dem Komitees 
und Kommissionen für Heeresfragen beigegeben 
sind. Die Armeekorpskommandanten dürfen nur 
drei Jahre in dieser Stellung bleiben und über- 
nehmen dann wieder die Führung einer Division. 
Die Militärverwaltung zerfällt in Direktion, Ver- 
Frankreich. 
  
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waltung und Amtsführung und in Kontrolle. Die 
Kolonialarmee untersteht dem Kriegsminister, ist 
grundsätzlich für den Dienst in den Kolonien be- 
stimmt, besteht aus Infanterie, Artillerie, Hand- 
werkern, Feuerwerkern und einem Diseziplinar- 
korps; sie rekrutiert sich aus Freiwilligen und den 
Eingebornen der betreffenden Kolonien. 
Nach den Gesetzen vom 24. Juli 1873, 13. März 
1875, 21. Juni 1890 und 5. Dez. 1897 zerfällt 
Frankreich mit Algerien in 20 Regionen und jede 
derselben (mit zwei Ausnahmen zu 4 und einer zu 
9) in 8 Subdivisionen mit dinem oder mehreren 
Rekrutierungsbureaus. Jede Region ist durch ein 
Armeekorps besetzt, welches aus 2 (3 aus je 3) 
Infanteriedivisionen, 1 Kavallerie-(1 Armeekorps 
hat 2, das algerische 3) und 1 Artilleriebrigade, 
1 Geniebataillon, 1 Traineskadron, 1 Legion 
Gendarmerie à 2—4 Kompagnien, dem General- 
stabe und der Verwaltung besteht. Ferner sind 
8 selbständige Kavalleriedivisionen aufgestellt, die 
dem Gouverneur von Paris und dem Armeekorps 
nach Bedarf zugeteilt sind. — Weiter sind vor- 
handen das 1901 errichtete Kolonialtruppen= 
Armeekorps, das Militärgouvernement von Paris 
mit 1 Jägerbataillon, 1 Brigade Feldartillerie, 
1 Bataillon Fußartillerie, einer besondern Ge- 
birgsbrigade und eine Besatzungsdivision von 
Tunis. 
Jede Infanteriedivision zerfällt in 2 Infanterie= 
brigaden, der im allgemeinen ein Feldartillerie= 
regiment zugeteilt ist. Die Kavalleriedivisionen 
haben 2—3 Brigaden (à 2 Regimenter). Es sind 
im ganzen vorhanden: 40 Infanteriedivisionen 
mit 80 Infanteriebrigaden und 30 Jägerbatail- 
lonen, 3 Divisionen des Kolonialtruppen-Armee- 
korps (mit je 2 Infanteriebrigaden), ferner 
außerhalb höherer Verbände stehend 1 Regional- 
brigade von Lyon, die Besatzungsdivision von 
Tunis und 4 Territorialbrigaden in Algerien, zu- 
sammen 93 Infanteriebrigaden, 8 Kavallerie= 
divisionen und 19 Korpskavalleriebrigaden, 4 Ka- 
valleriebrigaden in Algerien und Tunis, 20 Ar- 
tilleriebrigaden und 2 Artilleriekommandos (siehe 
Tabelle auf Sp. 271). 
Der Gefechtsstand eines mobilen Armeekorps 
beträgt 36 000 bis 38 000 Mann Infanterie, 
1200 Mann Kavallerie und 102 Geschütze. 
Festungen. Nach den Plänen der 1871 ein- 
gesetzten Landesverteidigungskommission läuft im 
Osten von Verdun bis zur Schweizergrenze eine 
nur zwischen Toul und Epinal kurz unterbrochene 
Kette von Sperrforts, deren Stützpunkte die mit 
Forts umgebenen Festungen Verdun, Toul, Epinal 
und Belfort sind. Dahinter ist ein zweiter Gürtel 
von Festungen (Langres, Dijon, Besangon, Gre- 
noble). Ein durch Belgien einbrechender Feind 
würde zunächst durch die großen Festungen Lille, 
Douai, Valenciennes, Maubeuge, Cambrai sowie 
durch die Sperrfestung Givet und das Sperrfort 
bei Hirsons ausgehalten werden und hinter den- 
selben ein zweites Hindernis an dem Festungs- 
 
	        
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