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II. Arsachen. Nach den Ursachen der Frauen-
frage forschen heißt mit andern Worten die
Schwierigkeiten untersuchen, die zur Frauenbewe-
gung geführt haben; sie sind wirtschaftlicher,
ideeller, rechtlicher, gesellschaftlicher Natur.
a) Der Überlieferung nach gehört die Frau ins
Haus. Diese Uberlieferung ist durch die For-
schungen über die Urgeschichte der Familie (siehe
Literatur) bestätigt worden. Die Annahme einer
vorhistorischen Zeit des Mutterrechts hat lediglich
hypothetischen Wert. Als zuverlässig gilt die An-
nahme, daß das Weib bei den Naturvölkern mit
den schwersten Arbeiten zur Gewinnung der Be-
darfsgüter belastet wurde, eine Härte, die dadurch
gemildert erscheint, daß bei den Naturvölkern die
Geschlechter in ihren Körperkräften weniger dif-
ferenziert sind als bei den Kulturvölkern. Tacitus
kennt die Germanin gleichgroß wie die Männer.
— Doae klassische Altertum hat das Weib auf das
Haus beschränkt. Dies hat nicht verhindert, daß
die Römerin die Entwicklung von starker Tugend
zur Entartung schnell durchlaufen und nicht un-
wesentlich zum Untergange Roms beigetragen hat.
— Griechenland hat die Frau im heutigen Sinne
überhaupt nicht gekannt. Das Weib war Mittel
zum Zweck. Der Gatte nahm die Gattin nach
Aristoteles „wie eine Hilfeflehende“ ins Haus.
Nur die Hetäre wurde des Umganges mit gebil-
deten Männern gewürdigt. Diesem Extrem stand
das andere gegenüber: Unterschätzung der Be-
deutung des Geschlechtsunterschiedes, wie wir sie
praktisch in der spartanischen Jugenderziehung und
theoretisch in Platos phantastischer Politeia finden.
Der schreiende Gegensatz zwischen Wirklichkeit und
Theorie dürfte Aristophanes zu seiner Satire
„Ekklesiazusai“ angeregt haben. — Die Juden
und die alten Germanen zeigen ebenfalls un-
vermittelte Gegensätze. Die Juden hatten wohl
eine Richterin Debora, hielten aber an der be-
kannten Ehescheidungspraxis fest. Die Germanen
sahen, wofern wir Tacitus glauben können, sanc-
tum aliquid et providum im Weibe und machten
es zur Priesterin, faktisch aber war das Eheweib
Eigentum des Mannes. Doch sah er nicht eine
„Hilfeflehende“, sondern eine socia in ihr. Wie
ernst er sie nahm, zeigten die Geschenke, die er ihr
bot: nicht eitlen Tand, sondern Schild, Schwert
und Speer.
Da kam Jesus Christus und sprach das erlösende
Wort. Er gab dem Weibe die Würde der sitt-
lichen Persönlichkeit wieder. In den jungen Chri-
stengemeinden gewann die Jungfrau durch die gott-
geweihte Virginität eine hochangesehene Stellung
auch außerhalb der Ehe. Und von der christlichen
Ehefrau riefen die Heiden bewundernd aus: „Was
haben doch diese Christen für Frauen!“
Mit der Christianisierung Germaniens beginnt
eine neue Zeit für das Weibgeschlecht unserer Vor-
zeit. Zum erstenmal wurde die Gleichwertigkeit
(nach Gal. 3, 28) ausgesprochen, die Ehe als ein
geheiligtes, lebenslängliches Bündnis erklärt. An
Frauenfrage usw.
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der Tradition, daß das Weib ins Haus gehört,
wurde aber nicht gerüttelt, sie hat das christliche
Mittelalter hindurch bis zur Gegenwart Geltung
gehabt. Diese Tradition hat nicht nur die Natur
für sich, indem Mutter und Säugling schutzbedürf-
tig sind, sie hat auch mit einem Hauptfaktor im
weiblichen Dasein, der wirtschaftlichen Ord-
nung (der Gütergewinnung), im Bunde gestan-
den. Unter der Herrschaft der dezentralisierten haus-
wirtschaftlichen Gütererzeugung hatte die Frau in
allen Klassen im Hause gefunden, was sie brauchte.
Die wirtschaftliche Entwicklunglegte
aber Bresche in diese Tradition durch
Indienststellung der Maschine und den sich er-
gebenden Ubergang zum Industriestaat. Die Ma-
schine arbeitet schneller, billiger und gleichmäßiger
als die Hand. Durch die Maschine wurde die
häusliche Arbeit der Frau teils eingeschränkt,
teils umgestaltet, teils entwertet. Aus Produ-
zentinnen unentbehrlicher Bedarfsgüter werden die
Frauen mehr und mehr bloße Mitkonsumentinnen
und Verwalterinnen. Früher hechelten sie den
Flachs, jetzt kaufen sie fertige Wäsche. Früher
backten sie das Brot, jetzt kann man ganze Mahl-
zeiten fertig kaufen. Die Zentralisierung der Güter-
erzeugung schreitet immer weiter fort. Ein Stück
Hausarbeit nach dem andern wird Gegenstand ge-
werblicher Unternehmungen (Vacuumreinigung!).
Die Maschine dringt in das geschlossene Heim ein
und drängt die Töchter hinaus. Während früher
die Tochter auch der besitzenden Klassen ihr recht-
schaffenes Tagewerk jeden Morgen ungesucht vor-
fand, muß sie jetztim großen Prozentsatz nach Arbeit
und Pflichten suchen, wenn sie nicht im beschäftig-
ten Müßiggang ihre Pfunde vergeuden und zum
Schmarotzer am Gesellschaftskörper herabsinken
will. Die Schwierigkeit der Lage des weiblichen
Geschlechts springt in die Augen, wenn wir sie
mit der des männlichen Geschlechts vergleichen.
Auch der Mann wird in einzelnen Schichten ein-
schneidend von der Umwälzung in der Wirtschafts-
ordnung betroffen. Die Kärrner und Frachtfuhr=
leute sind durch die Eisenbahn verdrängt worden.
Aber andere Türen haben sich ihnen aufgetan. Der
Verkehr mittels der Elektrizität und Dampfkraft,
von der Eisenindustrie ganz zu schweigen, fordert
mehr Hände, als die Kärrner der alten Zeit hätten
stellen können. Der Mann wird durch die Ma-
schine auf neue Arbeitsgebiete geschoben, die Frau
aus ihrem angestammten hauswirtschaftlichen Ar-
beitsfelde hinausgeschoben.
Während nun die Frauen der besitzenden Klassen
nach neuen Pflichten, neuer Arbeit suchen müssen,
sehen wir die Frauen der handarbeitenden Klassen
in die industrielle Produktion einströmen, von der
Schulbank in die Fabrik, als „Hände“ gewertet.
Die besitzende Frau sieht sich im Industriestaate
entlastet, die besitzlose überlastet. Die einen müssen
um Erweiterung ihrer Bewegungsfreiheit, die an-
dern um gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit
kämpfen.