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stimmen. Es würde sich bei Erteilung des kommu-
nalen Wahlrechts an Bürger weiblichen Geschlechts
mithin nur um eine Erweiterung des geltenden
Rechts handeln.
Das Stimmrecht in der kirchlichen (wie in
der bürgerlichen) Gemeinde fordert das Pro-
gramm des Deutsch-evangelischen Frauenbundes.
Er wird darin unterstützt von den Geistlichen, die
im Kongreß für „Innere Mission“ und im Pro-
testantenverein vereinigt sind. Außerdem haben ein-
zelne Synoden sich wohlwollend geäußert. Als erste
evangelische Frauenorganisation hat die Frauen-
gruppe der Kirchlich-sozialen Konferenz bereits
1902 das kirchliche Stimmrecht gefordert mit dem
Vorbehalt der Wahlberechtigungsqualifikation.
Gewährt wurde es 1908 durch die Synode der
Kirche Augsburgischer Konfession im Elsaß.
Für das politische Stimmrecht der Frauen
agitiert die Linke der Frauenbewegung schon seit
1893. Es hat sich ein eigener Stimmrechtsverein
gebildet, der dem Weltbund für Frauenstimm-
recht angegliedert ist. Die gemäßigte Richtung
hält seit dem Erscheinen des Vereinsgesetzes vom
15. Mai 1908 die Zeit zur Agitation für gekommen.
Prinzipiell hat auch sie den Anspruch des weib-
lichen Geschlechts auf staatsbürgerliche Rechte jeder-
zeit anerkannt. Die christliche Richtung der Frauen-
bewegung hat zu dieser Stimmrechtsforderung noch
nicht Stellung genommen; erörtert wurde die Frage
der staatsbürgerlichen Rechte katholischerseits in der
„Christlichen Frau“", Mai-, Juli-, August= und
Oktoberheft 1908. Von den politischen Parteien
sind die Sozialdemokraten als erste für die staats-
bürgerliche Gleichberechtigung der Frauen eingetre-
ten, als zweite die badischen Nationalsozialen.
Epochemachend ist das neue Reichsvereinsgesetz vom
15. Mai 1908, das den Ausschluß der Frauen
von politischen Vereinen und Versammlungen be-
seitigt hat. Seitdem haben sich die Parteien mit
überraschender Schnelligkeit für die politische Gleich.
berechtigung der Frauen erklärt, so die Liberalen
und die Freisinnige Vereinigung 190 8. Als erster
politischer Verein hat der „Nationalverein für das
liberale Deutschland“ Frauen als gleichberechtigte
Mitgliederaufg deinebesondere Gruppe
für die Behandlung der Frauenfrage gebildet. Die
Windthorstbunde planen eine Statutenänderung,
um Frauen als Vollmitglieder aufnehmen zu kön-
nen. Wohlwollendes Verständnis hat jederzeit das
Zentrum des Reichstags der Frauenbewegung ent-
gegengebracht. So hat es auch — leider vergeb-
lich — die Erteilung des Stimmrechts zum Kauf-
mannsgericht an die kaufmännischen Gehilfinnen
befürwortet und das Stimmrecht für die Arbeite-
rinnen zur Vertretung ihrer Berufsinteressen ge-
fordert, das auch in dem Gesetzentwurf über Ar-
beitskammern Platz gefunden hat.
Die für das Wahlrecht eintretenden Frauen be-
gründen die Forderung staatsbürgerlicher Rechte
mit der Auffassung, daß die Frau der Gemeinde
wie dem Staat ebenso wertvolle, wenn auch anders
Frauenfrage usfw.
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geartete Dienste leistet wie der Mann, und nicht
nur indem sie Steuern zahlt wie er. Betont er
seine Ritterschaft (Kriegsdienst), so betont sie ihre
Mutterschaft, die Vorbedingung jedes
Staatswesens. Der Staat stellt die Summe
der Familien dar. Wie in der engeren, so muß
die Frau auch in der großen, staatlich organisierten
Familie Raum zur Betätigung der aus ihrer Stel-
lung als Weib und Mutter sich ergebenden Ein-
flußrechte haben. Diese mitwirkende Betätigung
sieht die Frau gewährleistet nur durch den Einfluß
auf die Gesetzgebung, von der ihr und ihrer Kin-
der Wohl abhängt. Mithin wird die Forderung
immer wieder auftauchen, bis das Verlangen nach
direktem Einfluß einen mit den Prinzipien der
christlichen Auffassung vereinbaren Ausgleich ge-
funden haben wird.
Das allgemeine Ziel der von christlich-
sozialer Seite geführten Arbeiterinnenbewe-
gung dürfte dahin charakterisiert werden können:
sittliche Bewahrung und wirtschaftliche und soziale
Hebung zu Daseinsbedingungen, die der Bestim-
mung der Frau gerecht werden, über die bloße
Lebenefristung hinausgehen und Anteilnahme an
den Kulturgütern ermöglichen. Besondere For-
derungen, im Ausbau der Reichsgewerbeordnung
und Versicherungsgesetzgebung von der Sozial-
politik des Zentrums vertreten, sind: allmähliche
Einschränkung der Arbeitszeit, gleicher Lohn bei
gleicher Leistung, geregelte Interessenvertretung
durch selbstgewählte Geschlechtsangehörige im Ar-
beiterausschuß, in der Arbeitskammer, beim Ge-
werbegericht, im Kassenwesen; verschärfte Bestra-
fung des Mißbrauchs sozialen oder wirtschaft-
lichen Ubergewichts (Arbeitgeberparagraph).
IV. Der RKatholische Standpunkt. Wie stellt
sich der katholische Christ zur Frauenbewegung
und ihren Forderungen?
Die „Stellung der Frau im Menschheitsleben“
(Mausbach) ist in jüngster Zeit wiederholt er-
örtert worden. Es besteht volle Einmütigkeit
darüber, daß Ursprung und Endziel der beiden
Menschheitshälften gleich sind, wie auch darüber,
daß Jesus Christus nicht nur moralisch dem Weibe
den gleichen Menschenwert zuerkannt hat, sondern
daß er es auch in seiner bürgerlichen Existenz ge-
hoben hat. Jesus hat unter Aufhebung der jüdi-
schen Ehescheidungspraxis die lebenslängliche Ein-
ehe wieder zur ursprünglichen gottgewollten Rein-
heit zurückgeführt und durch höhere Kräfte geheiligt
und gefestigt. Damit hat der Stifter unserer Re-
ligion die Grundlage der heutigen Kultur, die auf
der Familie ruht, überhaupt erst geschaffen, eine
Tatsache, die im schroffen Gegensatze steht zu der
Behauptung, das Christentum sei kulturfeindlich.
Wenn die Frage nach dem Ursprung und End-
ziel des weiblichen Geschlechts hier ausscheidet, so
führt uns der Hinweis auf seine bürgerliche Hebung
durch Einsetzung der lebenslänglichen Einehe zur
Frage nach der Diesseitsbestimmung des Weibes.
Wenn wir volle Gleichheit in der Ewigkeitsbestim-