Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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mung annehmen, so tritt für die Diesseitsbestim- 
mung die Unterschiedlichkeit der Geschlechter in den 
Vordergrund. Gott hat in Mann und Weib je 
eine besondere Schöpferidee verkörpert und jedem 
Geschlechte eine spezifische Aufgabe zuerteilt. Der 
männlichste Mann und das weiblichste Weib 
stellen diese Ideen am reinsten dar. Mann und 
Weib sind verschieden, um sich zu ergänzen, um 
durch Gemeinschaft Vollendung in der Erfüllung 
irdischer Aufgaben zu suchen. Sie sind verschieden 
geartete, aber gleichwertige Glieder der großen 
Organismen Kirche, Familie, Gemeinde, Staat, 
mithin auch verschieden im Begriffe der Voll- 
kommenheit irdischen Tuns. Weil dem so ist, weil 
jedes Geschlecht in der Schöpferidee, die es ver- 
körpert, sein Maß und seine Wertbestimmung fin- 
det, ist es nicht nur ein unfruchtbares, sondern 
auch ein gefährliches Beginnen, die Geschlechter 
aneinander normativ messen zu wollen, statt sich 
zu begnügen, sie vergleichend zu unterscheiden. Die 
Annahme, daß eines der Geschlechter den absoluten 
Menschentypus darstelle, müßte gerade bei den 
strebsamsten Individuen des andern Geschlechts 
die Folge zeitigen, daß man eben diesem vollkom- 
menen Typus kritiklos, d. h. unter Verkennung 
der eigenen Bestimmung, fehlsam nacheifert. Mit- 
hin würde — je nachdem — Verweiblichung der 
Männer oder Vermännerung der Weiber begünstigt 
werden. So müßte die Annahme, daß der Mann 
den absoluten Menschentypus, das eigentliche 
Ebenbild Gottes, darstelle, das Weib dahin führen, 
durch möglichste Abstreifung der Weiblichkeit Voll- 
kommenheit zu erwerben und zu vererben. Diese 
falsche Emanzipation, die von vornherein durch 
Trachten nach unmöglicher Gleichheit (Gleich- 
artigkeit) auf den toten Strang fährt, wird tat- 
sächlich durch die Ansicht begünstigt, daß der Mann 
der absolute Maßstab sei, Abweichung von diesem 
Maßstabe also Unvollkommenheit bedeute. Diese 
Ansicht sollte billigerweise schon durch den einen 
Umstand erschüttert werden, daß es der allmäch- 
tige Schöpferwille gewesen ist, der beide Geschlechter 
nach seinem Bilde geschaffen, aber verschieden ge- 
wollt und sie zu ihren spezifischen Aufgaben auch 
verschieden ausgerüstet hat. Die physische Be- 
schaffenheit des Mannes macht ihn zum Kampf 
und zum Erwerb tüchtig, legt ihm den Schutz und 
die Versorgung der Familie, deren Haupt er ist, 
auf. Die Naturalleistung des Weibes ist die 
Mutterschaft. Die christliche Kultur hat die natür- 
liche Ritterschaft des Mannes zur Ritterlichkeit 
verklärt, das Weib von der Mutterschaft zur 
Mütterlichkeit, als der feinsten Blüte weiblichen 
Empfindens, geführt — nicht in dem Sinne, als ob 
die Mütterlichkeit an einen physiologischen Vor- 
gang geknüpft wäre. Die christliche Kirche an- 
erkennt, pflegt, erzieht Empfinden und Willen als 
Mächte, die die Physis beherrschen sollen. Ist die 
physische Geschlechtsbeschaffenheit ein Fingerzeig, 
so ist die Gesinnung doch nicht von der Erfüllung 
der Geschlechtsaufgaben abhängig. Auch ohne die 
Frauenfrage usw. 
  
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Mutterschaft in natura kann das Weib im höch- 
sten Sinne weiblich (im Sinne von mütterlich) 
sein. Die Liebe der „Barmherzigen Schwester“, 
die mütterliche Geduld mancher Lehrerin sind 
sichtbare Beweise. Es ist ein Verdienst der katho- 
lischen Kirche, daß sie an der Unabhängigkeit der 
Gesinnung von der Physis unentwegt festgehalten 
hat. Dadurch hat sie auch für das irdische Dasein 
dem Weibe wahre Freiheit und Selbstbestimmung 
gewährt. Denn wäre die Gesinnung vom physio- 
logischen Vorgange abhängig, so könnte das Weib 
nicht ohne die Möterschaff in natura zur höchsten 
Entfaltung der Weiblichkeit, der Mütterlichkeit, 
gelangen. Da nun diese Naturalleistung ohne den 
Mann unmöglich ist, der Mann aber naturgemäß 
der freiende Teil ist, so würde die Vollkommenheit 
des Weibes davon abhängig sein, ob es einem 
Manne gefällt. Damit wäre das weibliche Ge- 
schlecht dem männlichen ausgeliefert, männliches 
Wohlgefallen oder Mißfallen wäre sein Schicksal. 
Hier rühren wir an den Kernpunkt der ganzen 
Frauenfrage. Kann das Weib nur durch den 
Mann zur Vollendung gelangen, steht ihm nur 
dieser eine Weg offen, so ist es dem Manne aus- 
geliefert, hat nur Sinn, Wert, Bedeutung durch 
den Mann. Dann hat jede unverheiratete Frau 
ihren Daseinszweck verfehlt. Dann kann man 
logischerweise aber auch nicht von Gleichwertigkeit 
der Geschlechter sprechen. Dann ist das Weib keine 
selbständige Berufsträgerin, keine sittliche Per- 
sönlichkeit. Wie nun die katholische Kirche an der 
Unabhängigkeit der Psyche vom physiologischen 
Vorgang festgehalten hat, so hat sie folgerichtig 
auch dem Weibe nie die Möglichkeit aberkannt, in 
Jungfräulichkeit irdische Vollkommenheit zu er- 
reichen (Ordensleben). Die katholische Kirche hat 
daran festgehalten, daß das Weib nicht nur für 
den Mann da ist, daß es auch ohne Geschlechts- 
leben ein vollwertiger Mensch sein kann. Damit 
hat die Kirche in wahrhaft gotterleuchteter Ge- 
rechtigkeit und Weisheit in diesem zentralen, sprin- 
genden Punkte sich auf die Seite des schwachen 
Geschlechts gestellt. Die Wertschätzung der Jung- 
fräulichkeit ist die wahre Emanzipation des Weibes 
im buchstäblichen Sinne. Mit dieser Tatsache steht 
wohl die andere in kausalem Zusammenhange, daß 
das weibliche Geschlecht, nach Zeugnissen bekannter 
Autoritäten, kirchlicher ist als das männliche. Da 
wo keine klare Vorstellung zu erwarten ist von 
dem, was das weibliche Geschlecht der katholischen 
Kirche verdankt, ist das Weib (von alters her 
„ahnungsreich“ genannt), „im dunkeln Drange 
sich des rechten Weges wohl bewußt". 
Mit der Einsicht, daß die spezifische Naturauf- 
gabe des Weibes in der Familie liegt, daß Mütter- 
lichkeit das Ziel seiner Entwicklung ist, haben wir 
einen Standpunkt gewonnen, von dem aus wir 
zu den einzelnen Fragen und Forderungen der 
Bewegung Stellung nehmen können, etwa nach 
der Formel: Was weder direkt noch indirekt gegen 
die (gottgesetzte) Naturaufgabe des Weibes ver- 
10“
	        
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