Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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stößt, vielmehr mit dieser harmoniert, das ist auch 
nicht gegen Gottes Willen. 
Es würde nun heißen Eulen nach Athen tragen, 
wollte man vor Katholiken die Bildungsfor- 
derungen der Frauen verteidigen. Die katho- 
lische Kirche hat niemals dem weiblichen Geschlechte 
Bildungsmöglichkeiten vorenthalten. Die histori- 
schen Verdienste der Klöster um die Frauenbildung 
sind bekannt. Ebensowenig stoßen die heutigen 
Bildungsforderungen auf Hindernisse. Auch der 
Erschließung neuer Berufe steht nicht nur 
kein Hindernis im Wege, es müßte im Gegenteil 
zur Verteidigung des christlichen Standpunktes 
mit viel stärkerem Nachdruck betont werden, daß 
Unterricht und Erziehung des weiblichen Geschlechts 
durch weibliche Personen katholische Praxis ge- 
wesen ist, ehe man sie auf andern Seiten als „Re- 
formen“ forderte. Nicht anders steht es mit der 
Forderung, die doppelte Moral zu eseitigen, 
die P. Rösler „ein schweres Unrecht gegen Ehre 
und Würde der Frau“ nennt. Um so schärfer muß 
freilich vom christlichen Standpunkte Verwahrung 
eingelegt werden gegen das Bestreben, eine gleiche 
Unmoral einzuführen, indem die Eheinstitution, 
die Vorbedingung aller Kultur, angetastet und das 
„freie Verhältnis“ eingeführt werden soll. Die 
Bestrebungen, die Ehe zu unterminieren, indem 
die uneheliche Mutter der ehelichen prinzipiell 
gleichgestellt werden soll, sind zu verurteilen, auch 
wenn sie sich mit dem schönen Namen „Bund für 
Mutterschutz“ schmücken. 
Auch die vermögensrechtlichen Wünsche 
der Frau finden auf katholischer Seite weniger 
Widerstand als anderwärts trotz der herrschen- 
den Auffassung, daß durch die Einwilligung in 
den Ehebund die Gattin auch in die christlich- 
prinzipielle Unterordnung der Ehefrau unter ihren 
Ehemann (als Gehilfin, nicht als Dienerin) willigt, 
eine Unterordnung, die prinzipiell festgelegt, aber 
freiwillig kontrahiert ist und die Gewährleistung 
der eigenen sittlichen Würde und Rechte sowie die 
Liebe des Gatten zur Voraussetzung und das Glück 
und die Hoheit der Mutterschaft zur Ergänzung 
hat. Das katholische Kirchenrecht hat den Zu- 
schnitt nicht gekannt, nach dem die Frau „alle 
öfonomischen Sünden ihres Mannes zeitlebens 
büßen muß" (Schäffle). 
Das Stimmrecht in der kirchlichen Ge- 
meinde, wie evangelische Frauen es fordern, 
kommt katholischerseits nicht in Betracht; die katho- 
lische Kirche kennt keine Gemeindeorganisation als 
Trägerin kirchlicher Leitungsbefugnisse. 
Bleibt somit noch die Forderung staatsbür- 
gerlicher Rechte. Für oder wider das Stimm- 
recht der weiblichen Personen in der bürger- 
lichen Gemeinde hat sich die katholische Kirche 
noch nicht entschieden. Für die Zulassung der Frau 
zum Schöffenamt hat Abt Danner O. S. B. 1908 
auf dem Frauentage zu Münster gesprochen. Das 
Zentrum hat sich für das Stimmrecht der Berufs- 
frau bei der Wahl beruflicher Instanzen ausge- 
Frauenfrage usw. 
  
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sprochen. Für das politische Stimmrecht 
sind den Frauen Kronzeugen in der belgischen 
katholischen Kammerfraktion erstanden, die 1901 
erklärte, das politische Stimmrecht für Frauen zu 
beantragen, sobald das allgemeine, gleiche und di- 
rekte Wahlrecht für alle Männer eingeführt würde. 
Die belgische katholische Kammerfraktion hat also 
prinzipiell nichts gegen das politische Stimmrecht 
des weiblichen Geschlechts einzuwenden, falls das 
allgemeine Stimmrecht eingeführt wird. Wollte 
man nun erklären, daß vom christlichen Stand- 
punkte aus die Erteilung bürgerlicher Rechte an 
weibliche Personen nicht zu billigen sei, so würde 
man vielen positiv evangelischen Geistlichen, dem 
gesamten Deutsch-Evangelischen Frauenbunde wie 
der belgischen katholischen Kammerfraktion vor- 
werfen, christliche Grundsätze verleugnet zu haben. 
Ist die Entziehung der bürgerlichen Nechte vom 
Christentum nicht verlangt, so bleibt es allerdings 
noch Aufgabe staatsmännischer Weisheit, vor- 
sichtig zu erwägen, welches der Umfang derselben, 
der Kreis ihrer Trägerinnen und die Art ihrer 
Ausübung sein soll. Mit der belgischen katholischen 
Kammerfraktion stimmt der konservative Staats- 
rechtslehrer und Historiker Heinrich v. Sybel über- 
ein. Er sagt: „Erklärt man das politische Stimm- 
recht für ein durch die bloße Geburt erworbenes 
Menschenrecht, so ist die Forderung der Frauen, 
die ohne Zweifel geboren und als Menschen ge- 
boren sind, konsequenterweise nicht abzulehnen“ 
(Uber die Emanzipation der Frauen). Wir hatten 
uns aber vorgesetzt, nicht das Staatsrecht, son- 
dern die (gottgesetzte) Natur zu befragen. Ist 
wirklich auch diese Frauenforderung mit der Na- 
turaufgabe und folglich mit Gottes Schöpfer- 
willen zu vereinen? Nun, erkennen wir in Ge- 
meinde und Staat die organisierte Gesamtheit 
der Familien, so ist in der Tat nicht zu leugnen, 
daß der Gesamtheit so gut wie der Einzelfamilie 
Muttersorge zu wünschen ist. Die Ausdehnung der 
Muttersorge, der Einfluß der Muttererfahrung 
auf das Leben in Gemeinde und Staat und auf 
die Gesetzgebung würde sich mit der Naturaufgabe 
in Einklang setzen, würde sich aus ihr ableiten 
lassen. In der Gemeinde haben sich die Frauen 
bereits bewährt, das beweist die wachsende Zahl 
der Anstellungen. Freilich liegt der Frau dieses 
Arbeitsgebiet näher als das politische; es ist aber 
auch anzunehmen, daß die Teilnahme an der Ge- 
meindearbeit der sicherste Weg ist, in das Ver- 
ständnis der staatlichen Organisation hinein- 
zuwachsen. Erleben die Frauen in ihrer Arbeit die 
Wirkung gesetzlicher Maßnahmen als Förderung 
oder Hemmung, so wird ihnen die Tragweite der 
Gesetzgebung klar, und sie werden von selbst zu 
dem Streben kommen, ihre Erfahrung auch auf 
diesem Gebiete geltend zu machen. Wo das poli- 
tische Wahlrecht einmal eingeführt ist, bewähren 
sich die Frauen, so in Finland, Australien, einigen 
Staaten der amerikanischen Union. Immerhin 
erscheint es bedenklich, von diesen kleinen und
	        
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