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tung und Färbung derselben ist ein Ausfluß oder
steht unter der Herrschaft unserer Freiheit.
Daß Freiheit darum nicht mit schrankenloser
Willkür zusammenfällt, geht aus dem Früheren
hervor. Der Mensch kann alles mögliche tun, er
soll nur das Gute tun. Jeden Mißbrauch der
Freiheit ahndet das Gewissen durch seine Vor-
würfe. Im Gewissen tritt die Einschränkung der
Freiheit durch das Sittengesetz für jeden einzelnen
deutlich hervor. Aber das Sittengesetz ist nur das
Gesetz der eigenen Natur des Menschen; indem er
sich demselben unterwirft, erfüllt er den ihm vor-
gezeichneten Zweck, verwirklicht er in fortschreiten-
dem Maße die Idee seines Wesens, nähert er sich
dem Ziele abschließender Vollkommenheit, welche
für ihn als bewußtes Wesen zusammenfällt mit
Glückseligkeit. Darum kann die Vorschrift des
Sittengesetzes niemals als feindliche Schranke
empfunden werden. Davon unterschiedene Schran-
ken aber ergeben sich aus dem gesellschaft-
lichen Leben der Menschheit.
Schon das bloße Nebeneinanderbestehen vieler
bringt es mit sich, daß der an und für sich be-
rechtigte Freiheitsgebrauch des einen hie und da
mit dem eines andern feindlich zusammenstößt,
und wo immer mehrere sich für längere oder kürzere
Zeit zu gemeinsamen Zielen verbinden, da begeben
sie sich nach einer bestimmten Richtung hin ihrer
Freiheit. Wichtiger aber als jene gelegentliche und
diese freiwillige Beschränkung ist die systematische
und autoritative, welche mit der Ordnung der
Lebensverhältnisse im bürgerlichen Gemeinwesen
untrennbar verbunden ist. Kein Staat, welches
auch im übrigen seine Verfassung sei, ist möglich
ohne die Unterscheidung von Befehlenden und
Gehorchenden, ohne die Unterwerfung der vielen
Einzelwillen unter das von dem einen oder den
vielen Herrschenden erlassene Gebot. Hier tritt
daher von allem Anbeginn dem Prinzip der in-
dividuellen Freiheit das Prinzip der sozialen Ord-
nung gegenüber. Wie weit läßt sich das erstere
behaupten, ohne das andere zu gefährden? Wel-
ches sind die Mittel, die berechtigte Sphäre der
Freiheit gegen unbefugte oder doch jedenfalls un-
erwünschte Eingriffe der sozialen Autorität zu
schützen?
Es liegt in der Natur der Sache, daß praktische
Bemühungen, Mittel dieser Art zu gewinnen, den
Versuchen einer prinzipiellen Lösung der aufge-
worfenen Fragen vorausgehen. Welches wirk-
samere Mittel aber könnte es geben, fremde Ver-
gewaltigung von sich fernzuhalten oder autoritative
Leitung weniger fühlbar zu machen, als die Teil-
nahme an der Staatsgewalt und die Mitwirkung
bei der Gesetzgebung? Hier ist daher der Punkt,
wo das Unabhängigkeitsstreben des Individuums
umschlägt in die Tendenz, selbst ein Bruchteil der
öffentlichen Gewalt zu sein, von welcher die un-
vermeidliche Freiheitsbeschränkung aller ausgeht.
Wo ein jeder seinen Willen in dem Herrscher-
willen wiederfindet, erscheinen die Außerungen
Freiheit.
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dieses letzteren nicht mehr als äußere Fesseln, son-
dern als eigene Selbstbestimmung der Bürger,
welche der Freiheit keinen Eintrag tut. So dehnt
sich jetzt der Name der Freiheit von dem Unab-
hängigkeitsstreben des Individuums her aus auf
dieses Recht der Mitbestimmung in öffent-
lichen Angelegenheiten. Geschichtlich ist dabei zu-
meist noch ein anderer Umstand hinzugekommen,
welcher eine solche Anwendung des Namens der
Freiheit begünstigte und rechtfertigte. Jenes Recht
bürgerlicher Selbstbestimmung mußte erkämpft,
mußte einer Staatsgewalt abg#ungen werden, die
mit ihren Interessen sich zu der Menge in einem
Gegensatze befand oder doch als im Gegensatze
befindlich angesehen wurde. Versuche, eine solche
Staatsgewalt zu stürzen und eine Verfassung ein-
zurichten, welche eine größere oder geringere An-
zahl von Bürgern zur Teilnahme an Gesetzgebung
und Staatsverwaltung berief, stellten sich daher
in dem Glanze befreiender Taten dar; Staaten,
in denen sie von Erfolg begleitet waren, erschienen
nunmehr als freie im Gegensatze zu dem bisherigen
oder anderwärts fortdauernden Zustande der Un-
freiheit.
Bei den Griechen tritt der Name der Freiheit
in diesem doppelten Sinne auf. Der Perikles des
Thukydides (2, 37, 2) preist an dem athenischen
Staatswesen, daß seine Angehörigen auf beiderlei
Weise frei seien. Aber einen tieferen Nachhall im
nationalen Empfinden hatte doch nur die Freiheit
in der zuletzt erörterten Bedeutung. Als der Perser
Hydarnes die spartanischen Gesandten zu über-
reden suchte, in den Dienst des Großkönigs ein-
zutreten, erwiderten sie nach Herodot (7, 135),
dieser Vorschlag bekunde nur, daß jener nicht aus
Erfahrung wisse, wie süß die Freiheit sei. Und
doch war in Sparta das Tun und Treiben der
einzelnen ängstlicher überwacht als irgendwo sonst.
Wie verhältnismäßig gering die Griechen jene
Freiheit werteten, welche in möglichster Beseiti-
gung der die Selbsttätigkeit des einzelnen hem-
menden Schranken besteht, kann ein von Strabo
überliefertes derbes Sprichwort bezeugen, welches
die Freiheit von Kerkyra verspottete (L. Schmidt,
Ethik der alten Griechen II 223, 233f, 469).
Ahnlich war es bei den Römern, wenn diese auch
vielleicht die individuelle Selbstbestimmung mehr
zu schätzen wußten als die Griechen. — Eine volle
Würdigung der Freiheit findet sich bei den Völ-
kern des klassischen Altertums nicht, ebensowenig
wie die Erkenntnis der allen angeborenen morali-
schen Würde. Mit dem Bewußtsein derselben
wäre die Sklaverei unverträglich gewesen, welche
die Grundlage, freilich auch den Fluch des antiken
Wirtschaftslebens bildete. Auch die Germanen
waren noch weit davon entfernt, die Freiheit aus
der unveräußerlichen Natur des Menschen abzu-
leiten; sie war ihnen das Erbgut eines bevorrech-
teten Standes, das den in der Krechtschaft Ge-
borenen fehlte. Aber während der Gegensatz zwi-
schen Freien und Unfreien weniger schroff war als