Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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berger, Reichsgesetz über die F. vom 1. Nov. 1867 
(1905); Mischler, Art. „F.“ in Elsters Wörterbuch 
der Volkswirtschaft I (21906). — Für Österreich: 
Art. „Niederlassung“ in Mischler-Ulbrichs Osterr. 
Staatswörterb. III (21907). [Karl Bachem.] 
Fremdenrecht. [Beschränkungen und Er- 
schwerungen des Fremdenverkehrs. Leitende Grund- 
sätze und rechtliche Gesichtspunkte des heutigen 
Völkerrechts.) 
1. Der Staat, welcher nicht im fiktiven Sinne 
des römischen Rechts eine abstrakt gedachte juri- 
stische Person, sondern ein aus einer Vielheit von 
Rechtswesen bestehender Verband ist, tritt in die 
völkerrechtliche Gemeinschaft, belastet mit einem 
großen Komplex von Pflichten gegen seine An- 
gehörigen. Unter diesen Pflichten findet sich eine 
Reihe von Rechtspflichten, deren Erfüllung vor 
allen andern gefordert werden muß. In diesen 
Kreis von Pflichten, denen eine Rechtsforderung 
unzweideutigster Art entspricht, gehört die wechsel- 
seitige Hilfe bei Handhabung der Sicherheit und 
Ordnung wie der bürgerlichen und Staatsrechts- 
pflege. Daß das Recht gesichert und seine Ver- 
letzung geahndet werde, auch wenn es sich nicht 
um die Rechte der eigenen Untertanen handelt, 
daß niemand im Staate mit Vorwissen oder Zu- 
stimmung desselben, auch wenn er ein Fremder 
ist, Unrecht erleide, kann und darf dem Staate, 
sofern er selbst ein Rechtsverein ist, nicht gleich- 
gültig sein. 
Hiermit ist der Kreis der internationalen Rechts- 
forderungen in Bezug auf das Fremdenrecht um- 
schrieben. Was jenseits desselben liegt, so das 
Verlangen, daß die Staaten ihre wirtschaftlichen 
Interessen wechselseitig fördern, miteinander in 
Verkehr treten, die Fremden zulassen, die zuge- 
lassenen wie ihre eigenen Angehörigen behandeln, 
ist Billigkeitsforderung. Es kann nur zur Trübung 
des dem Völkerrecht innewohnenden spezifischen 
Rechtsinhaltes führen, wenn man Moralforde- 
rungen den Stempel der Rechtsnorm aufdrückt 
und dort von Recht spricht, wo es sich doch nur 
um Zweckmäßigkeit und Billigkeit handelt. So ist 
denn auch das „Recht auf Verkehr“ kein „Grund- 
recht der Staaten“. Es ist nicht einzusehen, wie 
die Abschließung eines Staates, abgesehen von 
bestehenden Verträgen, für diesen eine andere recht- 
liche Folge haben könne, als daß er sich dadurch 
jener Vorteile beraubt, welche Handels= und Ver- 
kehrsbeziehungen für ihn haben könnten. Aber 
kein anderer Staat hat das Recht, ihn zu zwingen, 
mit ihm in Verkehr zu treten. Wenn es dennoch 
geschehen ist, wie z. B. den ostasiatischen Staats- 
wesen gegenüber, so bediente man sich dabei eines 
Rechtsvorwandes für politische Zwecke, keineswegs 
ober einer stichhaltigen Rechtsbetätigung. 
2. Augenfällig und durch die Geschichte des 
Völkerrechts bestätigt ist es, daß dort, wo die 
wirtschaftlichen Verhältnisse überspannt oder die 
politischen schwankend sind, der Verkehr unter den 
Staaten leidet und mancher Rechtssatz, den man 
Fremdenrecht. 
  
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in Bezug auf den Verkehr als gesichert betrachtete, 
wieder in Frage gestellt erscheint. Zunächst hatte 
die Überflutung Amerikas mit chinesischen und 
indischen Lohnarbeitern das Verbot der Ein- 
wanderung dieser äußerst rührigen und genüg- 
samen Menschenklasse in die Vereinigten Staaten 
zur Folge. Der mit China im Jahre 1868 ab- 
geschlossene Vertrag hatte gegenseitig das Ein- 
wanderungsrecht ausdrücklich anerkannt. Im Pe- 
kinger Vertrag von 1880 räumte China der Union 
das Recht ein, Einwanderung und Aufenthalt 
chinesischer Arbeiter zu beschränken, nicht aber 
gänzlich auszuschließen. Im Widerspruche hier- 
mit kommt der China abgenötigte Vertrag von 
Washington, 17. März 1894, einem vollständigen 
zehnjährigen Verbote chinesischer Einwanderung 
gleich. Das Zugeständnis, daß China das Recht 
haben soll, alle amerikanischen Arbeiter zu regi- 
strieren, ist offenbar nur Formsache. Amerikanische 
Arbeiter werden in größerer Anzahl das Reich der 
Mitte nicht aufsuchen (vgl. d. Art. Auswanderung, 
Sp. 491 ff). In Australien ist England mit der 
Chinesenfrage beschäftigt. Ein starker Zug zum 
Schutze der nationalen Arbeit gegen die Konkurrenz 
der Fremden (Verbot, daß „Fremde“ Grundeigen- 
tum erwerben, Ausweisung nicht naturalisierter 
Fremden usw.)machte sich 1886/87 in Rumänien 
bemerkbar. Soweit es sich dabei um konfessionelle 
Unterschiede handelt, stehen derlei Verfügungen 
mit Art. 44 des Berliner Vertrages nicht im Ein- 
klang, und insofern das internationale Privat- 
recht in Frage kommt, sind sie als Schmälerung 
der Rechte nicht nur der Jsraeliten, sondern 
aller nicht der orthodoxen Kirche Angehörigen ge- 
wiß nicht einwandfrei. 
Die Ausbreitung der sozialrevolutionären 
Umtriebe, die Arbeitseinstellungen, die mehr oder 
minder offenkundigen Fälle von Ausspähung haben 
Beunruhigung und Mißtrauen unter den Staaten 
hervorgerufen und zur Verschärfung der fremden- 
polizeilichen Maßregeln geführt unter Hinweis auf 
den Grundsatz, es sollen die Staatsregierungen in 
die Lage gesetzt werden, die Bedingungen kennen 
zu lernen, unter denen sich die Niederlassung von 
Ausländern im Inlande vollzieht. Es sei hier er- 
innert an die fremdenpolizeilichen Maßnahmen 
im Verkehre zwischen Frankreich und Elsaß-Loth- 
ringen, an das französische Fremdendekret von 
1888 hinsichtlich der in Frankreich etablierten 
Ausländer, dann die Verfügungen des schweizeri- 
schen Bundesrates von 1888 zur Hintanhaltung 
der anarchistischen Propaganda. Rußland verlangt 
mit der Eintrittsbewilligung seiner Missionen oder 
Konsulate versehene Pässe (bei Israeliten noch die 
Aufenthaltsklausel), in der Regel gültig für sechs 
Monate, worauf ein Aufenthaltsschein gegen Zah- 
lung der betreffenden Gebühr zu lösen ist. Der 
Austrittspaß (Austrittsvisum), d. h. die Bewilli- 
gung, die Grenze ohne Behinderung zurückzupas- 
sieren, wird dem zurückreisenden Fremden nach 
Vorweis seines Eintrittspasses bzw. Aufenthalts-
	        
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