Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

339 
eine Konferenz oder ein Kongreß zusammen, um über 
die beiden Hauptpunkte jedes Friedensinstrumentes 
schlüssig zu werden: über die Gebietsfrage und die 
Entschädigungsfrage einschließlich der Kriegskosten. 
Der Friede hat einen endgültigen, definitiven 
Charakter. Die Streitpunkte sollen durch denselben 
grundsätzlich und vollständig erledigt sein. Er hat 
die Bedeutung einer res iudicata auf neuer, ge- 
sicherter Grundlage. Die Machttatsachen, welche 
der Krieg geschaffen hat, verwandelt der Friede in 
Rechtstatsachen, sei es auf Grund des Zustandes 
vor dem Kriege (status quo ante bellum) oder 
der durch den Krieg herbeigeführten Neuordnung 
der früheren Verhältnisse (status quo post bel- 
lum, status quo amelioré). Wie sich in Bezug 
auf Friedensverhandlungen Verbündete zu ver- 
halten haben, hängt von dem Inhalte des Bünd- 
nisvertrages ab. Regel ist, daß sie, solidarisch für 
den Kriegsfall verbunden, sich auch nicht einseitig 
dieser Verpflichtung durch Abschluß eines Separat- 
friedens entschlagen dürfen. Das jus belli ac 
pacis ist untrennbar. Wer ermächtigt ist, Krieg 
zu erklären, ist es auch, Frieden zu schließen (s. d. 
Art. Staatsoberhaupt). 
3. Die Friedensakte ist die Zusammenfassung 
der Friedensverhandlungen. Dieselbe enthält ge- 
wöhnlich in einer Reihe von Artikeln die einzelnen 
Vereinbarungen. Doch kommen auch Fälle vor, 
in denen nur die Wiederherstellung des Friedens- 
zustandes ausgesprochen und die Austragung der 
streitigen Punkte aus einem späteren Zeitpunkte 
vorbehalten wird. Einer dieser einfachen Friedens- 
schlüsse der jüngsten Zeit war jener zu Bukarest 
vom 3. März 1886, welcher die bulgarisch-serbischen 
Kämpfe (1885/86) beendete. — Der Inhalt der 
Friedensverträge läßt sich wegen der großen Man- 
nigfaltigkeit der Kriegsanlässe nur beispielsweise 
andeuten. Er regelt in der großen Mehrzahl der 
Fälle die Fragen betreffend die Gebietsabtretung 
und Kriegsentschädigung, das Options= und Aus- 
wanderungsrecht der Einwohner abgetretener Ge- 
bietsteile, die Freigabe der Kriegsgefangenen (mit 
Ausschluß derjenigen, die sich verbrecherischer 
Handlungen schuldig gemacht haben), enthält die 
Amnestieklausel und die neuerliche Bestätigung der 
vor dem Kriege bestandenen Verträge u. a. m. Erst 
durch die Abtretung wird dem Sieger die Staats- 
gewalt wirklich erworben, und zwar aus dem Titel 
der Rechtsnachfolge. Als Rechtsnachfolger des be- 
siegten Regenten kann der Eroberer (s. d. Art. Er- 
oberung) nun auch den eroberten Staat als den 
seinigen betrachten mit allem Vermögen und allen 
Forderungsrechten desselben. Auch eine schieds- 
richterliche Vereinbarung für den Fall von Mei- 
nungsverschiedenheiten bei der Auslegung und 
Durchführung des Vertrages kommt vielfach vor, 
desgleichen die Vereinbarung über die militärischen 
Maßnahmen, welche bis zur vollständigen Er- 
füllung des Vertrages geboten erscheinen. 
4. Der Friedensschluß hat die ethische Bedeu- 
tung des Vergebens und Vergessens sowohl der 
Friede. 
340 
Anlässe zu den Feindseligkeiten wie der durch die 
Feindseligkeiten einander zugefügten Leiden und 
Einbußen an Menschen und Sachkapital. Der 
Friede soll ein Gottesfriede, eine treuga Dei sein. 
Denn auch die Entscheidung der Waffen ist kein 
bloßes Spiel des blinden Zufalls, sondern in 
letzter Linie das Ergebnis einer geschichtlichen und 
providentiellen Notwendigkeit. Seit den ältesten 
Zeiten wurden daher die Friedensinstrumente in 
sakrosankter Form abgeschlossen (unter christlichen 
Staaten „im Namen der heiligsten Dreieinig- 
keit“, seit Aufnahme der Türkei in den europäi- 
schen Staatenverband „im Namen Gottes, des 
Allmächtigen"). 
Allgemeine Wirkungen des perfekten Friedens- 
schlusses sind: die endgültige Einstellung aller 
Feindseligkeiten; die völlige Erledigung des ca- 
sus belli; ferner der wechselseitige Verzicht auf 
Schadenersatz und Genugtuung betreffend die 
Kriegseinbußen, welche eine notwendige Folge der 
kriegerischen Aktion waren. Sie sollen abgetan 
und kompensiert sein. Man pflegt diese Haupt- 
wirkung des Friedens als Amnestie zu bezeichnen 
und in vielen Friedensinstrumenten in einer be- 
sondern Klausel des Vertrages ausdrücklich hervor- 
zuheben, die man Amnestie= oder Vergessenheits- 
klausel (cClausula oblivionis) nennt. Sie erstreckt 
sich auch auf das politische Verhalten der Unter- 
tanen der Kriegsparteien während des Krieges. 
Wegen solcher der patriotischen Pflicht gemäßen, 
wenn auch während des Kampfes vermöge des 
Hervortretens der militärischen Notwendigkeit mit 
den strengsten Strafen bedrohten Handlungen soll 
nach Abschluß des Friedens niemand verfolgt, 
beunruhigt oder beanstandet werden weder hin- 
sichtlich seiner Person noch seines Eigentums 
Züricher Friede 1859 Art. 22; Wiener Friede 
1864 Art. 23; Prager Friede 1866 Art. 10; 
Frankfurter Friede 1871 Art. 2; Präliminar= 
friede von San Stefano 1878 Art. 17, 27). 
DOhne besondere Vereinbarung bezieht sich die 
Annestie nicht auf Privatansprüche noch auf die 
von dem Streitgegenstande nicht berührten For- 
derungsrechte, welche zwischen den Frieden schlie- 
ßenden Staaten vor dem Kriege existierten und 
von diesem nicht berührt worden sind. Die etwa 
aus Unkenntnis des geschlossenen Friedens auf 
Nebenkriegsschauplätzen oder auf hoher See noch 
vollzogenen Kriegshandlungen sind nichtig und 
verpflichten zur Schadloshaltung. 
Der Friedensvertrag muß in allen seinen Be- 
stimmungen pünktlich ausgeführt werden. Für 
ihn gilt wie für andere Verträge das Prinzip der 
Unteilbarkeit, wenn nicht etwa in seinen Bestim- 
mungen selbst Teilbarkeit angeordnet ist. Werden 
einzelne Punkte nicht oder nur mangelhaft erfüllt, 
so wird der dadurch beeinträchtigte Staat auf Er- 
füllung dringen, und falls Garantiemächte vor- 
handen sind, deren Mitwirkung in Anspruch neh- 
men. Erst bei wirkungslosem Einschreiten wird 
der Vertrag in seiner Totalität hinfällig. 
  
  
— 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.