353
endigung der Fürsorgeerziehung soll rechtzeitig
Vorsorge getroffen werden.
Die Kosten der Überführung des Zöglings,
der dabei nötigen reglementsmäßigen ersten Aus-
stattung, der Beerdigung des während der Für-
sorgeerziehung verstorbenen und der Rückreise des
entlassenen Zöglings trägt der Ortsarmenverband
des Unterstützungswohnsitzes, alle andern Kosten
der Kommunalverband. Dem letzteren werden zwei
Drittel der erwachsenen Kosten vom Staate ersetzt.
Die zum Unterhalt Verpflichteten sind bezüglich
der entstandenen Kosten ersatzpflichtig. Dies bietet
einenotwendige Handhabe, pflichtvergessenen Eltern
fortgesetztihre Verantwortlichkeit fühlbar zu machen,
auch zu verhüten, daß gewissenlose Eltern sich der
Sorge um ihre Kinder entschlagen. In dem natür-
lichen Verhältnis zwischen Eltern und Kindern,
und in der daraus entspringenden Verantwortlich-
keit ruhen die starken sittlichen Pfeiler, deren Stütze
eine gute Erziehung der Kinder im allgemeinen
nicht entbehren kann. Das im Naturrecht wur-
zelnde elterliche Erziehungsrecht hat das Gesetz
mit starkem Schutz umgeben. Greift der Staat
in dieses Recht ein und tritt er aus Rücksicht auf
den Minderjährigen oder im Interesse der Gesell-
schaft an der Eltern Stelle, so hat er die selbst-
verständliche Pflicht, das Erziehungsrecht so aus-
zuüben, wie gute Eltern es tun. Um das Fest-
halten sicherer Grundsätze für das spätere Leben
zu verbürgen, muß die Erziehung auf eine reli-
giöse Grundlage ausgebaut werden. Die Ver-
tiefung dieser Grundlage ist nur möglich im Rah-
men des Bekenntnisses. In Würdigung dessen
bestimmt das preußische Gesetz: „Im Falle der
Anstaltserziehung ist der Zögling, soweit möglich,
in einer Anstalt seines Bekenntnisses unterzu-
bringen. Im Falle der Familienerziehung muß
der Zögling mindestens bis zum Aufhören der
Schulpflicht in einer Familie seines Bekenntnisses
untergebracht werden."“
Die dieser Bestimmung bei den gesetzgeberischen
Verhandlungen gegebenen Erläuterungen bieten
für die Wahrung der religiösen Erziehung eine
für die weitaus meisten Fälle ausreichende Bürg-
schaft. Wer einen Minderjährigen der angeord-
neten Fürsorgeerziehung oder auch dem darauf
gerichteten Verfahren entzieht oder hierbei behilf-
lich ist, wird nach dem über die berechtigte Grenze
weit hinausgehenden preußischen Gesetze mit Ge-
fängnis bis zu zwei Jahren und Geldstrafe bis zu
1000 M oder mit einer dieser Strafen bedroht.
Dasbayrische Gesetz betreffend die Zwangs-
erziehung vom 10. Mai 1902 lehnt sich an das
preußische Fürsorgeerziehungsgesetz an. Die An-
ordnung der Zwangserziehung erfolgt durch das
Vormundschaftsgericht und ist zulässig:
1) wenn die Voraussetzungen des § 1666 oder
des § 1838 des B. G.B. vorliegen und die Zwangs-
erziehung erforderlich ist, um die sittliche oder
körperliche Verwahrlosung des Minderjährigen zu
verhüten;
Staatslexilon. II. 3. Aufl.
Fürsorgeerziehung.
354
2) wenn der Minderjährige eine strafbare Hand-
lung begangen hat, wegen deren er in Anbetracht
seines jugendlichen Alters strafrechtlich nicht ver-
solgt werden kann, und mit Rücksicht auf die Be-
schaffenheit der Handlung, die Persönlichkeit der
Eltern oder sonstigen Erzieher und die übrigen
Lebensverhältnisse des Minderjährigen seiner wei-
teren sittlichen Verwahrlosung nur durch die
Zwangserziehung vorgebeugt werden kann;
3) wenn die Zwangserziehung zur Verhütung
des völligen sittlichen Verderbens des Minder-
jährigen notwendig ist.
Die Zwangserziehung soll nach Vollendung des
16. Lebensjahres eines Minderjährigen nur in
besondern Fällen angeordnet werden.
Das gerichtliche Verfahren erfolgt im Anschluß
an die Anzeigen, zu denen Staatsanwaltschaft,
Polizei und Schule verpflichtet sind. Eine An-
tragsbehörde besteht nicht.
Der Vollzug der angeordneten Zwangserziehung
ist der Distriktsverwaltungsbehörde, in München
der Polizeidirektion übertragen. Die Aufhebung
erfolgt durch das Vormundschaftsgericht. Vor-
läufige Entlassung kann auch die Distriktsverwal-
tungsbehörde verfügen. Über das 18. Lebensjahr
des Minderjährigen soll die Zwangserziehung nur
in besondern Fällen hinausgehen. Die Kosten
werden von der Heimatgemeinde, in Ermanglung
einer Heimat in Bayern von der Staatskasse be-
stritten, sind jedoch zu ersetzen von den zum Unter-
halte Verpflichteten oder aus dem verfügbaren
oder binnen 10 Jahren nach der Auphebung er-
worbenen Vermögen des Minderjährigen, falls
dies ohne Gefährdung des Lebensunterhalts an-
gängig ist. In Ermanglung zahlungsfähiger Ver-
pflichteter kann die Heimatbehörde beanspruchen,
daß ihr die Distriktsbehörde , die Staatskasse /
der Kosten erstattet. Die Entfernung eines Min-
derjährigen aus einer Anstalt oder Familie sowie
die Verleitung zur Entfernung bedroht das Gesetz
mit Geldstrafe bis zu 150 KM.
Die Gesetze der andern deutschen Bundesstaaten
stimmen in den Grundzügen mit denen Preußens
und Bayerns überein. Im einzelnen ergeben sich
Abweichungen. Das hessische Gesetz ist in seiner
Anwendbarkeit eingeschränkt auf Minderjährige,
welche das 6. Lebensjahr vollendet haben. Die
im preußischen Gesetze für die Anordnung der
Fürsorgeerziehung gezogene obere Grenze eines
Alters von 18 Jahren ist ausgedehnt auf das Alter
der Minderjährigkeit für Anhalt, Braunschweig,
Hamburg, Oldenburg, die beiden Reuß, die säch-
sischen Herzogtümer und Schwarzburg-Sonders-
hausen. Dagegen darf die Fürsorge-bzw. Zwangs-
erziehung nur für nicht mehr als 16 Jahre alte
Minderjährige ausgesprochen werden in Bremen,
Lippe, Lübeck, in den beiden Mecklenburg, Schaum-
burg-Lippe, Schwarzburg-Rudolstadt und Würt-
temberg. Elsaß-Lothringen läßt sie wie auch Bayern
für das Alter von mehr als 16 Jahren nur in be-
sondern Fällen zu.
12