Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

  
  
  
  
  
  
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unter im Alter von im Alter von 
12 Jahren 12 bis 16 Jahrens# bis 21 Jahren 
männl. weibl.s mãnni. sweibl.s mannl. weibl. 
1890/91 180 14 3276 402 18839 4148 
1899/1900 18 1 1193 60 12 178 2310 
  
  
Erziehung Reformatories and Industrial schools 
in 198 Anstalten 22 954 Knaben und 4919 Mäd- 
chen. Überweisung ist nur bis zu 16 (in Preußen. 
18) Jahren zulässig. An Kosten wurden aufgewen- 
det 11 815 840 sh, davon vom Staate 5 198 900, 
von den Gemeinden 4531 820, von den Eltern 
578300 M. Freiwillige Beiträge und Vermächtnisse 
brachten 7251960 M auf. Die Day lnqustrial 
schools, 24 an der Zahl, wurden Ausgang 1903 
von 3396 Kindern besucht. Von den Aufwendungen 
für dieselben 788 240 M trugen der Staat 148.000, 
die Gemeinden 532 340, die Eltern 60 040 Ml. Die 
Bestrafungen der Jugendlichen sind trotz der Be- 
völkerungszunahme gesunken in England von 4036 
im Jahre 1892 auf 1081 im Jahre 1902, in Schott- 
land von 718 auf 215. Das günstige Zahlenbild 
wird allerdings dadurch mitbeeinflußt, daß nicht 
die öffentliche, sondern die private Strafverfolgung 
in England die Regel bildet. Die Neigung dazu 
hat wegen des damit verbundenen Verlustes an 
Geld und Zeit abgenommen. 
Das norwegische Gesetz betreffend die Für- 
sorge für verwahrloste Kinder vom 6. Juni 1896, 
in Übersetzung abgedruckt in Bd XVII der „Zeit- 
schrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“, ver- 
dient besondere Beachtung. Es ist nur anwendbar 
auf noch nicht 16 Jahre alte Minderjährige, und 
zwar lediglich auf solche, welche a) eine von sitt- 
licher Verwahrlosung zeugende Straftat begangen 
haben, oder b) von pflichtvergessenen Eltern schlecht 
behandelt, mißhandelt werden, sittlich verkommen 
sind oder sittliche Verderbnis befürchten lassen, 
oder c) infolge schlechter Führung oder anderer 
mißlicher Verhältnisse halber unterzubringen sind, 
um sittlichen Untergang zu verhüten. Die Entschei- 
dung zu treffen ist Sache des für jede Gemeinde 
bestehenden Vormundschaftsrates (Bezirksrichter, 
Prediger und 5 von der Gemeindeverwaltung ge- 
wählte Mitglieder, darunter ein Arzt). Die der 
Regel nach bis zum vollendeten 18., keinesfalls 
über das vollendete 21. Lebensjahr hinaus aus- 
zudehnende Unterbringung erfolgt je nach Befund 
in einer Familie, einem Schulheim, Kinderheim 
oder einer ähnlichen Anstalt. 
Osterreich hat in den Bestrebungen auf dem 
Gebiete der Jugendfürsorge später eingesetzt als 
andere Staaten. Das dort an gesetzlichen Hand- 
haben Gebotene hat sich längst als unzulänglich 
erwiesen. Nur die Bestimmungen des Allgemeinen 
Bürgerlichen Gesetzbuches über die Entziehung der 
elterlichen Gewalt entsprechen den Anforderungen 
der Neuzeit. Die elterliche Gewalt ist als Schutz- 
pflicht aufgefaßt. Zu deren Erfüllung sind dem 
Vater gewisse Rechte eingeräumt. Die allgemein 
gehaltenen §§ 177 und 178 des A.B. G. B. über 
Entziehung und Beschränkung der väterlichen Ge- 
walt genügen aber nur, wenn Kinder oder Eltern 
Fürsorgeerziehung. 
  
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über Mittel zur Bestreitung der Kosten der Ab- 
hilfevorkehrungen verfügen. Fehlen die Mittel, so 
scheitern die Versuche, zu helfen. Von 6600 im 
Jahre 1905 wegen Verbrechen Verurteilten im 
Alter von 10 bis 20 Jahren waren 2507 sub- 
sistenzlos, 3910 lebten in ärmlichen, bloß 183 
in guten Verhältnissen. Die Armenversorgung 
hat nicht genügt. Nach § 16 Abs. 2 des Gesetzes 
vom 24. Mai 1885 kann die Vormundschafts- 
behörde auf Antrag der gesetzlichen Vertreter Ju- 
gendliche in eine Besserungsanstalt abgeben. Der 
Antrag unterbleibt jedoch, wenn die Eltern aus 
der Verwahrlosung des Kindes Nutzen ziehen oder 
für den sittlichen Zustand des Kindes ohne Ver- 
ständnis sind. Auch hinsichtlich der straffälligen 
Jugend ist Osterreich im Rückstande. Die Ge- 
setzgebung ist noch zu sehr vom Gedanken der Re- 
pression beherrscht. Ein Kind im Alter von 10 
bis 14 Jahren muß ohne Rücksicht auf sittliche 
Reife wegen jeder als Verbrechen gqualifizierten 
Handlung bestraft werden. 8 237 St.G.B. ist 
durch das Gesetz vom 24. Mai 1885 ergänzt wor- 
den. Hiernach kann das Strafgericht einen Straf- 
unmündigen unter 14 Jahren, der sich einer straf- 
baren Handlung schuldig gemacht hat, die nach den 
Bestimmungen des Strafgesetzes nur wegen Un- 
mündigkeit des Täters nicht als Verbrechen zu- 
gerechnet, sondern als Ubertretung bestraft wird, 
einer Besserungsanstalt überweisen. Erweist sich 
die strafbare Handlung nur als Vergehen oder 
Übertretung, so kann die Sicherheitsbehörde die 
Abgabe des Unmündigen in eine Besserungsanstalt 
verfügen, wenn er ganz verwahrlost oder ein an- 
deres Mittel zur Erziehung und Beaufsichtigung 
nicht ausfindig zu machen ist. Außerdem kann nach 
8§ 7 und 14 des Gesetzes gegen Jugendliche im 
Alter von 14 bis 18 Jahren die Zulässigkeit der 
Unterbringung in eine Besserungsanstalt, aber 
nicht über das 20. Lebensjahr hinaus, ausgesprochen 
werden bei Verurteilung wegen Landstreicherei, 
Bettelns, Arbeitsscheu, gewerbsmäßiger Unzucht 
und Zuhälterei und wegen Bruchs der Polizei- 
aufsicht. Die hier gezogenen Grenzen sind zu enge. 
Die obendrein oft mangelhaft eingerichteten Besse- 
rungsanstalten als einziges Erziehungsmittel sind 
unzulänglich. Das Gesetz schützt zum Teil schlechte 
Kinder guter Eltern, erschließt aber keine Wege, gute 
Kinder schlechter Eltern vor der drohenden Ge- 
fahr zu behüten. Die mehr und mehr gereifte Er- 
kenntnis, daß die unvollendete körperliche, geistige 
und sittliche Entwicklung der Jugendlichen schärfer 
berücksichtigt und auf Hebung der Ursache der 
Straffälligkeit hingewirkt werden muß, hat die 
Einbringung der dem österreichischen Abgeord- 
netenhause in der Session 1908 zugegangenen Vor- 
lage eines Gesetzes über die Fürsorgeerziehung ver- 
anlaßt. Der Entwurf, in welchem der Ausdruck 
„Zwangserziehung“, wie die Motive sagen, ab- 
sichtlich vermieden ist, behandelt und regelt nur 
ein Mittel des vorbeugenden oder bessernden Ein- 
greifens der öffentlichen Gewalt. Die Fürsorge-
	        
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