Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

369 
zeichnet wurden mit den Rechten der Gesetzgebung, 
Gerichtsbarkeit, hoher Polizei, Militäraushebung 
und Besteuerung. Die nicht in den Rheinbund 
aufgenommenen Fürsten, Grafen und Herren wur- 
den mediatisiert und zu privilegierten Untertanen. 
Die Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 
schufen den Deutschen Bund mit 39 Mitgliedern, 
deren Zahl aber durch Abgang verschiedener Häuser 
auf 33 herabsank. Vgl. d. Art. Deutsches Reich, 
Bd 1, Sp. 1215 ff und über die Mediatisierten 
vgl. d. Art. Adel Bd I, Sp. 83 f. 
Geschriebene Hausgesetze gab es vor dem 
14. Jahrh. nicht; erst seit dieser Zeit finden wir 
Ansätze seitens des Herrenstandes zur selbständigen 
Reglung des Familien= und Erbrechts, bisweilen 
sogar im Gegensatz zur allgemeinen Rechtsentwick- 
lung des Volkes. Und diese Urkunden zeigen oft 
eine fast wörtliche Ubereinstimmung. Seit dem 
15. Jahrh. ist die Familie des hohen Adels zur 
Genossenschaft mit korporativem Charakter ge- 
worden und der Boden zur Autonomie der hoch- 
adligen Familie gelegt worden. (Vgl. hierüber d. 
Art. Adel Bd I, Sp. 83 f.) — Im 18. Jahrh. 
macht sich in den Hausgesetzen bereits neben dem 
Familieninteresse schon mehr der staatliche Gesichts- 
punkt geltend. — Bis 1806 bildeten alle reichs- 
ständischen Geschlechter eine Standesgenossenschaft 
mit voller Ebenbürtigkeit untereinander. Durch die 
Mediatisierung zahlreicher reichsständischer Fürsten 
und Grafen wurden diese zu privilegierten Unter- 
tanen, ihre Hausverfassung blieb fortbestehen. Die 
souveränen Häuser begannen ihre Hausgesetze zu 
kodifizieren; so Württemberg durch das Haus- 
gesetz vom 1. Jan. 1808 und Bayern durch das 
Familiengesetz vom 28. Juli 1808. Die Mediati- 
sierten üben auch nach 1815 das Recht der Auto- 
nomie aus und entwickeln ihr Familienrecht auf 
diesem Wege weiter. Umfassende Hausgesetze wur- 
den im Laufe des 19. Jahrh. von einigen mediati- 
sierten Familien gemacht; so ist zu nennen das 
fürstlich Leiningische Hausgesetzvom 19. Juni 1867, 
ein fürstlich Fürstenbergisches Hausgesetz u. a. 
Wenrn in den Zeiten des alten deutschen Reiches 
öffentliches und privates Recht unklar gemischt sind, 
so tritt seit der Gründung der Verfassungen diese 
notwendige Scheidung ein, indem gewisse Grund- 
sätze, die bisher nur in den fürstlichen Hausgesetzen 
enthalten waren, nunmehr integrierende Teile der 
Landesverfassung, also zu Staatsrecht werden. So 
vor allem die Thronfolge und die Regentschaft. 
Für eine Reihe wichtigerer Materien des Thron- 
folgerechts bildet das fürstliche Hausrecht auch in 
der Gegenwart in vielen deutschen Staaten die 
unmittelbare Quelle, z. B. für die Frage der Eben- 
bürtigkeit. Dann erhebt sich die Frage, ob diese 
Hausgesetze nur Hausgesetzeskraft oder Staats- 
gesetzeskraft haben, ob also zur Aufhebung oder Ab- 
änderung eines Hausgesetzes Anordnung des Mon- 
archen mit Zustimmung der Agnaten genügt oder 
ob ein Staatsgesetz erforderlich ist. Die Beant- 
wortung dieser Frage ist für jeden Staat indivi- 
Fürst usw. 
  
370 
duell. Andere Gegenstände, die wesentlich privat- 
rechtlichen Inhalts sind, sind der hausgesetzlichen 
Regulierung vorbehalten (vgl. d. Art. Adel, Bd 1, 
Sp. 84). So sind noch im 19. Jahrh. entstanden 
das badische Hausgesetz vom 4. Okt. 1817 (wo- 
zu ergänzend hinzutritt das Apanagengesetz vom 
21. Juli 1839), das königlich bayrische Familien- 
statut vom 5. Aug. 1819, in welches das Familien- 
statut vom 18. Jan. 1816 aufgenommen wurde, 
das württembergische Hausgesetz vom 8. Juni 1828, 
das Hausgesetz für das Königreich Hannover vom 
19. Nov. 1836, das königlich sächsische Hausgesetz 
vom 30. Sept. 1837, das Hausgesetz für Sachsen- 
Coburg-Gotha vom 1. März 1855; das Wald- 
ecksche Hausgesetz datiert vom 1. Mai 1857. Das 
königlich preußische Haus hat bis heute kein wei- 
teres Familienstatut über die Dispositio Achillea 
von 1473 und den geraischen Vertrag vom 11. Juni 
1603 hinaus geschaffen; die entscheidende Norm 
für sein Hausrecht der Gegenwart bildet einstweilen 
die Hausobservanz, soweit die privatrechtlichen 
Seiten der Hausverfassung in Betracht kommen; 
die rein staatsrechtlichen Grundsätze der Thron- 
solge und Regentschaft sind in der Verfassungs- 
urkunde enthalten. (Vgl. v. Schulze-Gävernitz, 
Das deutsche Fürstenrecht in seiner geschichtlichen 
Entwicklung und gegenwärtigen Bedeutung, in 
Holtzendorffs Enzyklopädie I [I1890] 1349 ff.) 
III. Das deutsche Fürstenrecht der Gegen- 
wart. 1. Juristische Natur, Mitglieder 
und Organisation der Familie. Seit 
dem 14. und 15. Jahrh. wird die hochadlige Fa- 
milie als Genossenschaft mit korpora- 
tivem Charakter, als Gesamtpersönlichkeit 
betrachtet. Die Juristen des 16. und 17. Jahrh. 
bezeichnen sie als universitas (familia est tam- 
quam eivitas, sagt Zasius). Sie, die Familie, 
galt als Eigentümerin des Hausvermögens; das 
fürstliche Haus in seiner Gesamtheit ist also 
Rechtssubjekt. In allen Hausgesetzen wird zu- 
nächst der Bestand des fürstlichen Hauses 
festgestellt, indem die Mitglieder aufgezählt wer- 
den: der regierende Herr und seine Gemahlin, 
alle Prinzen und Prinzessinnen, welche von dem 
gemeinsamen Stammvater durch anerkannte recht- 
mäßige Ehen abstammen — die Prinzessinnen 
nur so lange, als sie unvermählt bleiben; mit ihrer 
standesgemäßen Vermählung treten sie in die Fa- 
milie ihres Gemahls —, ferner die Gemahlinnen 
der Prinzen und ihre Witwen während ihres 
Witwenstandes. Die weiblichen Glieder sind aber 
nur passive Genossen des Hauses, die volljährigen 
männlichen dagegen sind vollberechtigt; ohne ihre 
Zustimmung kann die Hausverfassung nicht ge- 
ändert werden. Alle Glieder des Hauses sind der 
Familiengewalt des regierenden 
Herrn unterworfen, der auch eine gewisse Diszi- 
plinargewalt gegen alle Mitglieder des Hau- 
ses besitzt für Verletzung der Hausgesetze oder 
Ungehorsam gegen seine Anordnungen oder ein 
mit der Ehre des Hauses nicht vereinbares Ver-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.