Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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halten, doch dies nur in Gemäßheit der Haus- 
gesetze und des Herkommens. 
Das die Gesamtheit des fürstlichen Hauses 
repräsentierende Organ ist der Familienrat, 
der entweder von sämtlichen volljährigen Agnaten 
oder von einzelnen gewählten Vertretern derselben 
gebildet wird. Seine Befugnisse sind: Mitwir- 
kung bei der Versagung von Ehekonsensen, Ent- 
scheidung über Ebenbürtigkeitszweifel, Mitwirkung 
in Familiendisziplinarfällen, Uberwachung der 
Erhaltung der Substanz des Hausvermögens und 
Erteilung der Einwilligung zu Veräußerungen 
von Bestandteilen des Hausvermögens, Zustim- 
mung zu Kuratelverhängungen über Mitglieder 
des Hauses, Mitwirkung bei Anderungen der 
Hausverfassung, Schlichtung von Streitigkeiten 
zwischen Mitgliedern des Hauses usw. 
2. Die Hausgesetze des bayrischen 
Hauses. ÜUber die Entwicklung des geltenden 
Familienrechts des königlich bayrischen Hauses 
macht Max v. Seydel (Bayrisches Staatsrecht 1 
121896) 202 ff) interessante Ausführungen. Er 
geht aus von der durch die Auflösung des alten 
deutschen Reiches und den Erwerb der Souveräni- 
lät hervorgerufenen Umgestaltung der Stellung 
des bayrischen Landesherrn zu den Mitgliedern 
seines Hauses, die ihre Reichsunmittelbarkeit ver- 
loren und zu Untertanen des Königs wurden. Da- 
mit wurden natürlich auch die rechtlichen Grund- 
lagen der Hausverfassung völlig andere. Vorher 
stand der Landesherr den reichsunmittelbaren Glie- 
dern seines Hauses in Bezug auf die Hausgesetze 
nicht unbeschränkt gegenüber, als souveräner König 
aber ist er seinen nunmehrigen Untertanen gegen- 
über unumschränkt auch in Bezug auf die Haus- 
gesetze. Er ist jetzt nicht mehr gleichberechtigter 
Vertragsteil, sondern Gesetzgeber; eine Zustim- 
mung der Agnaten zu den Hausgesetzen braucht 
der souveräne König nicht einzuholen, wie denn 
auch der König in dem unterm 28. Juli 1808, 
aber erst 1810 erlassenen Familiengesetz ausdrück- 
lich feststellt, daß er die Befugnis in Anspruch 
nimmt, die Verhältnisse seines Hauses allein zu 
regeln, daß ferner das Familiengesetz ein prag- 
matisches Staatsgesetz sei, das als Anhang der 
Verfassung anzusehen sei und mit jener gleiche 
Gewähr genießen solle. Denselben Charakter trägt 
das Familiengesetz vom 18. Jan. 1816. Diese 
rechtlichen Verhältnisse mußten sich ändern mit 
dem Erlaß der Konstitution für Bayern. Die 
Verfassungsurkunde überläßt alle Bestimmungen 
über die Verhältnisse des königliches Hauses, so- 
weit sie nicht in der Verfassung selbst geordnet 
sind, der Hausgesetzgebung. Wo es sich aber um 
die Festsetzung von öffentlich-rechtlichen Verpflich- 
tungen der Staatskasse, also um eine staatsrecht- 
liche Frage handelt, da ist das Gesetzgebungsrecht 
des Königs an die Mitwirkung des Landtags ge- 
bunden, dagegen ist eine Mitwirkung der Agnaten 
nicht erforderlich. Zwar ist bei der Uberarbeitung 
Fürst usw. 
  
des Familiengesetzes die Ansicht durchgedrungen, 
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daß der König die Verhältnisse seines Hauses nur 
mit Zustimmung aller Agnaten regeln könne, und 
tatsächlich wurde dann am 5. Aug. 1819 das neue 
Familienstatut unter Zustimmung der Agnaten 
des königlichen Hauses erlassen. Indessen ist 
später eine Reihe von Abänderungen dieses Fa- 
miliengesetzes ohne Zustimmung der Agnaten ver- 
fügt worden. Das Familienstatut ist, wie es darin 
heißt, „ein pragmatisches Hausgesetz, welches nicht 
nur sämtliche Mitglieder Unseres (sc. des könig- 
lichen) Hauses verbindet, sondern auf dessen Be- 
obachtung auch sämtliche Staatsministerien und 
übrige Landesstellen angewiesen werden". Das 
königliche Haus umfaßt auch die herzogliche Linie 
des Hauses Wittelsbach. Über die einzelnen Be- 
stimmungen dieses Familienstatuts vgl. M. v. Sey- 
del a. a. O. 208 ff. Hier sei nur noch erwähnt 
die Bestimmung über den Familienrat. Der 
Titel X, §§ 4/8 des Statuts bestimmt, daß der 
König zur Entscheidung wichtiger Fälle in persön- 
lichen Angelegenheiten der Mitglieder des könig- 
lichen Hauses einen Familienrat als „königlichen 
obersten Gerichtshof“ berufen kann. Dieser Fa- 
milienrat besteht aus dem König, dem Kron- 
prinzen, wenn er volljährig ist, den übrigen Prin- 
zen des Hauses, welche 21 Jahre alt sind, den 
Kronbeamten und den Staatsministern. Der 
Familienrat erkennt „nach den rechtlichen Verhält- 
nissen des Falles“. Seine Entscheidung bedarf 
der Bestätigung des Königs, kann also vom König 
auch abgeändert werden. 
Das württembergische Hausgesetzvom 
8. Juni 1828 berücksichtigt vielfach das vorge- 
nannte bayrische vom 5. Aug. 1819. In Gemäß- 
heit dieses Hausgesetzes von 1828 steht dem König 
von Württemberg als Haupt des Hauses das Recht 
zu, „alle für Erhaltung der Ruhe, Ehre, Ord- 
nung und Wohlfahrt des königlichen Hauses an- 
gemessenen Maßregeln zu nehmen“. (Vgl. v. Sar- 
wey. Das Staaterecht des Königreichs Württem- 
berg 1 18831.) 
3. Inhalt der Familiengewalt des 
Oberhauptes in den regierenden Häu- 
sern. So sehr es anzuerkennen ist, daß die ganz 
besondere Stellung der Mitglieder eines regieren- 
den Hauses, die Übelstände, welche sich aus einer 
unpassenden, mit der Würde der Krone nicht im 
Einklang stehenden Handlungsweise derselben er- 
geben, das Interesse, welches Herrscher und Land 
an einer Ordnung der Vermögensverhältnisse des 
Herrscherhauses haben, welche eine glänzende Stel- 
lung des Souveräns und eine passende und dem 
Ansehen seiner Dynastie entsprechende Situation 
der Mitglieder derselben verbürgt, besondere ge- 
setzliche Vorschriften zum Zweck der Sicherstellung 
dieser Interessen erwünscht machen, so kann doch 
ohne positive gesetzliche Vorschriften von einer 
solchen Familiengewalt nicht die Rede sein. Die 
Grenzen einer derartigen Gewalt können je nach 
Lage der Verhältnisse sehr verschieden sein. Wohin 
würde man gelangen, wenn alles, was im öffent-
	        
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