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das äußerste Mittel; noch weitergehende Mittel,
deren Anwendung also auch in Zukunft nicht aus-
geschlossen sei, seien die Konfiskation und die Ex-
patriierung. Dann fuhr der Redner fort: „Das
ist die Proklamierung der Staatsomnipotenz
gegenüber dem Recht des einzelnen; die Prokla-
mierung eines politischen Materialismus, wie wir
ihn bei Machiavelli finden, wie wir ihn aber mit
unserem christlichen Staatsprinzip nicht vereinigen
können.“ Vor den unabänderlichen Grundsätzen
des Rechts und der Gerechtigkeit müsse die Staats-
raison haltmachen. Diese Grundsätze sind die
Grundlagen, auf denen sich unser Staat, unsere
Monarchie aufbaut, und an ihnen zu rütteln ist
höchst gefährlich.“ In zweiter Lesung fand nament-
liche Abstimmung über einen Kompromißantrag
der Mehrheitsparteien — Konservative, Freikon=
servative, Nationalliberale — statt, der dem Ent-
eignungsparagraphen in seinem ersten Absatz fol-
gende Fassung gibt: „Dem Staat wird das Recht
verliehen, in den Bezirken, in denen die Siche-
rung des gefährdeten Deutschtums nicht anders
als durch Stärkung und Abrundung deutscher
Niederlassungen mittels Ansiedlungen möglich er-
scheint, die hierzu erforderlichen Grundstücke in
einer Gesamtfläche von nicht mehr als 70 000 ha
nötigenfalls im Weg der Enteignung zu er-
werben.“ Offentliche Gotteshäuser und Begräb-
nisstätten sollten von der Enteignung ausge-
schlossen sein. In dieser Fassung wurde der Ent-
eignungsparagraph mit 198 gegen 116 Stimmen
angenommen. Mit der aus Zentrum, Polen und
Freisinnigen gebildeten Minderheit stimmten auch
einige Konservative, darunter der Präsident des
Abgeordnetenhauses, v. Kröcher. Nach der dritten
Lesung am 18. Jan., in der keine Anderungen
mehr vorgenommen wurden, kam der Entwurf
am 20. Jan. an das Herrenhaus. Bei der Zu-
sammensetzung dieser Kammer — der Adel und
der Großgrundbesitz stellen die Mehrzahl der Mit-
glieder — schien die in weiten Kreisen gehegte
Hoffnung auf Ablehnung der Vorlage nicht un-
berechtigt. Die Opposition gegen dieselbe war hier
noch stärker wie im Abgeordnetenhaus. Der Fürst-
bischof von Breslau, Kardinal Kopp, bekämpfte
in einer Rede, die durch Ernst und Sachlichkeit
im ganzen Hause großen Eindruck machte, die
Vorlage. Er hob u. a. die kirchenpolitischen Be-
denken gegen die Enteignung hervor und würdigte
die Gründe der „Staatsraison“ in folgender
Weise: „Sie haben gesagt: inter arma silent
leges, und haben diesen Rechtsgrundsatz so weit
ausgedehnt, daß vor den Staatsnotwendigkeiten.
die unverrückbaren Grundsätze in den Hintergrund
treten. Nun, meine Herren, da gibt es überhaupt
keine unverrückbaren Grundsätze mehr, wenn das
subjektive Ermessen allein zu entscheiden hat. Dann
sollte man ganz einfach nur sagen: Macht geht vor
Recht.“ Gegen die Vorlage sprachen insbesondere
noch die Grafen v. Oppersdorff und v. Tiele-Winck-
ler. Die zur Vorberatung eingesetzte Herrenhaus-
Entente cordiale — Episkopat.
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kommission hob die Einschränkung der Enteig-
nungsbefugnis auf 70 000 ha auf, erweiterte da-
gegen den Kreis der Grundstücke, die von der
Enteignung ausgeschlossen sein sollten. Bei der
zweiten Beratung im Plenum am 26. und
27. Febr. wurde ein Antrag Adickes angenommen,
der die vom Abgeordnetenhaus beschlossene Fassung
wiederherstellte und die Ausnahmen von der Ent-
eignung ausdehnte auf Grundstücke, die im Eigen-
tum von Kirchen und von Religionsgesellschaften,
denen Korporationsrechte verliehen sind, stehen,
sofern der Eigentumserwerb vor dem 26. Febr.
1908 vollendet war, sowie auf Grundstücke, die im
Eigentum von Stiftungen, die als milde aus-
drücklich anerkannt sind, stehen, sofern der Eigen-
tumserwerb vor dem 26. Febr. 1908 vollendet
war. Die Annahme erfolgte mit 143 gegen 111
Stimmen. Mit der Minderheit stimmte der
größte Teil der Vertreter des hohen Adels und
des Großgrundbesitzes. Am 3. März nahm auch
das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf in der
vom Herrenhaus abgeänderten Form an. Am
20. März 1908 wurde das Gesetz veröffentlicht;
eine Anwendung hat es bis zum Schlusse des
Jahres noch nicht gefunden.
[1—4 Spahn; 5 Jul. Bachem.]
Entente cordiale s. Allianz (Bd L, Sp.177).
Episkopat. Das Wort Episkopat hat nach der
kirchenrechtlichen Terminologie drei verschiedene,
wenngleich innig verknüpfte Bedeutungen. Das-
selbe bezeichnet erstens die Gesamtheit aller Bi-
schöfe, collegium episcoporum, den Bischof von
Rom als Träger des Primats eingeschlossen;
zweitens aber die Gesamtheit der Bischöfe mit
Ausschluß des Bischofs von Rom oder des Papstes
und bildet in dieser engeren Bedeutung den be-
grifflichen Gegensatz zu dem Wort Primat; drit-
tens endlich den Inbegriff der besondern Befähi-
gungen, welche mittels sakramentalen Aktes ver-
liehen werden und die bischöfliche Würde oder das
bischöfliche Amt konstituieren, derartig, daß es in
dieser dritten, abstrakten Bedeutung in die Kat-
egorie der Ausdrücke Presbyterat, Diakonat fällt,
wie sich aus den Benennungen ordo episcopatus,
presbyteratus, diaconatus ergibt. An dieser
Stelle soll der Episkopat nach der zweiten Bedeu-
tung Gegenstand näherer Erörterung sein, und
zwar 1) nach seinem Ursprung, 2) nach seinem
Wesen und nach seiner äußeren Betätigung, und
3) nach seiner Organisation oder Gliederung in
dem kirchlich hierarchischen Organismus.
I. Arsprung des Epistopats. Die von Chri-
stus verheißene Einrichtung, mittels welcher sich
sein Lehramt in dem vom Heiligen Geist geleiteten
Lehrkörper, sein Mittleramt in den vom Heiligen
Geist geweihten Priestern des Neuen Bundes, sein
Hirtenamt in den vom Heiligen Geist bestellten
und mit seiner Gewalt betrauten Hierarchen und
damit auch sein gottmenschliches Leben in der durch
die göttliche Wahrheit und Gnade bewirkten gott-
verbundenen Lebensgemeinschaft der Christgläu-