Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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der König verpflichtet, das englische Volk nach dem 
Recht und den Gesetzen des Landes zu regieren, 
Gerechtigkeit und Gnade in allen Urteilen zu üben 
und die englische Staatskirche, ihre Verfassung, 
Disziplin und Glaubenslehre und die Privilegien 
des Klerus zu wahren. Dazu kommt die berüchtigte 
Erklärung des Königs „gegen die Transubstan- 
tiation“, die der König gleich im ersten Parla- 
ment vor oder unmittelbar nach der Krönung ab- 
zugeben hat. Im Jahre 1901 hat das Haus der 
Lords eine kleine Milderung dieser verletzenden 
Auslassungen gegen katholische Glaubenssätze vor- 
geschlagen; doch ist dieser Vorschlag bedauerlicher- 
weise nicht Gesetz geworden, so daß nach wie vor 
den Katholiken heilige Glaubenssätze als super- 
stitious and idolatrous bezeichnet werden. Auch 
in Schweden darf der König die Regierung erst 
dann antreten, wenn er den ihm in einem schwe- 
dischen Reichstagsbeschluß vom 2. Mai 1810 8 8 
vorgeschriebenen Eid abgelegt hat. Dieselbe Vor- 
schrift besteht durch das norwegische Grundgesetz 
für den König von Norwegen. 
Auch das dänische Grundgesetz vom 28. Juli 
1866 bestimmt in seinem § 7, daß der König, ehe 
er die Regierung antritt, im Staatsrate schriftlich 
die eidliche Versicherung abgeben soll, das Grund- 
gesetz des Reiches unverbrüchlich halten zu wollen. 
Falls der König wegen Abwesenheit oder sonst 
einem Grund nicht unmittelbar beim Thronwechsel 
den Eid leisten kann, wird die Regierung, bis die 
Eidesleistung geschehen, vom Staatsrate geführt. 
III. Volitischer Eid. In einigen deutschen 
Staaten kennt man auch die Vereidigung aller 
oder doch der die Ausübung der politischen Rechte 
anstrebenden Untertanen männlichen Geschlechtes 
zu Treue und Gehorsam gegen Landesherrn und 
Verfassung. Ferner ist überall in den Amtseid 
der Beamten die Beeidigung auf die Verfassung 
aufgenommen; endlich wird in allen Staaten 
von den Mitgliedern der gesetzgebenden Körper- 
schaften der Eid auf die Verfassung geleistet. 
Wie wenig im gegebenen Falle unter Umständen 
dieser Verfassungseid der Abgeordneten von seiten 
der Sozialdemokratie respektiert wird, zeigt u. a. 
eine Auslassung Bebels auf dem Parteitage in 
Lübeck im Sept. 1901, wonach die Sozialdemo- 
kratie den Eid als leere Form betrachte und sich 
dadurch nicht gebunden halte. 
IV. Rechte der Bolksvertretung zur Wah- 
rung der Berfassung (Verfassungsänderung und 
Budgetrecht). Das Volk hat ein Recht auf Er- 
haltung und Beobachtung der Verfassung und auf 
die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten 
nach Maßgabe der Verfassung und der Gesetze des 
Landes. Eine Garantie gegen voreilige, wenn auch 
gesetzmäßige Abänderung der Verfassung 
stellt die Bestimmung dar, daß eine solche nur bei 
Anwesenheit einer bestimmten Anzahl von Mit- 
gliedern der konstitutionellen Körperschaften und 
mit einer Zweidrittelmajorität beschlossen werden 
kann (s. das Nähere im Art. Staatsverfassung). 
Garantien, staatsrechtliche. 
  
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Mit der Ausübung und Wahrung der dem Volke 
verfassungsmäßig zustehenden Rechte ist die Volks- 
vertretung betraut. Diese Rechte sind doppelter 
Natur: es ist einmal das Recht der Mitwirkung 
bei der Ausübung von Regierungsrechten, dahin 
gehört 1) das Recht der Zustimmung zu allen Ge- 
setzen, 2) das Recht der Teilnahme an der Aus- 
übung der Finanzgewalt, hier vor allem das 
Steuerbewilligungsrecht; dann sind es die Rechte 
der Volksvertretung zur Wahrung der Verfassung 
und der verfassungsmäßigen Rechte der Staats- 
bürger; dahin gehört das Recht, Adressen an den 
Monarchen zu richten, das Recht behufs ihrer In- 
formation Kommissionen zu Untersuchung von Tat- 
sachen zu ernennen, dann das Recht, an die Volks- 
vertretung gerichtete Schriften an die Minister zu 
überweisen und von diesen Auskunft zu verlangen, 
endlich das Recht der Ministeranklage. — Der 
Wirkungskreis des Landtages hat einen doppelten 
Schwerpunkt: Mitwirkung bei der Gesetzgebung 
und bei der Finanzverwaltung in partikularrecht- 
lich verschiedenem, überall aber das Recht der Zu- 
stimmung zum Etat (Budget), zur Aufnahme von 
Anleihen, Übernahme von Staatsgarantien, Ver- 
außerung von gewissen Bestandteilen des Staats- 
vermögens sowie zur Kontrolle der Finanzverwal- 
tung gewährendem Umfang. Zu den legislativen 
Funktionen gehörtdie Genehmigung solcher Staats- 
verträge, deren Vollzug in das Gebiet der gesetz- 
gebenden Gewalt eingreift; ferner gehört hierher 
die Veränderung der Staatsgrenzen, Einleitung 
und Beendigung der Regentschaft, Entgegennahme 
des Verfassungseides seitens des Monarchen und 
Regenten, Erhebung der Ministeranklage. Wäh- 
rend die Staatsrechtslehrer Schulze und G. Meyer 
dem Landtag „ein das ganze Gebiet der Verwal- 
tung umfassendes Recht der Kontrolle“ zuschreiben, 
wird dies von andern, z. B. Anschütz, bestritten. 
Danach besteht dieser Anspruch nur, soweit Spe- 
zialgesetze ihn für einzelne Zweige und Funktionen 
der Regierungstätigkeit gewähren (wichtigster Fall: 
die Finanzkontrolle). Der Gedanke einer über- 
wachenden, kontrollierenden, kritisierenden Tätig- 
keit des Landtages kommt zum Ausdruck im Peti- 
tionsrecht und im Informationsrecht. Ersteres 
kann der Landtag sowohl von sich aus, von Amts 
wegen ausüben, indem er „Adressen“ an die 
Krone, „Resolutionen“ an die Minister richtet, 
oder in Verfolg von Anträgen und Beschwerden 
Dritter. Das Informationsrecht umfaßt zweierlei: 
einmal die Befugnis, Anfragen, „Interpellationen“ 
an die Minister zu richten, und sodann das we- 
sentlich nur durch die preußische Verfassungs- 
urkunde in geringerem Grade von dem bayrischen 
Recht ausgebildete Recht der parlamentarischen 
Untersuchungen. Die Zulässigkeit der Interpella- 
tionen folgt aus dem Grundsatz der Ministerver- 
antwortlichkeit. 
Da unsere konstitutionellen Verfassungen be- 
stimmtbegrenzte Selbstbeschränkungen derabsoluten 
Monarchiesind, sobesitztder Landtag überall nur die- 
 
	        
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