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strafe. und sonstigen Leibesstrafen zurück. Das
ganze Mittelalter hindurch übte die Kirche einen
wohltätigen Einfluß auf den Strafvollzug; es
stand derselben eine gewisse Mitaufsicht über die
Gefängnisse zu. Kaiser Honorius, der Sohn des
Theodosius, erließ ein Gesetz, daß der Richter sich
jeden Sonntag die Gefangenen vorführen lassen
müsse, um sich zu überzeugen, ob sie human be-
handelt und gehörig verpflegt würden. Den Bi-
schöfen übertrug der genannte Kaiser die Aufgabe,
die Richter an ihre Pflichten zu erinnern. Kaiser
Justinian ordnete durch Gesetz vom Jahre 529
an, daß die Bischöfe zweimal in der Woche die
Gefangenen besuchen und sich nach der Ursache
ihrer Einkerkerung erkundigen sollten. Ferner hatten
dieselben die städtischen Behörden zu humaner Be-
handlung der Gefangenen anzuhalten und die
Säumigen dem Kaiser anzuzeigen. Ganz vortreff-
liche Anweisungen für die Ausübung der kirch-
lichen Mitaufsicht über die Gefängnisse hat der
heilige Erzbischof Karl Borromäus auf zwei Syn-
oden zu Mailand gegeben, zuletzt im Jahre 1579;
der vom Bischof beauftragte Geistliche solle sich
regelmäßig im Gefängnis erkundigen, quae illo-
rum cura adhibeatur, cum in primis ad
animae salutem, tum etiam ad corporis sus-
Gefängniswesen.
tentationem.
Seit dem Ende des 17. Jahrh. bildete sich mehr
und mehr ein System der Freiheitsstrafen aus;
doch waren bis in das 19. Jahrh. herein im
allgemeinen die Einrichtungen für den Vollzug
dieser Strafen nach verschiedenen Richtungen über-
aus mangelhaft. Es herrschte das bloße Sühne-
prinzip mit Ausschluß jeglichen Besserungsgedan-
kens; vielfach wurden die schwersten Verbrecher
und die wegen leichter Straftaten sowie die
zu bloßem Sicherheitsarrest und zur Schuldhaft
oder Untersuchungshaft Verurteilten in denselben
Räumen untergebracht. Der Beginn der Gefäng-
nisverbesserung ist zurückzuführen auf einzelne
Musteranstalten, insbesondere auf die Casa di
custodia San Michele, welche Papst Klemens XI.
im Jahre 1703 durch den Architekten Fontana-
erbauen ließ. Diese für jugendliche Ubeltäter be-
stimmte Anstalt trug die Inschrift: Parum est
coercere improbos poena, nisi probos efficias
disciplina. Dieselbe sollte nicht bloß ein Straf-
und Arbeitshaus, sondern auch eine Besserungs-
anstalt sein; deshalb waren die Gefangenen nach
ihrem Alter und ihrer sittlichen Beschaffenheit in
verschiedene Klassen eingeteilt, Einzelzellen beson-
ders zum Zwecke der Isolierung während der Nacht
eingerichtet, gemeinsame Arbeit unter Stillschwei-
gen angeordnet sowie für religiösen Unterricht und
religiöse Ubungen gesorgt. Eine Musteranstalt war
auch das nach den Vorschlägen des Vicomte Vi-
lain XIV. zu Gent im Jahre 1775 eröffnete
große Zuchthaus (maison de force).
Ein allgemeiner Umschwung in der Behand-
lung des Gefängniswesens trat ein infolge der
Wirksamkeit des englischen Philanthropen John
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Howard, welcher nach eigenen übeln Erfah-
rungen in Brest die Gefängnisse in England,
Deutschland, Frankreich, Italien, Portugal, der
Türkei und Nordamerika erforschte und darüber
den berühmten Bericht State of the prisons in
England and Wales with preliminary obser-
vations and an account of some foreign
prisons, zuerst 1774 (deutsch im Auszuge von
Köster 1780), veröffentlichte. Die Mißstände,
welche Howard feststellte, bestanden in der unter-
scheidungslosen Zusammensperrung der verschie-
densten Verbrecherklassen ohne Rücksichtnahme auf
Alter und Geschlecht, in Unzulänglichkeit des
Raumes, in mangelhafter Ernährung, schlechter
Luft und Feuchtigkeit in den Gefängniszellen,
Mangel an Licht und freier Bewegung in Hof-
räumen, Unreinlichkeit des Körpers und Unsitt-
lichkeit unter den Gefangenen, Verabreichung von
Spirituosen, Karten= und Würfelspiel. Zur Be-
seitigung der obwaltenden Verderbnis und Förde-
rung des Besserungszweckes befürwortete Howard,
welcher der von ihm vertretenen Sache persönlich
ein großes Vermögen opferte, die Zellenhaft, „weil
Einsamkeit und Stille dem Nachdenken günstig
seien und vielleicht Reue bewirken könnten“, ferner
die Einrichtung von Arbeitssälen für minder schwere
Verbrecher, und unter allen Umständen Trennung
der Gefangenen während der Nachtzeit.
II. Systeme. 1. Pennsylvanisches oder
Buß= (Solitary) System. Die 1776 zu
Philadelphia (im Quäkerstaate Pennsylvanien)
zum Zwecke der Verbesserung des Gefängniswesens
gegründete Gefängnisgesellschaft stellte, von der
Isolierung der Sträflinge ausgehend, den rich-
tigen Grundsatz der Besserung durch religiöse Ein-
flüsse an die Spitze, gelangte aber in der praktischen
Durchführung zu schädlichen Ubertreibungen. So
waren die Zellen ursprünglich ohne Licht, damit
durch die Dunkelheit das Gemüt und das Ge-
wissen um so tiefer ergriffen würden. Der Grund-
gedanke dieses Systems ist die gänzliche Verein-
samung der Gefangenen bei Tag und bei Nacht
unter grundsätzlicher Ausschließung jeder Arbeit.
2. Auburnsches oder Schweig-(Silent)
System, im Staate Neuyork eingeführt, besteht
in der Trennung der Gefangenen bei Nacht und
in gemeinschaftlicher Arbeit unter strengstem
Schweigen während des Tages sowie in der Klas-
sifikation nach Alter und sittlicher Beschaffenheit.
3. Sog. Klassifikationssystem. Hier
sind die Gefangenen nicht bloß nach Alter, Ge-
schlecht, Art des Verschuldens, Bildungsgrad und
Arbeitsfähigkeit, sondern auch nach der gleichen
Stufe der Sittlichkeit und Besserungsfähigkeit zu
klassifizieren und sollen in solchen Klassenabtei-
lungen zusammen arbeiten, ein Ziel, welches prak-
tisch kaum erreichbar erscheint und dessen Verwirk-
lichung in unzulässiger Weise in das Ermessen des
Anstaltsvorstehers gestellt ist.
4. Modifiziertes Pennsylvanisches
System, bei welchem die Gefangenen möglichst