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in Zellen untergebracht sind, auch in der Kirche
und in der Schule (in stalls) sowie bei Spazier-
gängen (in Einzelhöfen) getrennt gehalten, aber
zu nutzbringender Arbeit herangezogen und regel-
mäßig durch die Anstaltsbeamten besucht werden.
5. Irisches oder Progressivsystem (be-
sonders ausgestaltet von Walter Crofton, Direktor
des irischen Gefängniswesens) verbindet Einzel-
haft mit Gemeinschaftshaft und führt Zwischen-
anstalten sowie Beurlaubung ein. Das erste der
vier Stadien ist die neun= bzw. achtmonatige
Einzelhaft, dann folgt Gemeinschaftshaft in meh-
reren Klassen mit fortschreitenden Erleichterungen
und Vergünstigungen, wobei aber schlechte Füh-
rung Zurückversetzung in eine niedere Klasse zur
Folge hat. Das dritte Stadium, die Zwischenan-
stalten, in denen der Gefangene ohne Aussicht und
äußere Sträflingsmerkmale (Gefängniskleidung)
arbeitet, soll den Übergang zur Freiheit ver-
mitteln. Hier darf der Sträfling auf Tage und
Wochen zu Arbeiten außer der Anstalt beurlaubt
werden. Viertes Stadium ist die bedingungsweise
Freilassung auf Widerruf gegen Urlaubsschein.
Theoretisch hat das letzte System unverkennbare
Vorzüge, weil es am meisten ermöglicht, der In-
dividualität der Sträflinge Rechnung zu tragen;
die praktische Durchführung wird aber durch dessen
Umständlichkeit und die bedeutenden materiellen
Erfordernisse, weitläufige Baulichkeiten und großen
Beamtenapparat, sehr erschwert. Als das praktisch
brauchbarste gilt gegenwärtig das Modifizierte
Pennsylvanische Einzelhaftsystem, wiewohl Straf-
rechtslehrer und Praktiker in ihren Meinungen
über die Vorzüge und Nachteile der Einzelhaft
noch weit auseinandergehen. Die Frage, ob Einzel-
oder Gemeinschaftshaft, kann weder im einen noch
im andern Sinne absolut beantwortet werden; sie
wird immer relativer Natur sein. Je nach der Lage
des Falles (Gelegenheits= oder Gewohnheitsver-
brecher, Erstbestrafter oder Rückfälliger, Südländer
oder Nordländer, Geschlecht, Lebensweise, Beruf,
Bildung, Strafdauer) wird bald die eine bald die
andere Haftform zweckentsprechender sein. Immer-
hin werden die vielen und großen Vorteile der
Einzelhaft dieser bei rationellem Vollzug wohl in
den meisten Fällen den Vorzug vor der Gemein-
schaftshaft geben. In Deutschland wurden die
ersten Zellengefängnisse 1845 in Bruchsal und
1846 in Moabit (letzteres nach dem Muster von
Pentonville, einer Anstalt in einer Vorstadt Lon-
dons) eröffnet. Es folgten die Strafanstalten zu
Münster und Ratibor, Breslau, Köln, später
Nürnberg, Freiburg usw. und in neuester Zeit
Saarbrücken, Anrath.
III. Ziele des modernen Strafvollzugs.
Gerechte Vergeltung und Besserung der Gefangenen
sind die für den Strafvollzug maßgebenden Prin-
zipien. Der Gefangene soll nicht bloß unschädlich
gemacht und gestraft, sondern auch moralisch wie-
der gehohen werden. Ohne Beeinträchtigung des
Zwangscharakters der Strafe muß daher die Frei-
Gefängniswesen.
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heitsentziehung alle diejenigen Einflüsse auf den
Gefangenen wirken lassen, welche der sittlichen
Hebung und der Fortbildung desselben dienen.
Seelsorge und Unterricht kommen dabei zunächst
in Betracht. In den zur Verbüßung längerer Frei-
heitsstrafen bestimmten Gefängnissen ist denn auch
durchweg Vorsorge getroffen, daß der Gefangene
in der Lage ist, seine religiösen Pflichten zu er-
füllen und die Lücken der elementaren Schulbil-
dung zu ergänzen. In der auch für andere Bundes-
staaten vorbildlich gewordenen Dienst= und Haus-
ordnung für die badischen Zentralstrafanstalten
von 1890 sind die Ziele 'des Strafvollzugs kurz
und treffend dahin zusammengefaßt: „Mit der
Zufügung des gesetzlichen Strafübels und der
Aufrechterhaltung der Ordnung und Zucht sind
sittliche Besserung, Erhaltung der Gesundheit,
Fortbildung der Sträflinge und, wo nötig und
tunlich, Förderung der Schutzfürsorge für zu Ent-
lassende zu verbinden. Auf diese Ziele ist mit
Strenge, Gerechtigkeit und Menschlichkeit sowie
ohne willkürliche Bevorzugung mit Behandlung
nach der Eigenart (der geistigen und körperlichen,
den Bildungs= und Berufsverhältnissen, dem Ge-
genstand und Grad der Verschuldung) der Sträf-
linge hinzuarbeiten. Bei jugendlichen Gefangenen
ist der Erziehungszweck in den Vordergrund zu
stellen. Bei Kranken und Gebrechlichen ist, soweit
möglich, die Heilung zu erstreben und hat nach
Tunlichkeit ein milderer Vollzug einzutreten. Bei
weiblichen Gefangenen ist auf die aus ihrem Ge-
schlecht sich ergebenden Besonderheiten Rücksicht
zu nehmen. Zuchthaussträflinge und Rückfällige
sind allgemein bezüglich der Zulassung von Ver-
günstigungen und der Handhabung der Hausstraf-
gewalt sowie in sonst besonders bezeichneten Hin-
sichten strenger zu behandeln, als dies regelmäßig
bei Gefängnisgefangenen oder wenig bestraften
Personen zu geschehen hat.“
IV. Arten der Freiheiksstrafen und Straf-
anstalten. Vor 1870 gab es in Deutschland
Zuchthäuser, Arbeitshäuser, Festungen und Ge-
fängnisse. Das R.St.G.B. sieht folgende Stra-
fen vor:
1. Zuchthausstrafe, die teils lebensläng-
lich teils zeitig (mindestens 1 Jahr und höchstens
15 Jahre) ist. Sie hat entehrenden Charakter und
ist mit Arbeitszwang verbunden, d. h. die Ver-
urteilten sind zu den in der Strafanstalt einge-
führten Arbeiten innerhalb wie außerhalb der-
selben (in letzterem Falle getrennt von freien Ar-
beitern) anzuhalten.
2. Gefängnisstrafe, von 1 Tag bis zu
5 Jahren bzw. 15 (bei Jugendlichen) und 10 Jahren
(im Falle von Realkonkurrenz). Die Verurteilten
können (außerhalb der Anstalt jedoch nur mit ihrer
Zustimmung) und müssen auf ihr Verlangen auf
eine ihren Fähigkeiten und Verhältnissen entspre-
chende Weise beschäftigt werden. Im Zuwider-
handlungsfalle kann der Sträfling eine Entschei-
dung im Rechtswege verlangen.
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