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behörde. Außerdem besteht für das Zellengefäng-
nis in Nürnberg ein Aufsichtsrat aus Staats-
beamten und bürgerlichen Mitgliedern, welcher die
xBehandlung der Sträflinge zu überwachen und
über gewisse Beschwerden derselben zu entscheiden
hat. Bei den Gerichtsgefängnissen bestehen Kom-
missionen aus dem Vorstand, dem Amtsarzt,
einem Finanzbeamten, dem Untersuchungsrichter
oder Amtsanwalt, welche die Gefängnisse zu über-
wachen und den Arbeitsbetrieb zu führen haben.
In Württemberg unterstehen die Strafanstal-
ten einem dem Justizministerium unterstellten Kol-
legium, das aus Beamten der Ministerien der
Justiz und des Innern, einem Finanzbeamten,
zwei Geistlichen, einem Arzte und einem Kauf-
mann zusammengesetzt ist. In Baden ist die
Leitung des Gefängniswesens dem Justizminister
unterstellt. Für jede Zentralstrafanstalt besteht
außerdem ähnlich wie für das Zellengefängnis in
Nürnberg mit weitgehenden Befugnissen ein Auf-
sichtsrat, dem außer Vorstand, Verwalter, Arzt,
Hausgeistlichen und dem dienstältesten Hauslehrer
der Anstalt noch auf Berufung durch das Mini-
sterium ein Rechtsgelehrter als Vorsitzender und 2
bis 5 nicht im aktiven Staatsdienst stehende Orts-
einwohner angehören.
2. Arbeitsbetrieb. Die Gefängnisarbeit
ist entweder Regie-, Unternehmer (Entreprise)= oder
Akkordarbeit. Bei der Regiearbeit schafft der
Staat das Rohmaterial an und läßt es unter
seiner Leitung und zu seinem Nutzen verarbeiten
und verkaufen. Hier erscheint der Staat selbst als
Kaufmann. Beim Entreprisesystem ver-
dingt das Gefängnis die Arbeitskraft der Ge-
fangenen. Der Privatunternehmer vergütet dem
Staat die gemietete Arbeitskraft nach einem festen
Satz, meist auf Kopf und Arbeitstag. Beim
Akkordsystem wird die Arbeitsleitung vom
Staat mit seinem Personal geübt. Der Gefangene
kann hier in keine Beziehung zum Arbeitgeber
kommen. Dieser bezahlt dem Staat entweder einen
Gefängniswesen.
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tigt werden: zur Beschaffung des Bedarfs für das
Landheer und die Marine u. dgl.
Wenn auch der Ertrag der Gefangenenarbeit dem
Staate gehört und der Gefangene keinen Rechts-
anspruch auf irgend einen Lohn für seine Arbeits-
leistungen hat, so kommt doch anderseits wieder der
Grundsatz, daß der Gefangene die Arbeit als sein
eigenes Interesse auffassen soll, darin zum Aus-
druck, daß dem Verurteilten ein Verdienstanteil
von 3 bis 30 Pfennig pro Tag (sog. peculium)
gewährt werden kann, der ihm teilweise bis zur
Entlassung gutgeschrieben, teilweise zur freien
Verfügung und zur Beschaffung kleinerer Genuß-
mittel (besserer Beköstigung wie Milch, Eier, Obst,
Schnupftabak usw.) überlassen bleibt. Zur Deckung
der Strafvollstreckungskosten dürfen die Arbeits-
belohnungen der Gefangenen nicht verwendet
werden.
3. Hygiene. Durch Sorge für Reinlichkeit,
frische Lust und ausreichende Ernährung soll die
Gesundheit und die Arbeitsfähigkeit der Gefange-
nen erhalten, durch Vermehrung der Isolier= und
der Schlafzellen die Gefahr der Verseuchung ver-
mindert werden. Überhaupt sollen Anlage und
Einrichtungen der Strafanstalten allen Anforde-
rungen der Hygiene entsprechen. Die Einzelzelle
soll einen Mindestluftraum von 22 ms, die Fen-
ster sollen eine Lichtfläche von 1 m2 haben. Für
Schlafzellen genügt ein Lustraum von 11 ms und
eine Lichtfläche von ½ m2. Jedes Zellenfenster soll
so eingerichtet sein, daß es mindestens zur Hälfte
geöffnet werden kann. In Gemeinschaftsräumen
für den Aufenthalt bei Tag muß auf den einzelnen
Gefangenen ein Mindestluftraum von 16 ms
entfallen, in gemeinschaftlichen Schlafräumen ein
solcher von 10 ms.
Diie Leibwäsche wird wöchentlich gewechselt.
Männlichen Zuchthaussträflingen und jugendlichen
Gefangenen wird das Haar kurz geschoren und der
Bart abgenommen; bei den übrigen Gefangenen
wird beides nur aus Gründen der Reinlichkeit und
Tags oder einen Stücklohn und empfängt die von der Schicklichkeit verändert. Jeder Gefangene soll
ihm hingegebenen Rohstoffe nach der Verarbeitung täglich ½ bis 1 Stunde Bewegung im Freien
zurück zu seinem eigenen weiteren Verschleiß. Vom haben. Die tägliche Arbeitszeit beträgt 11 bis
Standpunkt eines rationellen Strafvollzugs ver= 12 Stunden.
dienen Regie= und Akkordarbeit den unbedingten Für die Ernährung ist eine bestimmte, auf
Vorzug vor dem Entreprisesystem. In Baden, wissenschaftlicher Grundlage beruhende Kostord-
Oldenburg und Bremen ist Regie= und Akkord= nung vorgeschrieben, die den nötigen Gehalt der
arbeit, in Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen
und Hessen Entreprise= und Regiearbeit eingeführt.
Die Gefängnisarbeit ist nicht bloß bedeutsam
für den Strafvollzug, sondern berührt auch die
verschiedenen gewerblichen Kreise. Wenn sie aus
finanziellen, volkswirtschaftlichen und strafpoli-
tischen Gründen nicht abgeschafft werden kann,
so darf doch durch dieselbe nicht einzelnen Zweigen
der freien Arbeit eine verderbliche Konkurrenz ge-
macht werden, indem die Erzeugnisse zu Preisen
ausgeboten werden, für welche sie der freie Arbeiter
nicht herstellen kann. Nach Möglichkeit sollen die
Gefangenen zu allgemeinen Staatszwecken beschäf-
Speisen an Fett, Eiweiß und sonstigen Nahrungs-
stoffen berücksichtigt und für angemessene Abwechs-
lung Sorge trägt. Jede größere Strafanstalt hat
ihren Hausarzt. Die kranken Gefangenen werden
in der Zelle oder in einem Lazarett gepflegt und
täglich vom Arzt besucht. Bei verschiedenen Straf-
anstalten sind Irrenabteilungen als Adnexe ein-
gerichtet, in die geistig erkrankte Strafgefangene
und, soweit es der vorhandene Raum gestattet,
auch Untersuchungsgefangene zur Feststellung ihres
Geisteszustandes ausgenommen werden können.
Durch den Aufenthalt eines Strafgefangenen in
einer solchen Abteilung wird der Strafvollzug nicht