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carcerario, hrsg. von Beltrani-Scalia (seit 1871);
Revue pénitentiaire der Pariser Société générale
des prisons. Jul. Bachem, rev. K. Meister.]
Gegenzeichnung s. Staatsministerium.
Geheime Gesellschaften s. Gesellschaften,
geheime.
Geheimfonds s. Staatsministerium.
Geheimschrift s. Chiffrierkunst.
Gehorsam, staatsbürgerlicher. lBe-
griff; Begründung; Umfang; Begrenzung durch
die Rechte des Volkes; Verhältnis zum kirchlichen
Gehorsam.)
1. Begriff. Unter staatsbürgerlichem Ge-
horsam versteht man die den rechtmäßigen Anord-
nungen der Staatsgewalt seitens der Untertanen
geschuldete Unterwerfung. Die Gehorsamepflicht
verhält sich zur allgemeinen Bürgerpflicht so, wie
die Staatsgewalt zum Wesen und Zweck des
Staates. Der Begriff des Staates ist ein weiterer
als der der Staatsgewalt; er umfaßt die physische
Macht und Größe des Gemeinwesens als mate-
rielles Element, die rechtliche Einheit, Unabhängig-
keit und soziale Zweckbestimmung als formelles
Prinzip, während die Staatsgewalt die (mora-
lische und physische) Macht des Staates be-
deutet, sich durch Befehl und Zwang nach innen
und außen zu behaupten. Die ältere Rechtslehre
und Moral bezeichnet die allgemeine Pflicht der
Ein= und Unterordnung in das Staatsganze als
iustitia legalis; außer der Tugend des Gehor-
sams, d. h. der Befolgung staatlicher Vorschriften,
gruppieren sich unter sie das freie Interesse am
öffentlichen Wohle, die Liebe zum Vaterlande im
Sinne der Heimat und Stammgenossenschaft, die
Treue gegenüber anvertrauten Gütern der Ge-
meinschaft usw. Neuere Staatsrechtslehrer (Laband,
Zorn) legen Gewicht auf die Unterscheidung des
Gehorsams und der Treue: Gehorsam schuldet
dem Staate auch der Fremde, der sich zufällig in
seinem Gebiete aufhält; Treue ist die eigentliche
Pflicht des Bürgers und Untertanen, sie findet
ihren bezeichnendsten Ausdruck in der militärischen
Dienstpflicht. Allein zum Begriff des Gehorsams
steht noch mehr wie zu dem der Treue in Be-
ziehung die Idee der höheren Gewalt, des über-
geordneten Willens. Soweit der Ausländer tat-
sächlich den Gesetzen des Aufenthaltsortes unter-
steht, folgt seine Verpflichtung aus wohlverstan-
denem Selbstinteresse oder aus der naturrechtlichen
Achtung jeder öffentlichen Ordnung, nicht aus dem
Gedanken, dem positiven Gebote „Gehorsam“ zu
leisten.
2. Begründung. Die Pflicht, den Anord-
nungen der staatlichen Obrigkeit zu gehorchen, ist im
Neuen Testamente und in der Lehre der Kirche mit
zweifelloser Klarheit ausgesprochen. An das Beispiel
und das Wort Christi (Matth. 22, 21) reiht sich die
Mahnung der beiden Apostelfürsten, die Staats-
gewalt als von Gott geordnet und sanktioniert zu
achten, ihre Vorschriften „um Gottes willen“, „um
des Gewissens willen“ zu befolgen (Röm. 13, 1 f.
Gegenzeichnung — Gehorsam, staatsbürgerlicher.
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1 Petr. 2, 13 ff). Diese Weisungen sind selbst in
Zeiten der heftigsten Verfolgung durch den Staat
von den kirchlichen Lehrern nachdrücklich eingeschärft
worden. Niemals hat die altchristliche Kirche, wie
von neueren Schriftstellern behauptet wird, den
Staat als eine Gründung des Satans erklärt oder
dem christenfeindlichen Staate die Vollmacht, in
erlaubten Dingen die Gewissen zu binden, be-
stritten. Freilich, indem das Wort: „Gebet dem
Kaiser, was des Kaisers ist“, durch den Satz:
„Gebet Gott, was Gottes ist“, erweitert wurde,
löste sich die Knechtschaft der Gewissen unter heid-
nischer Staatsallmacht, trat die sittliche Schranke
der irdischen Macht deutlich ins Bewußtsein, konnte
die Entstehung einer christlichen Staats= und Ge-
sellschaftsordnung allmählich sich vorbereiten. Die
Befreiung der Persönlichkeit aus erdrückender
Staatsomnipotenz, die Erweckung eines freien,
menschenwürdigen Gehorsams fand eine besondere
Stütze in der sozialen Verkörperung, die der christ-
liche Gedanke in der sichtbaren, hierarchisch geord-
neten Kirche gewonnen hatte. Die Gesetzgebung
und die Machtstellung der Kirche, selbst die Rei-
bungen zwischen Papsttum und Kaisertum im
Mittelalter haben für die abendländische Welt den
Unterschied der religiösen und staatlichen Lebens-
sphäre klargestellt, Cäsaropapismus und Byzanti-
nismus ferngehalten. Die dem Staate zu allen
Zeiten eigene Neigung zu absolutistischer Über-
spannung seiner Zwecke und Rechte veranlaßt auch
nichtkatholische Ethiker, wie Aug. Comte und
Fr. W. Foerster, zur Anerkennung der sichtbaren
Kirche als eines für die geistigen Güter und Frei-
heiten der Menschheit unentbehrlichen Faktors.
Die Stimme der Kirche hat übrigens in den drei
dem Staate gewidmeten Rundschreiben Leos XIII.
(von 1881, 1885, 1890) die Rechte des Staates
und die Gehorsamspflicht der Bürger für unser
Zeitalter in eindringlichster Weise betont und ge-
zeigt, wie die christliche Auffassung des Gehorsams
die rechte Mitte einhält zwischen zwei modernen
Extremen, einem Individualismus, der nur Selbst-
gesetzgebung kennt und eigentlichen Gehorsam als
entwürdigend betrachtet, und einem Sozialismus,
der den ewigen Wert und die sittliche Unabhängig-
keit der Einzelseele preisgibt.
Eine gewisse Gefährdung der sittlichen Weihe
des Gehorsams liegt auch in der positivistischen
Fassung des Gesetzes als einer formell-gültigen
staatlichen Zwangsnorm; die Ausschaltung des
sittlichen und naturrechtlichen Momentes aus dem
Gesetzesbegriff führt naturgemäß zur Schwächung
und Veräußerlichung der gesetzlichen Verpflichtung.
Eine andere Frage ist, ob einzelne Gesetze des direkt
im Gewissen bindenden Charakters entbehren kön-
nen, mit andern Worten, ob es leges mere
poenales gibt. Die in der katholischen Moral
weit verbreitete Annahme solcher Gesetze leugnet
nicht die Verpflichtung derselben schlechthin; dem
UÜbertreter wird vielmehr, wenn er betroffen und
verurteilt wird, die Ubernahme der Strafe zur