439 Geiseln —
Geiseln s. Garantien, völkerrecht-
liche (Sp. 406).
Geistiges Eigentum (. Urheberrecht.
Geistlichkeit s. Klerus.
Geldwesen s. Münzwesen.
Gemeinde. INatur. Stellung im Staate.
Selbständigkeit. Aufgaben. Vermögen. Ein-
nahmen. Gemeindeähnliche Einrichtungen. Die
Pfarrgemeinde.)
I. Die Natur der Gemeinde. Unter den
Grundverbänden des gesellschaftlichen Lebens ist
die Familie der älteste. Mit der Ausdehnung der
Familie durch die Reihenfolge der Geschlechter ei-
weitert sich diese zum Stamm. Bei Entwicklung
des Stammes zum Volke geht der Charakter eines
gesellschaftlichen Verbandes meist verloren. Das
Volk ist zwar die regelmäßige und angemessenste
Grundlage für einen andern Verband, den Staat,
selten aber noch selbst ein Verband. Erst durch
die Verbindung des persönlichen Momentes,
welches die Familie und ihre Erweiterungen be-
herrscht, mit dem örtlichen Elemente entstehen
wesentlich andere, neue Bildungen, die Gemeinde
und der Staat. Die Gemeinde beruht auf dem
unmittelbaren nachbarlichen Zusammenwohnen
einer Anzahl Volksgenossen, die dadurch einen ab-
geschlossenen Volksteil bilden. Sie ist die geord-
nete Gemeinschaft der an einem bestimmten Orte
oder innerhalb eines bestimmten Bezirkes ange-
siedelten Menschen. Wie die Familie sich er-
weitert zu Stamm und Volk, so bildet die Ge-
meinde den Ausgangspunkt für die „höheren
Kommunalverbände“, die Kreise, Distrikte, Pro-
vinzen, Länder usw. Der Staat ist, von diesem
Standpunkt aus betrachtet, die organisierte Ge-
meinschaft der auf einem bestimmten Gebiet zu-
sammenliegenden, durch natürliche oder geschichtlich
gewordene Verhältnisse zusammengefaßten, keiner
andern Gewalt unterworfenen kommunalen Ver-
bände. Das charakteristische Merkmal, welches
ihn von diesen unterscheidet und seinem Wesen
nach bestimmt, ist die Souveränität.
Während zur vollen Ausgestaltung des ein-
zelnen Menschen und der menschlichen Gesellschaft
der Familienverband allein regelmäßig nicht ge-
nügt, ist die Gemeinde ihrer Natur nach wohl
geeignet, sowohl die notwendigen wirtschaftlichen
Bedürfnisse des einzelnen Menschen zu befriedigen
als auch den Boden für die Befriedigung der
notwendigen gesellschaftlichen Anforderungen zu
bilden. Auf einer gewissen Stufe der Kultur ge-
nügt die Gemeinde sogar regelmäßig allen An-
forderungen, so daß in ihr das gesamte staatliche
und gesellschaftliche Leben der einzelnen ausgeht.
Erst mit weiterer Entwicklung zeigen sich Bedürf-
nisse und Aufgaben, denen die Gemeinde nicht
mehr gewachsen ist und zu deren Dienst eine höhere!
Bildung, der Staat, eintreten muß. Demnach ist
die Gemeinde ihrer Natur nach nicht nur eine
geographische Unterabteilung oder ein Verwal-
tungsbezirk des Staates, sondern eine ursprüng-
Gemeinde. 440
liche, naturgegebene, in ihrem Bestehen vom
Staate unabhängige Bildung mit selbständiger
Aufgabe und eigenen Rechten. Sie ist ein vom
Staate wesentlich verschiedenes Gebilde, ver-
schieden vor allem auch durch die Ausdehnung
des Zweckes und daher der sachlichen Zustän-
digkeit.
Der Verband der Gemeinde genügt der intel-
lektuellen und gesellschaftlichen Ausgestaltung der
Menschheit regelmäßig nur auf den unteren Stufen
der Kulturentwicklung. Die höheren und höchsten
Aufgaben sind ihr entrückt, da weder ihre Mittel
noch ihre Organisation für sie genügen. Diese sind
dem Staate vorbehalten. Dem Staate fallen alle
Aufgaben zu, welche ihrer Natur nach über den
Kreis einer Gemeinde hinausgehen, sowie alle,
welche mit den Mitteln einer Gemeinde allein nicht
durchführbar sind. Diese aber sind naturgemäß
die höheren, da die Gemeinde regelmäßig nur dem
örtlichen Interesse dienen kann, niemals den weiter
ausschauenden Interessen eines großen Gebietes.
Auch kann in einer einzelnen Gemeinde der indi-
viduelle Charakter des Volkes als solcher niemals
zur vollen Ausbildung gelangen. Das ist das
ethische Charakteristikum des Staates, wie sein
staatsrechtliches Merkmal in seiner Souveräni-
tät liegt.
Die Gemeinde ist ebenso wie Familie und Staat
ein Glied der menschlichen Gesellschaft, welche an
sich ein einheitlicher, lebendiger Organismus ist.
Die richtige Entwicklung desselben beruht wesent-
lich auf der gleichmäßig gesunden Entwicklung
aller Glieder, die sein Leben ausmachen. Es ist
die höchste Aufgabe der Staatskunst, diesem Ge-
setze organischer Entwicklung sich unterzuordnen
und von der heidnischen Staatsidee des ausschließ-
lichen Rechts der Staatsgewalt über alles Ge-
sellschaftsleben sich nicht zu Übertreibungen hin-
reißen zu lassen. Dazu gehört, daß die natur-
gegebene Stellung der Gemeinde in der mensch-
lichen Gesellschaft (s. d. Art.) geachtet werde, nach-
dem sie vorher richtig erkannt ist, namentlich in
ihrem Verhältnis zum Staat.
Die Gemeinde besteht nicht vereinzelt für sich
als unmittelbares Glied der menschlichen Gesell-
schaft, sondern im Staate und als ein Glied des
Staates. Sie ist der Oberherrschaft des
Staates als des höchsten Verbandes unterworfen.
Wo immer staatliche Zustände bereits eingetreten
sind, ist die Gemeinde (sofern nicht ausnahms-
weise Gemeinde und Staat örtlich zusammenfallen)
nicht souverän und unabhängig, sondern der
Staatsgewalt unterworfen. Aber wenn auch der
Staat formell mit souveräner Macht über der Ge-
meinde steht, so hat er doch materiell die selbstän-
dige Rechtsstellung und den eigenen Wirkungs-
kreis der Gemeinde als eine im Naturrecht be-
gründete Einrichtung zu achten. Jeder willkürliche
Eingriff in diese Selbständigkeit ist eine Verletzung
der natürlichen Weltordnung, wobei aber bestehen
bleibt, daß die Grenzen dieser Selbständigkeit