Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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immerhin mehrdeutigen Angaben ganz absehen 
wollte, würde sich nichtsdestoweniger die Gewiß- 
heit jener Tatsache auf anderem Weg unabweis- 
bar feststellen lassen. Wir brauchen nur einen 
unbefangenen Blick auf die Gestalt und die Organi- 
sation zu richten, in der uns das christliche Ge- 
meinschaftsleben oder die Kirche in der unmittelbar 
nachapostolischen Zeit entgegentritt, und dabei uns 
die Frage vorzulegen, welches in dem vor uns 
stehenden Bild die Organe sind, durch welche die 
wesentlichen Lebensbewegungen und Funktionen 
vermittelt werden, um die Antwort zu erhalten, 
daß es ganz dieselben Grundorgane sind wie früher, 
nur mit dem rein äußern und akzidentellen Unter- 
schied, daß sie nicht Apostel, sondern Bischöfe 
genannt werden. Die Bischöfe sind eben an die 
Stelle der Apostel getreten, und dieser Personen- 
wechsel oder dieses Eintreten der Bischöfe in die 
Stelle der Apostel oder des Episkopats in jene des 
Apostolats konnte nur durch einen vermittelnden 
Akt der Apostel selbst geschehen. 
Schon aus dem oben angeführten Brief des 
römischen Klemens ist dies ersichtlich. Er unter- 
scheidet drei Amter: den Apostolat, wie ihn die 
Apostel und nach ihrem Tode die von ihnen er- 
nannten bewährten Männer ausübten; das Amt 
der Priester oder Bischöfe; und das Amt der 
Diakonen. Wenn er die Träger des ersten Amts 
noch nicht Bischöfe nennt, sondern dieses Wort 
noch als gleichbedeutend mit Presbyter auffaßt, 
so kann dies um so weniger ins Gewicht fallen, 
als ja die Sache klar bezeichnet erscheint und die 
betreffende Terminologie sich erst einige Jahre 
später und allmählich fixiert hat. Ganz denselben 
kirchlichen Verfassungszustand finden wir geschil- 
dert in dem „Hirten des Hermas“ (I. 1, c. 2), wo 
dieselben drei Amter, wenngleich unter anderer 
Benennung, unterschieden werden, wobei es na- 
mentlich von Bedeutung ist, daß die Träger des 
ersten Amts, des Episkopats, Apostel und Bischöfe 
genannt sind und damit beide in voller Identität 
erscheinen. Dem Wert dieser Darstellung tut es 
gar keinen Eintrag, ob die Schrift im letzten 
Jahrzehnt des 1. oder im vierten Jahrzehnt des 
2. Jahrh. abgefaßt ist, und ob der Verfasser 
Bischof, Priester oder Laie war, da es sich nicht 
um ein einzelnes geschichtliches Faktum, sondern 
um organische Einrichtungen, um kirchliche Ver- 
fassungszustände handelt, welche der Verfasser die 
ganze Zeit seines Lebens vor Augen hatte. 
Das bedeutsamste und wahrhaft überwältigende 
Zeugnis gewähren uns jedoch die sieben Briefe, 
welche der hl. Ignatius, Bischof von Antio- 
chien, auf seiner Reise nach Rom im Jahr 114 
vom 24. Aug. bis zum 30. Dez. an Kirchen- 
gemeinden gerichtet hat. Mit der alleinigen Aus- 
nahme des Briefes an die Römer ziehen sich durch 
alle andern Briefe als gemeinsames Grundthema 
drei leitende Gedanken: die Warnung vor der 
drohenden Gefahr aus dem Kreis der Häretiker, 
die Ermahnung zur Bewahrung der kirchlichen 
Staatslexikon. II. 8. Aufl. 
Episkopat. 
  
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Einheit und zum festen Beharren in derselben, und 
deshalb die Aufforderung zum unverbrüchlichen 
Sichanschließen an die Bischöfe und die mit diesen 
unzertrennlich verbundenen Priester und Diakonen. 
Dieselben sind auf das engste miteinander ver- 
flochten. Der Schwerpunkt der paränetischen Ar- 
gumentationen fällt ganz überwiegend in das letzte 
Moment, wie dies namentlich in seiner ganzen 
Tragweite und fundamentalen Bedeutung in aller- 
dings knapper und einfacher, aber sehr anschau- 
licher und energischer Ausdrucksweise in den Briefen 
an die Magnesier (c. 6), an die Philadelphier 
(c. 4, 7, 10), an die Smyrnäer (c. 8) und an die 
Trallenser (c. 3) hervortritt. Hier sagt der hl. Igna- 
tius, daß der Bischof an Gottes Stelle in der 
Kirche steht und die Gläubigen sich an ihn, den 
sichtbaren Mittelpunkt des Glaubens und der 
Liebe, so anzuschließen und so unverbrüchlich mit 
ihm die Einheit zu bewahren haben, wie mit dem 
unsichtbaren, weil mit diesem keine Verbindun 
möglich ist ohne jenen; wo der Bischof ist, da soll 
auch das Volk sein, gleichwie, wo Jesus Christus 
ist, auch die Kirche ist; denn wo kein Bischof ist 
und mithin auch die Presbyter und Diakonen 
fehlen, da besteht auch gar keine Kirche, d. h. keine 
kirchliche, der Kirche angehörige Gemeinde. Wie 
sehr dem hl. Ignatius der Episkopat das eigent- 
liche Zentralorgan der kirchlichen Wirksamkeit, der 
eigentliche Träger aller kirchlichen Lebensfunktionen 
ist, das möchte wohl am schärfsten in dem Brief 
an die Smyrnäer ausgesprochen sein, demgemäß 
kein liturgischer Akt, keine Spendung, kein Emp- 
fang der Sakramente als rechtmäßig vollzogen 
angesehen werden kann, wenn dies nicht in Ge- 
meinschaft mit dem Bischof, unter seiner Mit- 
wirkung oder Autorisation geschieht. Hieraus 
ergibt sich deutlich, daß die Tradition der Lehre 
Christi in ausschließlicher Weise an die Bischöfe 
geknüpft ist, so daß die reine christliche Lehre nur 
bei den Bischöfen zu finden ist und von ihnen be- 
wahrt wird. Nach den Aussprüchen des hl. Igna- 
tius sind die Bischöfe die Repräsentanten und 
Organe der kirchlichen Einheit, Bewahrer und 
Verkünder der Lehre Christi, Spender und Ver- 
walter der göttlichen Gnaden= und Heilsmittel 
und als solche die unmittelbaren Repräsentanten, 
Bevollmächtigten und Organe Gottes. In ihnen 
hat sich Christus sozusagen vervielfältigt; in ihnen 
hat er sich innerhalb des Bereichs der Christenheit 
eine sinnlich wahrnehmbare, fortdauernde Präsenz 
gegeben; in allen Gemeinden ist er es wesentlich, 
der in dem Bischof handelt; er steht an der Spitze 
jeder einzelnen Gemeinde, wenngleich mittels indi- 
viduell verschiedener Repräsentanten und Organe. 
Alles, was Ignatius in seinen Briefen sagt, wurzelt 
in dem Grundgedanken, in dem Fundamentalsatz, 
daß der Episkopat wesentlich der Apostolat ist, daß 
mit andern Worten die Bischöfe die 2))6 1#0#6 
võpec des hl. Klemens, d. h. die für das Regi- 
ment der Kirche rechtmäßig verordneten Männer 
sind, von den Aposteln durch eine spätere, gleichsam 
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