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den Steuerbeträge übersteigt, stets der zweiten oder
ersten Wählerabteilung zugewiesen werden müsse.
Dazu ist in § 3 den Ortsstatuten nach beiden
Richtungen hin ein gewisser Spielraum zu ander-
weitiger Reglung gelassen. Nach der bayrischen
Gemeindeordnung vom 29. April 1869 ist jeder
zum Erwerb des Bürgerrechts (welches das Wahl-
recht einschließt) berechtigt, der irgendwie mit einer
direkten Steuer angelegt ist.
Sowohl der Zensus wie das Dreiklassensystem
im Wahlrecht der Gemeinden ist häufig angegriffen
worden. Aber ohne irgend welchen Zensus wird
man in größeren Gemeinden selten auskommen
können. Daß man mit dem gleichen Wahlrecht
für die Gemeinden nicht unbedingt das Richtige
treffen würde, kann kaum zweifelhaft erscheinen, da
die Aufgaben der Gemeinde weit mehr auf wirt-
schaftlichem Gebiete liegen als die Aufgaben des
Staates, die Lasten und Kosten, welche sie ver-
Gemeindebürger.
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Berührung verkehrenden Nachbarn und sodann
auch an die weitere Gesamtheit der mit ihm auf
einem größeren Gebiet zum Staat vereinigten
Volksgenossen, fordert von dem einzelnen mit
Naturnotwendigkeit die Unterwerfung unter diese
Gesamtheiten.
Alle einzelnen Pflichten des Gemeindebürger-
tums sind Ausflüsse dieser obersten Pflicht. Im
einzelnen sind zu nennen: a) die Pflicht zum
Gehorsam gegen die gesetzgebende Gewalt der
Gemeindeobrigkeit, namentlich auf dem Gebiete
der Ortspolizei; b) die Pflicht zur Mittragung
der Gemeindelasten (s. d. Art.): Gemeindedienste,
.gebühren und -steuern; c) die Pflicht zur Über-
nahme von unbesoldeten Gemeindeämtern aller
Art, soweit nicht gesetzliche Entschuldigungsgründe
zur Seite stehen. Diese Pflicht besteht zwar auch
im Staate, ist jedoch hier meist nicht mit Strafen
geschützt. Die Gemeinde dagegen ist so sehr an-
D.
ursachen, also in erster Linie von den Begüterten gewiesen auf die verständnisvolle und hingebende
bestritten werden müssen. Jedenfalls aber ist bei Mitarbeit ihrer Bürger in unbesoldeten Ehren-
der heutigen Verteilung des Reichtums nur ein ämtern, daß hier diese Pflicht auch, und zwar
geringer Zensus erträglich. Auch ist die heute zuweilen mit nicht unempfindlichen Mitteln, er-
vielfach neben dem Zensuswahlrecht bestehende zwungen zu werden pflegt. Zu diesen Mitteln
Dreiklassenwahleinteilung nur bei einem geringen gehören Ausschluß vom aktiven Wahlrecht und
Zensus hinzunehmen. Im übrigen lassen sich für stärkere Heranziehung zur Steuer. Das unbe-
eine solche Einteilung bei den Gemeindewahlen soldete Ehrenamt in der Gemeinde unterscheidet
gute Gründe anführen, sofern sie in einer der sich von den Gemeindediensten dadurch, daß bei
sozialen Schichtung billige Rechnung tragenden letzteren nur niedere Dienste, bei ersteren aber
Weise geschieht. Das aktive Gemeindewahlrecht gerade höhere, wissenschaftliche, gewerbliche, kauf-
ist neben dem Aufenthaltsrecht das wichtigste Ge-
meindebürgerrecht. Eine übertriebene Beschrän-
kung desselben durch hohen Zensus und Klassen-
einteilung macht weite Kreise ehrenhafter und ge-
diegener Gemeindebürger in der Gemeinde politisch
tot, anstatt sie durch Heranziehung zur Mitarbeit
in der Gemeinde politisch zu erziehen und für die
Fortentwicklung derselben zu interessieren.
Den erwähnten Rechten der Gemeindebürger
entsprechen die Pflichten. Sie sind juristisch
für alle Gemeindebürger dieselben, moralisch je-
doch für die höher berechtigten Gemeindebürger
auch höher. Die erste Pflicht ist die der Unter-
männische und verwaltungstechnische Leistungen
erfordert werden.
Diese Stellung in der Gemeinde absorbiert je-
doch weder die wirtschaftliche noch die staatsrecht-
liche Stellung eines Gemeindebürgers in der Weise,
daß er nur Bürger einer einzigen Gemeinde sein
könnte, etwa wie man nur Bürger eines einzigen
souveränen Staatswesens sein kann. Im Gegen-
teil, wie in einem Bundesstaate ein gleichzeitiges
Bürgerrecht in mehreren Einzelstaaten möglich ist,
so innerhalb eines Staates auch ein mehrfaches
Gemeindebürgerrecht in verschiedenen Gemeinden.
Tatsächlich lassen denn auch die Gemeindeord-
tanschaft, welche Gehorsam und Treue in nungen ein solches zu. sei es daß ein Bürger
sich schließt und der gleichen Pflicht im Staate einen mehrfachen Wohnsitz in verschiedenen Ge-
entspricht. Denn auch die Gemeindeobrigkeit ist meinden hat, oder sei es daß er in einer andern
eine wahre, wenn auch keine souveräne Obrigkeit, als seiner Wohnsitzgemeinde das Gemeindebürger-
ihre Gewalt eine selbständige, nicht von der staat= recht als Forense genießt.
lichen Autorität abgeleitete Gewalt. Ihr Recht 2. In wirtschaftlicher Beziehung. Die
ist ein Herrschaftsrecht, die Pflicht ihrer Bürger ursprüngliche Gemeinde des germanischen Rechts-
daher eine Untertanenpflicht. Die Frage nach gebiets war vorwiegend eine wirtschaftliche Ge-
dem Rechtsgrunde dieser Pflicht ist in der Ge-
meinde ebenso zu beantworten wie im Staat. Es
ist als ein Naturgesetz zu betrachten, daß die ört-
liche Zugehörigkeit jeden Menschen der örtlichen
Gemeindegewalt ebenso unterwirft wie der ört-
lichen Staatsgewalt. Die naturgegebene Tat-
sache, daß kein einzelner Mensch seiner irdischen
Zweckbestimmung gerecht werden kann ohne An-
schluß zunächst an die Gesamtheit der mit ihm
auf dem engsten Raume und in steter leiblicher
nossenschaft zu gemeinschaftlicher Benutzung von
Feld und Wald, im wesentlichen ohne politische
Bedeutung. Die Landgemeinde hat diesen Cha-
rakter ungleich länger bewahrt als die Stadt-
gemeinde. Die öffentlich-rechtliche Seite der alten
„Landgemeinde war zwar nicht stark ausgeprägt,
aber immerhin vorhanden; namentlich hatte die-
selbe den polizeilichen Wald= und Feldschutz und
das Recht, im Feldgerichte usw. Vergehen gegen
die Wald= und Feldordnung kriminell zu ahnden.