Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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sowie die Wahrnehmung aller örtlichen Geschäfte 
der Kreis-, Bezirks-, Provinzial= und allgemeinen 
Staatsverwaltung ob. Einzelne dieser Obliegenhei- 
ten können mit Genehmigung der Regierung einem 
andern Magistratsmitglied übertragen werden. 
Die Stadtverord sammlung besteht in 
Stadtgemeinden von weniger als 2500 Ein- 
wohnern aus 12 Mitgliedern; diese Zahl steigt 
mit der Größe der Einwohnerzahl; bei 100 000 
Einwohnern z. B. beträgt dieselbe 60. Die Wahl 
der Stadtverordneten geschieht auf Grund des 
Dreiklassenwahlsystems. Die Hälfte der von jeder 
Klasse zu wählenden Stadtverordneten muß aus 
Hausbesitzern bestehen. Die Stadtverordneten- 
versammlung wählt sich jährlich einen Vorsitzen- 
den, einen Stellvertreter und einen Schriftführer. 
Sie hat über alle Gemeindeangelegenheiten zu be- 
schließen, soweit dieselben nicht ausschließlich dem 
Magistrat überwiesen sind. Doch darf sie ihre 
Beschlüsse nicht selbst zur Ausführung bringen. 
Auch bedürfen diese, soweit sie dem Magistrat zur 
Ausführung überwiesen sind, der Bestätigung des 
letzteren. Zur dauernden Verwaltung oder Be- 
aussichtigung einzelner Geschäftszweige sowie zur 
Erledigung vorübergehender Aufträge können be- 
sondere Deputationen entweder bloß aus Mit- 
gliedern des Magistrats oder aus Mitgliedern 
beider Gemeindebehörden oder aus letzteren und 
stimmfähigen Bürgern gewählt werden.— Größere 
Städte werden in Ortsbezirke unter einem Be- 
zirksvorsteher als Organ des Magistrats zur Unter- 
stützung desselben in den örtlichen Geschäften ge- 
teilt. In Städten von nicht mehr als 2500 Ein- 
wohnern können die Geschäfte des Magistrats 
anstatt einem solchen einem Bürgermeister über- 
tragen werden, welcher alsdann den Vorsitz in der 
Stadtverord versammlung mit Stimmrecht zu 
führen hat und durch zwei oder drei Schöffen 
unterstützt und vertreten wird. 
In den westlichen Provinzen Preußens, 
Rheinland (mit 131 Städten, 3150 Landgemein- 
den und nur 7 Gutsbezirken) und Westfalen (mit 
103 Städten, 1495 Landgemeinden und 20 Guts- 
bezirken), gilt die Lan dgemeindeordnung für West- 
falen vom 19. März 1856 und für die Landge- 
meinden der Rheinprovinz die Gemeindeordnung 
vom 23. Juli 1845 mit den Modifikationen, welche 
das Gesetz betreffend die Gemeindeverfassung in 
der Rheinprovinz vom 15. Mai 1856 angeordnet 
hat. Beide Gemeindeverfassungen schließen sich an 
das früher in diesen Gegenden herrschende fran- 
zösische Gemeinderecht in ihren Grundzügen an und 
haben daher manches Besondere. Sie stimmen 
darin überein, daß sie durch die Einrichtung der 
Landbürgermeistereien bzw. Amtsbezirke die Land- 
gemeinden entmündigt und unter Vormundschaft 
der staatlich angestellten Bürgermeister bzw. Amt- 
männer gestellt haben. Angehörige der Gemeinde 
können nur preußische Untertanen sein. 
Nach der erwähnten rheinischen Landgemeinde- 
ordnung bilden mehrere Gemeinden einen Ver- 
Gemeindeordnung. 
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waltungsbezirk (Bürgermeisterei) unter einem 
Bürgermeister mit eigener Bürgermeisterei- 
versammlung. Die Bürgermeisterei kann auch aus 
nur einer Gemeinde bestehen, wenn diese von dem 
Umfange ist, um den Zwecken einer Bürger- 
meisterei für sich allein zu genügen. Die Bürger- 
meisterei bildet in Ansehung solcher Angelegen- 
heiten, welche für alle zu der Bürgermeisterei 
gehörenden Gemeinden ein gemeinschaftliches 
Interesse haben, einen Kommunalverband mit den 
Rechten einer Gemeinde. Das Gemeinderecht mit 
Teilnahme an den Wahlen und an den öffent- 
lichen Geschäften der Gemeinde steht nur den 
Meistbeerbten (Meistbesteuerten) und denjenigen 
zu, welchen dasselbe besonders verliehen worden 
ist. Meistbeerbte sind diejenigen, welche mit einem 
Wohnhaus in der Gemeinde angesessen sind und 
in derselben mindestens 6 M an Grund= und Ge- 
bäudesteuer entrichten oder ihren Wohnsitz in der 
Gemeinde haben und mindestens mit 6 JA Klassen- 
steuer veranlagt sind. Die Gemeinde wird ver- 
treten durch den Gemeinderat (Schöffenrat) oder 
durch den Bürgermeister und den Gemeindevor- 
steher. Sind in einer Gemeinde nur 18 stimm- 
fähige Gemeindemitglieder vorhanden, so bilden 
diese den Gemeinderat. In den übrigen Gemein- 
den wird der Gemeinderat gewählt. In den 
letzteren gehören zu dem Gemeinderat außer den 
auf Grund des Dreiklassenwahlsystems gewählten 
Gemeindeverordneten die mit einem Wohnhaus 
angesessenen meistbegüterten Grundeigentümer, 
welche mindestens 150 M an Grund= und Ge- 
bäudesteuer jährlich zahlen. Der Bürgermeister be- 
ruft die verschiedenen Gemeinderäte seiner Bürger- 
meisterei, führt in denselben den Vorsitz und bei 
Stimmengleichheit die entscheidende Stimme, hat 
sonst aber, wenn er nicht zugleich Mitglied des 
Gemeinderats ist, kein Stimmrecht. Der Ge- 
meindevorsteher wird vom Gemeinderat aus der 
Zahl der stimmfähigen Gemeindemitglieder ge- 
wehlt, braucht also nicht notwendig stimmberech- 
tigtes Mitglied des Gemeinderats zu sein. In 
denjenigen Gemeinden, welche für sich allein eine 
Landbürgermeisterei bilden, ist der Bürgermeister 
zugleich Gemeindevorsteher. Im übrigen ist der 
Gemeindevorsteher das Organ des Bürgermeisters 
für die Aufsicht der Unterbeamten und Diener der 
Gemeinde und in der Polizeiverwaltung; außer- 
dem ist er Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft. 
Der Bürgermeister führt die Beschlüsse des Ge- 
meinderats aus unter Mitwirkung des Gemeinde- 
vorstehers. Die Bürgermeister werden vom Ober- 
präsidenten auf Lebenszeit ernannt. Ein Bürger- 
meister mit Besoldung soll nur angestellt werden, 
wenn ein geeigneter Ehrenbürgermeister nicht zu 
gewinnen ist, bildet aber die Regel. Die Ernen- 
nung erfolgte früher auf Vorschlag des Landrats; 
jetzt, infolge der neuen Kreisordnung, erfolgt sie 
auf Grund von Vorschlägen des Kreisausschusses, 
welche dieser nach Anhörung der Bürgermeisterei- 
versammlung zu machen hat. Der Bürgermeister 
  
 
	        
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