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heit ordnet, was z. B. von den Pflichten gilt,
welche durch die Polizeiordnung, das öffentliche
Gerichtsverfahren, die Landesverteidigung usw.
auferlegt werden. Ihren Namen führt diese Ge-
rechtigkeit von der Beobachtung der menschlichen
Gesetze, welche zum großen Teil auf das bonum
commune berechnet sind. Eine Übertretung dieser
Pflichten beeinträchtigt zwar das allgemeine Wohl,
aber dieser Schaden wird gewöhnlich in anderer
Weise gehoben und läßt sich auch nicht so genau
berechnen, wie dies bei der Restitutionspflicht ge-
schehen muß. Doch bricht sich bei der heutigen
Gestaltung der Steuergesetzgebung auch unter den
Moralisten immer mehr die Überzeugung Bahn,
daß nicht nur die Steuerpflicht eine Gewissens-
sache und die Steuerhinterziehung Sünde ist, son-
dern auch aus der Defraudation die Pflicht der
gesetzlich normierten Steuernachzahlung erwächst
(ogl. Fr. Hamm, Zur Grundlegung u. Geschichte
der Steuermoral [1908] 309 ff). Die iustitia
distributiva ordnet umgekehrt das Verhältnis
des bonum commune zu dem einzelnen Mit-
gliede der Kommunität bei der Verteilung der ge-
meinsamen Wohltaten und Lasten. Wenn bei der
kommutativen Gerechtigkeit das arithmetische Ver-
hältnis, d. h. die strenge Gleichheit der Quantität
beim Geben und Nehmen, zu beobachten ist, so ist
für die distributive Gerechtigkeit die geometrische
Proportion bei der Verteilung der Wohltaten wie
der Lasten maßgebend. Als eine Unterart der
iustitia distributiva führt man gewöhnlich die
sog. Strafgerechtigkeit (iustitia vindicativa) an,
welche bei der Verhängung von Strafen das rich-
tige Verhältnis einhält und dem Grade der Schuld
gewissenhaft Rechnung trägt. Allein man könnte
sie ebensogut auf die iustitia legalis zurückführen,
insofern die Bestrafung der Schuldigen im Inter-
esse des Gemeinwohls geschieht. Weniger passend
würde man dieselbe der iustitia commutativa
unterordnen, weil die Berechnung des Verhält-
nisses zwischen Schuld und Strafe nur nach geo-
metrischer, nicht arithmetischer Proportion mög-
lich ist, obschon der Strafrichter im Gewissen ver-
pflichtet ist, über das gesetzliche Strafmaß nicht
hinauszugehen. — Vgl. V. Cathrein, Die Kar-
dinaltugend der Gerechtigkeit und ihr Verhältnis
zur legalen Gerechtigkeit (Innsbr. Zeitschr. für
kath. Theologie 1901, 635 ff); A. van Gestel, De
iustitia et lege civili (Groningen 21896); J.
Renninger, Die Grundlage christl. Politik (1879).
3. Objekt der Gerechtigkeit. Das
nächste Objekt der Gerechtigkeit ist das Recht im
subjektiven Sinne als Berechtigung, d. h. die ge-
setzmäßige und unverletzliche, weil von Gott ver-
liehene Befugnis, irgend ein Gut mit freiem Willen
und durch äußere erlaubte Handlungen beherrschen,
gebrauchen oder erstreben zu dürfen, so daß die
Mitmenschen pflichtmäßig daran nicht hindern
dürfen oder positiv dazu mitwirken müssen, und
zwar das eine oder das andere auf eine erzwing-
bare Weise. In diesem Begriffe ist zunächst die
Gerechtigkeit.
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schon erwähnte Beziehung zu andern näher be-
stimmt, indem beim Recht auf seiten des Berech-
tigten das Dürfen oder der erlaubte Gebrauch des
freien Willens zur Beherrschung eines Gutes,
und auf seiten des andern die Pflicht, und zwar
entweder eine negative oder eine affirmative, ob-
waltet, je nachdem das Recht ein absolutes Persön-
lichkeits= oder Sachenrecht ist, dem gegenüber alle
Mitmenschen zum Nichthinderndürfen verpflichtet
sind, oder ein relatives Obligationenrecht, wie
z. B. ein Vertragsrecht zwischen bestimmten Per-
sonen, die zu bestimmten Leistungen verpflichtet
sind. Ferner ist die Berechtigung als eine gesetz-
mäßige und von Gott verliehene bezeichnet, weil
sie nicht etwa durch eine größere physische Gewalt
gegeben, sondern nach einer vom Gewissen ge-
billigten und nach einer von Gott unmittelbar oder
mittelbar aufgestellten Norm dem einzelnen ver-
liehen wird, welche Norm einen Teil des Sitten-
gesetzes bildet. Denselben Charakter trägt auch die
Rechtspflicht auf der andern Seite an sich. Was
den Zweck der Berechtigung angeht, so handelt es
sich um die sittliche Ausnutzung irgend eines Gutes,
so daß das Recht ein um so wichtigeres ist, je
wertvoller das Gut und in je innigerer Beziehung
dasselbe zum höchsten Gute steht. Zuletzt ist die
dem Rechte entsprechende Pflicht auf seiten der
Mitmenschen als eine erzwingbare bezeichnet wor-
den, was für die Moral zwar nicht von derselben
Bedeutung ist wie für die staatliche Ordnung,
weil die sittliche Erfüllung der Rechtspflicht als
eine innere Handlung nicht erzwungen werden
kann. Aber von Bedeutung ist sie dennoch auch für
die Moral, insofern die Anwendung der Gewalt
auch von seiten des Berechtigten im Notfalle eine
erlaubte Handlung ist, weil Gott die Erzwingbar-
keit mit der Rechtspflicht verbunden hat. Jeden-
falls ist die Anrufung der staatlichen Gewalt eine
erlaubte Handlung, um durch dieselbe die äußere
Vollziehung der Rechtspflicht zu erzwingen, weil
es eine der Hauptaufgaben des Staates ist, die
Rechtsordnung durch die ihm von Gott verliehene
Gewalt aufrecht zu erhalten und durchzusetzen.
Aus dem Gesagten erhellt nun schon die innige
Beziehung des Rechts einerseits zur Moral und
anderseits zum Staate. In ersterer Hinsicht geht
der Umfang des Rechts nicht weiter als der des
Erlaubten, und wie dieser Begriff des sittlich Er-
laubten gehört auch die das Recht ergänzende
Rechtspflicht dem Gebiete der Moral an. In an-
derer Hinsicht ist der Staat nicht die Quelle jeg-
lichen Rechts, wie man in unsern Tagen vielfach
behauptet. Der Staat ist zwar eine mit Notwendig-
keit sich bildende Einrichtung in der menschlichen
Gesellschaft, sobald die Elemente und Voraus-
setzungen dazu im Volksleben vorhanden sind; er
ist eine von Gott gewollte und unter Gottes Vor-
sehung sich gestaltende Institution. Er besitzt zwar
von Gott die Autorität, die gesetzgebende, richter-
liche und strafende Gewalt auszuüben, d. h. die im
Naturrecht gegebenen Rechtsnormen durch pofsitive