Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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die Sitzungspolizei, die Beratung und die Ab- 
stimmung der Richterkollegien, für die Rechtshilfe, 
das Armenrecht, die Gerichtsferien, die Fristen 
und die Ordnungsstrafen sowie für die Beschwer- 
den gelten im wesentlichen die Vorschriften des 
Gerichtsverfassungsgesetzes und der Zivilprozeß- 
ordnung; die Form der Anträge und Erklärungen, 
der Beweisaufnahme, der Bekanntmachung und 
Anderung der Verfügungen sind besonders geregelt. 
Die Vollstreckung der gerichtlichen Verfügungen 
und die Kostenberechnung für sie ist der landes- 
rechtlichen Reglung überlassen worden, die in den 
Einzelstaaten inhaltlich übereinstimmend ersolgt 
ist. Mittel der zwangsweisen Vollstreckung sind 
nach ihnen die Geldstrafe und die Anwendung 
von Gewalt, der ihre Androhung in der Regel 
vorauszugehen hat. 
In beschränkterem Umfange wie die Gerichte 
sind landesrechtlich die Notare für Angelegen- 
heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit neben den 
Amtsgerichten oder ausschließlich als zuständig er- 
klärt. Die karolingische Gesetzgebung hat für alle 
Grasschaftsgerichte die Einsetzung von Notaren als 
gerichtlichen Urkundspersonen vorgeschrieben; die- 
selben waren öffentliche und vereidigte Beamte, 
denen die Beglaubigung der Urkunden zum Zwecke 
ihrer Beweiskraft oblag. Seit dem 12. Jahrh. 
legte das kanonische Recht den Notaren öffentlichen 
Glauben bei und förderte dadurch deren Aus- 
breitung in Deutschland; damit hängt auch zu- 
sammen, daß die Notare regelmäßig Geistliche und 
die Notariatsakte kirchenrechtlicher Natur waren. 
Die Ernennung der Notare erfolgte durch den 
Kaiser und in wachsendem Umfange durch die 
kaiserlichen Hofpfalzgrafen. In Frankreich ent- 
wickelte sich das Notariat seit Ludwig dem Hei- 
ligen als selbständige Behörde mit der ausschließ- 
lichen Zuständigkeit zu öffentlicher Beurkundung 
und Beglaubigung von Rechtsgeschäften. Wäh- 
rend es dort mit der Advokatur unvereinbar war, 
vermochte in Deutschland die Reichsnotariats= 
ordnung vom 8. Okt. 1512 nicht zu verhindern, 
daß in den Einzelstaaten, welche die Zulassung 
zum Notariat allmählich an sich zogen, Advokatur 
und Notariat verbunden wurden, so besonders in 
Preußen. Damit hing wieder zusammen, daß sich 
Deutschland in Notariatsländer mit ausschließlicher 
Zuständigkeit der Notare zu gewissen Rechtsakten 
und in Länder mit konkurrierender Zuständigkeit 
der Notare und der Gerichte trennte. Notariats- 
länder waren außer OÖsterreich Bayern, Baden, 
Württemberg und das linke Rheinufer mit fran- 
zösischer Gesetzgebung. Einen Abschluß hat die 
Entwicklung mit den Ausführungsgesetzen zum 
B.G.B. gefunden, durch welche diese Trennung 
verewigt worden ist. Die Notare sind Staats- 
beamte mit richterlicher Vorbildung, welche den 
Diensteid leisten und ein Dienstsiegel führen. Sie 
unterstehen der Aufsicht der Justizaufsichtsbeamten. 
In den Notariatsländern sind zur Wahrnehmung 
der den Notaren obliegenden Geschäfte Notariate 
Gerichtsbarkeit, freiwillige. 
  
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als staatliche Behörden eingerichtet, während in 
den andern Ländern das einzelne Notariat keine 
Behörde, d. h. keine organische Staatseinrichtung 
ist. In Preußen können die Notare zugleich 
Rechtsanwälle sein, was in Bayern ausgeschlossen 
ist. Zur Zuständigkeit der Notare gehört es, 
öffentliche Beurkundungen und Beglaubigungen 
zu bewirken und Urkunden in amtliche Verwahrung 
zu nehmen, in Nachlaß= und Teilungssachen die 
Auseinandersetzung zu vermitteln, Vermögens- 
und Nachlaßverzeichnisse aufzunehmen, Siegel 
anzulegen und öffentliche Versteigerungen vorzu- 
nehmen sowie Gelder, Wertpapiere und Kostbar- 
keiten, die ihnen aus Anlaß eines Amtsgeschäftes 
von den Beteiligten übergeben werden, für sie 
aufzubewahren oder an Dritte abzuliefern. Um 
den Notaren einen ausreichenden Tätigkeitskreis 
zu sichern, haben Bayern, Baden und Elsaß- 
Lothringen die Zuständigkeit der Gerichte zur 
öffentlichen Beurkundung ausgeschlossen und den 
Notaren außer der Urkundsbefugnis ganze Ge- 
übertragen, die reichsrechtlich den 
zustehen, so in Bayern die Grundstücks- 
in Baden die große Masse der nach- 
Geschäfte, in Württemberg die 
sowie die Vormundschafts= und Nach- 
laßsachen unter Hinzuziehung der Waisenrichter. 
Ortlich zuständig sind die Notare für die ihnen 
zufallenden Geschäfte des Amtsbezirks, in dem sie 
den bei ihrer Ernennung bestimmten Amtssitz 
haben, innerhalb dessen sich ihre Geschäftsräume 
befinden müssen. Dem Notar steht nicht zu, einen 
Auftrag anzunehmen oder abzulehnen, er darf 
vielmehr seine Dienste nicht ohne wichtigen Grund 
verweigern. Liegt ein solcher Grund vor, so ist 
die Ablehnung dem Auftraggeber unverzüglich an- 
zuzeigen. Auf den Ausschluß eines Notars von 
der Beurkundung eines Rechtsgeschäftes finden 
die Vorschristen über die Ausschließung eines 
Richters entsprechende Anwendung; doch führt die 
Mitwirkung eines gesetzlich ausgeschlossenen Notars 
niemals zur Ungültigkeit des notariellen Aktes, 
während in solchem Falle der richterliche Akt un- 
gültig sein würde. Für Geschäfte, welche der 
Notar beurkundet, darf er keine Gewährleistung 
übernehmen, und über die Verhandlungen, bei 
denen er mitgewirkt hat, muß er Verschwiegenheit 
beobachten. Die Verletzung dieser Pflicht ist straf- 
bar. Während in Bayern und Baden gegen die 
Anordnungen des Notars, insbesondere gegen die 
Ablehnung eines Auftrags, die Beschwerde gegeben 
ist, sind in Preußen die Dienstaufsichtsbehörden 
zum Einschreiten gegen ihn anzurufen; nur in 
Ausnahmefällen ist nicht der Land= oder Ober- 
landesgerichtspräsident, sondern das Landgericht 
gegen ihn zur Entscheidung berufen, so wenn der 
Notar sich weigert, eine Urkundsausfertigung oder 
aabschrift zu erteilen oder die Einsicht der Ur- 
schrift zu gestatten; ferner wenn Streit über die Zu- 
lässigkeit der Erteilung der Vollstreckungsklausel aus 
einer vollstreckbaren notariellen Urkunde entsteht. 
   
    
 
	        
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