Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

501 
Was das gerichtliche und notarielle Beurkun- 
dungswesen betrifft, so stellt die Zivilprozeßord- 
nung in § 415 den Begriff der öffentlichen Urkunde 
dahin fest, daß sie von einer öffentlichen Behörde 
innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder 
von einer mit öffentlichem Glauben versehenen 
Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäfts- 
kreises in der vorgeschriebenen Form ausgenommen 
sein muß. Dabei sind die Urschriften, die Aus- 
fertigungen und Abschriften zu unterscheiden. Die 
Ausfertigungen gerichtlicher oder notarieller Ur- 
kunden müssen von dem Gerichtsschreiber oder 
Notar unterschrieben und mit dem Gerichts= oder 
Dienstsiegel untersiegelt sein. Die Abschriften er- 
langen durch die öffentliche Beglaubigung die 
Kraft einer öffentlichen Urkunde. Der Schwer- 
punkt der notariellen Tätigkeit liegt auch heute 
noch in der Beurkundung von Rechtsgeschäften. 
Soweit diese Beurkundung gerichtlich erfolgt, 
gelten für die gerichtlichen und notariellen Urkun- 
den die gleichen Grundsätze. Zur Beurkundung 
sind auf Grund der landesrechtlichen Ergänzung 
des Reichsgesetzes, das den Beteiligten freistellt, 
sich nach ihrer Wahl der gerichtlichen oder der 
notariellen Beurkundungsform zu bedienen, in 
Bayern, Baden und Elsaß-Lothringen ausschließ- 
lich die Notare, in Preußen, Württemberg, Sachsen 
und Hessen Gerichte und Notare nebeneinander 
berufen. Ortlich zuständig ist das Gericht oder 
der Notar des Bezirks, doch ist auch eine außer- 
halb des Amtsbezirks vorgenommene Beurkundung 
gültig. Über die Beurkundungsverhandlung i 
ein Protokoll in deutscher Sprache aufzunehmen, 
das den Ort und den Tag der Verhandlung, die 
Bezeichnung der Beteiligten und die bei der Ver- 
handlung mitwirkenden Personen sowie die Er- 
klärung der Beteiligten enthalten muß. Dieses 
Protokoll muß den Beteiligten vorgelesen, von 
ihnen genehmigt und eigenhändig unterschrieben 
werden; statt der Verlesung kann es den Beteilig- 
ten auf ihr Verlangen auch zur Durchsicht vor- 
gelegt werden. Auch die mitwirkenden Personen 
(Richter oder Notar und Zeugen) müssen das Pro- 
tokoll unterschreiben. 
Die Beurkundung kann Rechtsgeschäfte oder 
  
Tatsachen betreffen; nur die erstere ist reichsrecht- 
lich geregelt. Die Beurkundung muß in Preußen 
gerichtlich erfolgen bei Familienstiftungen und- 
Fideikommissen sowie außerhalb der Rheinprovinz 
bei Auflassung von Grundstücken und Übertragung 
von Erbbaurechten; sie muß durch Erklärung vor 
Gericht oder Notar nach Reichsrecht erfolgen beim 
Ehevertrag, der Annahme an Kindes Statt, dem 
Erbvertrag, dem gerichtlichen oder notariellen Te- 
stament und dem durch den Überlebensfall be- 
dingten Schenkungsversprechen. Die Fälle der 
einfachen gerichtlichen oder notariellen Beurkun- 
dung sowie der Beglaubigung aufzuführen, er- 
übrigt sich, da sie im B.G.B. angegeben sind. 
Ihre Durchsicht zeigt, daß das B.G.B. bemüht 
gewesen ist, ohne in eine weitgehende Bevormun- 
Gerichtsbarkeit, kirchliche. 
  
502 
dung zu verfallen, doch diejenigen Geschäfte unter 
den Beurkundungsschutz zu stellen, welche für die 
Familie und den Realkredit des Verfügenden von 
erheblicher Bedeutung sind. 
Literatur. Wellstein, Kommentare zum Reichs- 
u. zum preuß. Gesetze; Schulze-Görlitz, Kommentar 
zum Reichsgesetz; Crusen-Müller, Kommentar zum 
preuß. Gesetze. LSpahn.) 
Gerichtsbarkeit, kirchliche. (Begriff. 
Geschichte und Stellung des Staates zur kirch- 
lichen Gerichtsbarkeit. Gerichtsorganisation und 
Instanzenzug. Kompetenz und Gerichtsstand. 
Kanonisches Prozeßverfahren. Rechtsmittel. Die 
Gerichtsbarkeit in der evangelischen Kirche.) 
1. Begriff. Christus hat seiner Kirche als 
einer vollkommenen, unabhängigen Gesellschaft mit 
der Verleihung des Gesetzgebungsrechts auch zu- 
gleich die zur Aufrechterhaltung und Durchführung 
der zu gebenden Gesetze erforderliche Macht erteilt. 
Diese richterliche Gewalt (kirchliche Gerichtsbar- 
keit, potestas iurisdictionis im engeren Sinne) 
hat eine zweifache Aufgabe: einmal die Entschei- 
dung und Sicherung streitiger Rechte (iurisdictio 
necessaria contentiosa, streitige oder Zivil- 
gerichtsbarkeit), sodann die Bestrafung kirchlicher 
Verbrechen und Vergehen (iurisdictio necessaria 
coercitiva, peinliche oder Strafgerichtsbarkeit). 
Zuscheiden hiervon ist die iurisdictio voluntaria, 
die freiwillige Gerichtsbarkeit, d. h. die Beteili- 
gung kirchlicher Organe bei freiwilligen Rechts- 
geschäften, namentlich zur Aufnahme von Urkun- 
t den, notariellen Aklten, Testamenten usw., zu deren 
Ausübung vornehmlich die kirchlichen Notare be- 
stellt sind; auch die Führung der Kirchenbücher 
gehört hierher. Man unterscheidet noch, je nachdem 
sich die Gerichtsbarkeit auf die Ordnung der 
äußeren kirchlichen Verhältnisse oder auf die Sphäre 
des Gewissens, auf das innere Verhältnis des 
Menschen zu Gott bezieht, eine iurisdietio fori 
externi und iurisdictio fori interni, welch letz- 
tere wieder sacramentalis ist, falls die Ausübung 
der Jurisdiktion an das Bußsakrament gebunden 
ist (die Gerichtsbarkeit über Sünden), oder non 
sacramentalis, wenn dies nicht der Fall ist 
(z. B. Entscheidung über inkurrierte Zensuren, 
Ehe= oder Weihehindernisse). Wir haben uns hier 
nur mit der iurisdictio fori externi zu be- 
schäftigen. 
2. Geschichte und Stellung des Staa- 
tes zur kirchlichen Gerichtsbarkeit. Die 
von Christus der Kirche verliehene Gerichtsbarkeit 
haben die Apostel geübt und ihren Nachfolgern 
übertragen. Soweit das Gesetzgebungsrecht der 
Kirche reicht, muß auch ihre Gerichtsbarkeit Gel- 
tung haben. Was zunächst die Zivilgerichts- 
barkeit anlangt, so wurden die rein religiösen 
Angelegenheiten (causae mere ecclesiasticae) 
vom Bischof als Richter entschieden. Aber auch in 
rein bürgerlichen Rechtssachen (causae mere ci- 
viles) wandten sich die Christen der ersten Jahr- 
hunderte, dem Rate des Völkerapostels folgend,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.