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Was das gerichtliche und notarielle Beurkun-
dungswesen betrifft, so stellt die Zivilprozeßord-
nung in § 415 den Begriff der öffentlichen Urkunde
dahin fest, daß sie von einer öffentlichen Behörde
innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder
von einer mit öffentlichem Glauben versehenen
Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäfts-
kreises in der vorgeschriebenen Form ausgenommen
sein muß. Dabei sind die Urschriften, die Aus-
fertigungen und Abschriften zu unterscheiden. Die
Ausfertigungen gerichtlicher oder notarieller Ur-
kunden müssen von dem Gerichtsschreiber oder
Notar unterschrieben und mit dem Gerichts= oder
Dienstsiegel untersiegelt sein. Die Abschriften er-
langen durch die öffentliche Beglaubigung die
Kraft einer öffentlichen Urkunde. Der Schwer-
punkt der notariellen Tätigkeit liegt auch heute
noch in der Beurkundung von Rechtsgeschäften.
Soweit diese Beurkundung gerichtlich erfolgt,
gelten für die gerichtlichen und notariellen Urkun-
den die gleichen Grundsätze. Zur Beurkundung
sind auf Grund der landesrechtlichen Ergänzung
des Reichsgesetzes, das den Beteiligten freistellt,
sich nach ihrer Wahl der gerichtlichen oder der
notariellen Beurkundungsform zu bedienen, in
Bayern, Baden und Elsaß-Lothringen ausschließ-
lich die Notare, in Preußen, Württemberg, Sachsen
und Hessen Gerichte und Notare nebeneinander
berufen. Ortlich zuständig ist das Gericht oder
der Notar des Bezirks, doch ist auch eine außer-
halb des Amtsbezirks vorgenommene Beurkundung
gültig. Über die Beurkundungsverhandlung i
ein Protokoll in deutscher Sprache aufzunehmen,
das den Ort und den Tag der Verhandlung, die
Bezeichnung der Beteiligten und die bei der Ver-
handlung mitwirkenden Personen sowie die Er-
klärung der Beteiligten enthalten muß. Dieses
Protokoll muß den Beteiligten vorgelesen, von
ihnen genehmigt und eigenhändig unterschrieben
werden; statt der Verlesung kann es den Beteilig-
ten auf ihr Verlangen auch zur Durchsicht vor-
gelegt werden. Auch die mitwirkenden Personen
(Richter oder Notar und Zeugen) müssen das Pro-
tokoll unterschreiben.
Die Beurkundung kann Rechtsgeschäfte oder
Tatsachen betreffen; nur die erstere ist reichsrecht-
lich geregelt. Die Beurkundung muß in Preußen
gerichtlich erfolgen bei Familienstiftungen und-
Fideikommissen sowie außerhalb der Rheinprovinz
bei Auflassung von Grundstücken und Übertragung
von Erbbaurechten; sie muß durch Erklärung vor
Gericht oder Notar nach Reichsrecht erfolgen beim
Ehevertrag, der Annahme an Kindes Statt, dem
Erbvertrag, dem gerichtlichen oder notariellen Te-
stament und dem durch den Überlebensfall be-
dingten Schenkungsversprechen. Die Fälle der
einfachen gerichtlichen oder notariellen Beurkun-
dung sowie der Beglaubigung aufzuführen, er-
übrigt sich, da sie im B.G.B. angegeben sind.
Ihre Durchsicht zeigt, daß das B.G.B. bemüht
gewesen ist, ohne in eine weitgehende Bevormun-
Gerichtsbarkeit, kirchliche.
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dung zu verfallen, doch diejenigen Geschäfte unter
den Beurkundungsschutz zu stellen, welche für die
Familie und den Realkredit des Verfügenden von
erheblicher Bedeutung sind.
Literatur. Wellstein, Kommentare zum Reichs-
u. zum preuß. Gesetze; Schulze-Görlitz, Kommentar
zum Reichsgesetz; Crusen-Müller, Kommentar zum
preuß. Gesetze. LSpahn.)
Gerichtsbarkeit, kirchliche. (Begriff.
Geschichte und Stellung des Staates zur kirch-
lichen Gerichtsbarkeit. Gerichtsorganisation und
Instanzenzug. Kompetenz und Gerichtsstand.
Kanonisches Prozeßverfahren. Rechtsmittel. Die
Gerichtsbarkeit in der evangelischen Kirche.)
1. Begriff. Christus hat seiner Kirche als
einer vollkommenen, unabhängigen Gesellschaft mit
der Verleihung des Gesetzgebungsrechts auch zu-
gleich die zur Aufrechterhaltung und Durchführung
der zu gebenden Gesetze erforderliche Macht erteilt.
Diese richterliche Gewalt (kirchliche Gerichtsbar-
keit, potestas iurisdictionis im engeren Sinne)
hat eine zweifache Aufgabe: einmal die Entschei-
dung und Sicherung streitiger Rechte (iurisdictio
necessaria contentiosa, streitige oder Zivil-
gerichtsbarkeit), sodann die Bestrafung kirchlicher
Verbrechen und Vergehen (iurisdictio necessaria
coercitiva, peinliche oder Strafgerichtsbarkeit).
Zuscheiden hiervon ist die iurisdictio voluntaria,
die freiwillige Gerichtsbarkeit, d. h. die Beteili-
gung kirchlicher Organe bei freiwilligen Rechts-
geschäften, namentlich zur Aufnahme von Urkun-
t den, notariellen Aklten, Testamenten usw., zu deren
Ausübung vornehmlich die kirchlichen Notare be-
stellt sind; auch die Führung der Kirchenbücher
gehört hierher. Man unterscheidet noch, je nachdem
sich die Gerichtsbarkeit auf die Ordnung der
äußeren kirchlichen Verhältnisse oder auf die Sphäre
des Gewissens, auf das innere Verhältnis des
Menschen zu Gott bezieht, eine iurisdietio fori
externi und iurisdictio fori interni, welch letz-
tere wieder sacramentalis ist, falls die Ausübung
der Jurisdiktion an das Bußsakrament gebunden
ist (die Gerichtsbarkeit über Sünden), oder non
sacramentalis, wenn dies nicht der Fall ist
(z. B. Entscheidung über inkurrierte Zensuren,
Ehe= oder Weihehindernisse). Wir haben uns hier
nur mit der iurisdictio fori externi zu be-
schäftigen.
2. Geschichte und Stellung des Staa-
tes zur kirchlichen Gerichtsbarkeit. Die
von Christus der Kirche verliehene Gerichtsbarkeit
haben die Apostel geübt und ihren Nachfolgern
übertragen. Soweit das Gesetzgebungsrecht der
Kirche reicht, muß auch ihre Gerichtsbarkeit Gel-
tung haben. Was zunächst die Zivilgerichts-
barkeit anlangt, so wurden die rein religiösen
Angelegenheiten (causae mere ecclesiasticae)
vom Bischof als Richter entschieden. Aber auch in
rein bürgerlichen Rechtssachen (causae mere ci-
viles) wandten sich die Christen der ersten Jahr-
hunderte, dem Rate des Völkerapostels folgend,