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In Strafsachen umfaßt die Zuständigkeit
der Schöffengerichte alle Ubertretungen, die Ver-
gehen, welche nur mit Gefängnis von höchstens
drei Monaten oder Geldstrafe von höchstens 600 M
bedroht sind, die Fälle der Privatklage, einzelne
Vermögensdelikte, wenn der Schaden 125 M nicht
übersteigt; in Vagantensachen kann der Amts-
richter unter Umständen allein entscheiden.
Die Strafkammern der Landgerichte sind als
erkennende Strafgerichte zuständig für die Ver-
gehen, für die Verbrechen, welche mit Zuchthaus
von höchstens fünf Jahren bedroht sind, für die
Verbrechen des Diebstahls, der Hehlerei und des
Betrugs in besondern Fällen, für die Vergehen und
Verbrechen jugendlicher Delinquenten allgemein;
wegen verschiedener Vergehen kann Überweisung
an die Schöffengerichte erfolgen, wenn der konkrete
Fall keine hohe Strafe erwarten läßt. Die Straf-
kammer ist zugleich Berufungsgericht gegen die
Urteile der Schöffengerichte; sie ist außerdem auch
zuständig zur Entscheidung bezüglich des Ergeb-
nisses der Voruntersuchung, bezüglich der Be-
schwerden gegen die Verfügungen des Unter-
suchungsrichters oder Amtsrichters und gegen die
Entscheidungen der Schöffengerichte.
Die Schwurgerichte sind zuständig für die Ver-
handlung und Entscheidung über die Verbrechen,
welche weder den Strafkammern noch dem Reichs-
gerichte zugewiesen sind, landesrechtlich (in Bayern,
Württemberg, Baden und Oldenburg) auch für
Preßdelikte.
Die Oberlandesgerichte entscheiden über das
Rechtsmittel der Revision gegen die Urteile der
Strafkammern in der Berufungsinstanz, sonst
nur, wenn die Revision ausschließlich auf Ver-
letzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen
Rechtsnorm gestützt wird. Durch die Gesetzgebung
eines Bundesstaates, in welchem mehrere Ober-
landesgerichte errichtet sind, kann aber diese Zu- 3
ständigkeit ausschließlich einem der mehreren Ober=
landesgerichte oder an Stelle eines solchen dem
obersten Landesgerichte zugewiesen werden (in
Preußen dem Kammergericht in Berlin, in Bayern
dem Obersten Landesgericht in München).
Das Reichsgericht entscheidet in erster und letzter
Instanz bei Hochverrat und Landesverrat gegen
Kaiser und Reich, sonst als Revisionsinstanz gegen
die Urteile der Strafkammern in erster Instanz,
insoweit nicht die Zuständigkeit der Oberlandes-
gerichte begründet ist, und gegen die Urteile der
Schwurgerichte.
Ortlich bestimmt sich die Zuständigkeit des
einzelnen Gerichtes nach den Verhältnissen in der
Person des Beklagten oder des Angeklagten. In
Zivilsachen hat jedermann seinen allgemeinen Ge-
richtsstand bei dem Gerichte, in dessen Bezirk er
seinen Wohnsitz, eventuell seinen Aufenthalt hat;
beim Mangel eines solchen entscheidet der letzte
inländische Wohnsitz. Neben diesem allgemeinen
Gerichtsstand, in welchem alle Prozesse ohne Rück-
sicht auf ihren Inhalt anhängig gemacht werden
Gesandte usw.
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können, sofern nicht ein ausschließlicher Gerichts-
stand gegeben ist, bestehen unter bestimmten Vor-
aussetzungen besondere Gerichtsstände, unter denen
besonders der Ort der belegenen Sache bei der
Klage um unbewegliches Gut, der Erfüllungsort
des Vertrages, der Gerichtsstand der Widerklage
und des Sachzusammenhangs hervorzuheben sind;
die Parteien können aber auch innerhalb be-
stimmter Grenzen ein an sich unzuständiges Ge-
richt erster Instanz durch Vereinbarung zuständig
machen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so hat
der Kläger die Wahl; ausschließlich ist der Ge-
richtsstand der belegenen Sache, ferner der Ge-
richtsstand in Ehe= und Entmündigungssachen
sowie im Zwangsvollstreckungsverfahren.
In Strassachen entscheidet der Ort der began-
genen Tat; damit konkurriert der Gerichtsstand
des Wohnsitzes des Angeklagten; in Ermanglung
der beiden wird die Zuständigkeit bestimmt durch
den Ort der Ergreifung; auch hier werden zusam-
menhängende Strafsachen vor einem Gerichte ver-
handelt; in Notfällen sowie bei Kompetenzkonflik-
ten wird das zuständige Gericht von dem im In-
stanzenzuge vorgesetzten höheren Gericht bestimmt.
Über die (1909) in Aussicht stehende Umgestal-
tung der deutschen Gerichtsverfassung durch die
Strasprozeß= und Zivilprozeßreform val. die Art.
Strafprozeß, Zivilprozeß.
Literatur. Die Kommentare zum Gerichts-
verfassungsgesetz: Hauck (1879), Thilo (1879),
Sydow-Busch (51905); zur Zivilprozeßordnung:
Gaupp-Stein (§ u. 91908); zur Strafprozeßord-
nung: Löwe (121907); Rintelen, Preuß. Prozeß-
recht (3 Bde, 1881/83); bezüglich der staatsrecht-
lichen Fragen: Laband, Staatsrecht des Deutschen
Reiches (4 Bde, 1901); Arndt, Staatsrecht des
Deutschen Reiches (1901); auch v. Seydel, Bayr.
Staatsrecht 1 (21895/96) 547 f; Art. „Gerichts-
verfassung“ im Österr. Staatswörterbuch 11 (21906)
63 ff. [Menzinger.]
Gesandte, Gesandtschaftsrecht. LGe-
schichtliche Einleitung. Begriff des Gesandtschafts-
rechis. Arten und Klassen der diplomatischen
Agenten. Das Gefolge der Gesandten. Bestellung
des Gesandten. Geschäfte. Rechte der diplomati-
schen Agenten. Verhältnis der diplomatischen
Agenten zu dritten Staaten. Beendigung der
diplomatischen Mission.)
I. Geschichtliche Einleitung. Im Altertum
fehlte vor allem die Anerkennung der Rechtsper-
sönlichkeit der fremden Staaten und damit die
Möglichkeit von Rechts= und Pflichtverhältnissen
unter ihnen. Auch die Inden erkannten trotz ihrer
höheren sittlichen Anschauungen ihre polytheisti-
schen Nachbarn nicht als gleichberechtigt an und
hielten einen friedlichen Verkehr mit den heidnischen
Völkern für ausgeschlossen. Ebenso erscheint dem
Griechen jeder Nicht-Grieche als Barbar, dem er
in kultureller Hinsicht weit überlegen ist. In Pla-
tos Idealstaat ist die Berührung seiner Bürger
mit fremden Nationen ausgeschlossen. Indes kennen
wir eine Reihe antiker Philosophen, die sich als