Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Vorrang; innerhalb einer und derselben Klasse 
rangieren die diplomatischen Vertreter nach dem 
Datum der offiziellen Anzeige ihrer Ankunft (s. die 
Art. 3, 4 und 6 des Wiener Rangreglements). 
Die Mitglieder der genannten vier Klassen 
heißen auch charakterisierte Gesandten, 
die Mitglieder der zweiten, dritten und vierten 
Klasse werden auch unter dem Namen „Mis- 
sionschefs“ den Botschaftern gegenübergestellt. 
Die Auswahl der Klasse, in welcher der diplo- 
matische Agent stehen soll, liegt im Belieben des 
Absendestaates; es ist im allgemeinen Sitte, sich 
wechselseitig Gesandte gleicher Klasse zu senden. 
Botschafter werden nur im Verkehr von Staaten 
mit königlichen Ehren bestellt. Die Umwandlung 
einer Gesandtschaft in eine Botschaft kann nur 
auf Grund einer Vereinbarung der beteiligten 
Staaten erfolgen. 
IV. Das Gefolge der Gesandten. Das 
amtliche, offizielle Personal ist zu seinen Funk- 
tionen amtlich bestellt und untersteht dem Chef der 
Gesandtschaft; hierzu gehören: die Botschafts- 
oder Gesandtschaftsräte, -sekretäre, bei den päpst- 
lichen Gesandtschaften oder Nuntiaturen die Ucdi- 
tori, ferner die Gesandtschaftsattachés, die Militär- 
und Marineattachés, die Kanzler und Kanzlei- 
beamten, Geistliche und Arzte und die Kuriere. 
Nicht amtlich ist das Dienstpersonal für die Privat- 
haushaltung der Gesandten. Die Gemahlin des 
Gesandten genießt dieselben Ehrenrechte bei Emp- 
fängen usw. wie ihr Gemahl. 
V. Bestellung des Gesandten. Die Er- 
nennung zum Gesandten erfolgt nach den Normen 
des Landesrechts des Absendestaates; in Deutsch- 
land durch den Kaiser, der nach Art. 11, Abs. 1 
der Reichsverfassung das Reich „völkerrechtlich zu 
vertreten“ und im Namen des Reiches „Gesandte 
zu beglaubigen und zu empfangen hat“. Die 
Leitung des diplomatischen Dienstes liegt dem 
Reichskanzler ob, der alle Verfügungen des Kai- 
sers auch in Sachen des auswärtigen Dienstes 
gegenzeichnet (Art. 17 der Reichsverfassung); unter 
dem Reichskanzler steht als oberste Zentralbehörde 
des auswärtigen Dienstes seit 1870 das „Aus- 
wärtige Amt“, dessen Chef mit der staatsrecht- 
lichen Stellvertretung des Reichskanzlers gemäß 
Gesetz vom 17. März 1878 beauftragt werden kann. 
Auch diejenigen Unterbeamten, welche den Rang 
von Legationsräten haben, erhalten kaiserliche 
Bestallung; die übrigen Beamten der Gesandt- 
schaft werden vom Reichskanzler bzw. dem Chef 
der Gesandtschaft ernannt. 
Selbstverständliche Voraussetzung für die Be- 
kleidung des Amtes eines Gesandten ist fachmän- 
nische Bildung, über deren genügenden Umfang 
der Nachweis nicht immer erbracht worden ist. 
Schwer ins Gewicht fällt auch bei der Auswahl 
eines Gesandten die soziale Stellung und oft auch 
das Privatvermögen des Betreffenden, da der 
Repräsentant eines großen Staates an größeren 
Höfen oft großen Aufwand machen muß, der 
  
Gesandte usw. 
  
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kaum durch den an sich sehr hohen Gehalt gedeckt 
werden kann. Gerade dieser Tatsache, daß nicht 
immer nur die Tüchtigsten für den diplomatischen 
Dienst des Deutschen Reiches ausgewählt worden 
seien, messen heute sehr viele Politiker in Parla- 
ment und Presse die Schuld bei an dem Fiasko 
der auswärtigen Politik des Deutschen Reiches in 
den beiden letzten Jahrzehnten. 
Anerkanntes Gewohnheitsrecht ist es, daß der 
Absendestaat beim Empfangsstaat zunächst an- 
fragt, ob die von ihm gewählte Person als Ge- 
sandter genehm ist. Bezüglich der Ablehnung sind 
keinerlei Rechtssätze vorhänden; doch werden im 
allgemeinen nur politische Gesichtspunkte maß- 
gebend sein. 
Während die meisten Staaten, wie Frankreich, 
Schweden, Holland, Osterreich und die Schweiz, 
ausdrücklich ihren Staatsangehörigen verboten 
haben, diplomatische Amter eines andern Staates 
zu übernehmen, besteht für deutsche Staatsange- 
hörige innerhalb des Reiches kein positives Ver- 
bot, indes kann ein Deutscher jederzeit zum Aus- 
tritt aus einem solchen Dienste aufgefordert werden 
unter Androhung des Verlustes der Staatsange- 
hörigkeit. Die staatsdienstliche Stellung eines 
Gesandten im Absendestaate beginnt mit der Er- 
nennung desselben; auf die völkerrechtliche Privi- 
legierung hat ein Gesandter von dem Augenblicke 
an Anspruch, in welchem er das Gebiet des Emp- 
fangsstaates betritt, vorausgesetzt daß dieser von 
der Ankunft des Gesandten amtlich in Kenntnis 
gesetzt worden ist und gegen dessen Mission keine 
Einwendungen erhoben hat; die rechtliche Stel- 
lung eines Gesandten als solchen nimmt mit der 
offiziellen Anerkennung desselben von seiten des 
Empfangsstaates ihren Anfang. Diese Anerken- 
nung findet ihren Ausdruck durch den Empfang 
des Gesandten von seiten des Staatsoberhauptes 
oder im Falle seiner Verhinderung von seiten des 
Regenten oder einer ad hoc ernannten Behörde 
und die durch den Empfangenden erfolgende Ent- 
gegennahme des Beglaubigungsschreibens. Diezere- 
monielle Seite des Amtsantrittes ist durch die Zere- 
monialvorschriften des Empfangsstaates geregelt. 
Das Beglaubigungsschreiben (Kreditiv, 
litterae credentiales, lettre de créance) ist 
eine sormell abgefaßte schriftliche Urkunde, welche 
einem Gesandten von dessen Absendestaat zu seiner 
Legitimation bei der Regierung des Empfangs- 
staates übergeben wird und welche den Zweck der 
Sendung und den Namen und Charakter des Ge- 
sandten sowie die Bitte enthält, den Erklärungen 
desselben Gehör und Glauben zu schenken. Das 
Beglaubigungsschreiben wird für die Gesandten 
der drei ersten Rangklassen vom Staatsoberhaupte 
des Absendestaates an das Staatsoberhaupt des 
Empfangsstaates gerichtet und diesem selbst oder 
im Falle seiner Verhinderung dem dazu Beauf- 
tragten in mehr oder weniger feierlicher Audienz 
übergeben. Für die Geschäftsträger sowie für alle 
nicht charakterisierten Gesandten wird dasselbe
	        
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