Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

529 
VII. Aechte der diplomatischen Agenten. 
Nach uraltem internationalem Herkommen ge- 
nießen alle diplomatischen Vertreter eines Staates 
in dem Empfangsstaate gewisse persönliche Rechte 
oder Privilegien, welche ihnen teils aus Achtung 
vor ihrem Absendestaate teils aber deshalb ein- 
geräumt werden, um ihnen die freie und unge- 
störte Erfüllung ihrer diplomatischen Aufgaben zu 
ermöglichen. Zu diesen Rechten gehören: 
1. Das Recht der Unverletzlichkeit. Dieses 
besteht darin, daß jeder verletzende Angriff gegen 
die Person eines diplomatischen Vertreters durch 
Rede, Schrift oder Tat, es mag dieser Angriff 
von seiten des Empfangsstaates durch dessen Re- 
gierungsorgane oder von seiten einer Privatperson 
erfolgen, als eine Beleidigung des Absendestaates 
angesehen wird und daher diesem gegenüber, wenn 
er es fordert, gesühnt werden muß. Außerdem 
äußert sich dieses Recht noch dadurch, daß Be- 
leidigungen gegen diplomatische Vertreter durch die 
meisten Strafgesetzgebungen besonders streng ge- 
ahndet werden (s. z. B. 8 104 des deutschen R. St.= 
G. B.). Das Recht der Unverletzlichkeit der diplo- 
matischen Vertreter beginnt gleich den übrigen 
Vorrechten derselben sofort mit dem Eintritt in 
das Gebiet des Empfangsstaates und währt bis 
zu dem Zeitpunkt, in welchem sie dasselbe wieder 
verlassen, selbst dann, wenn im Falle eines Krieges 
zwischen dem Empfangs= und dem Absendestaate 
die Feindseligkeiten bereits begonnen haben sollten. 
Dieses Recht erstreckt sich auch auf die Familie 
und das Gefolge der diplomatischen Vertreter so- 
wie auf alle Objekte, welche mit deren Amt oder 
persönlicher Würde in unmittelbarem Zusammen- 
hange stehen. Das Recht der Unverletzlichkeit kann 
jedoch nicht geltend gemacht werden, wenn ein 
diplomatischer Vertreter durch eigenes rechtswid- 
riges Verhalten Verteidigungs= oder Sicherungs- 
maßregeln gegen sich herbeigeführt hat; ebenso kann 
von einer Verletzung oder Beleidigung im Sinne 
des Völkerrechts dann nicht die Rede sein, wenn 
ein diplomatischer Vertreter sich freiwillig in ein 
Verhältnis begeben hat, welches mit seinem diplo- 
matischen Charakter in keinem Zusammenhange 
steht, so daß er in diesem Falle nur als Privat- 
person behandelt wird, oder wenn sein diplo- 
matischer Charakter der ihn beleidigenden Person 
gänzlich unbekannt war. Ein Recht der Selbst- 
hilfe steht den diplomatischen Vertretern, sofern sie 
sich nicht etwa im Stande der Notwehr befinden, 
nicht zu. 
2. Das Recht auf persönliche Befreiung (Ex- 
emtion) von den Einwirkungen der fremden 
Staatsgewalt insoweit, als dies im Interesse einer 
freien und ungestörten Geschäftsführung der diplo- 
matischen Vertreter geboten erscheint. Dieses Recht 
bezieht sich vorzugsweise auf eine gewisse Befreiung 
von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates, der- 
gestalt, daß dieser bei Vergehen oder Verbrechen 
eines diplomatischen Vertreters höchstens zu dessen 
Arretierung und Überweisung an den Absende- 
Gesandte usw. 
  
530 
staat oder zu dessen Landesverweisung schreiten 
wird. Die Befreiung von der Finanz= und Polizei- 
gewalt ist, abgesehen von den besondern Vorrechten 
der charakterisierten Gesandten, im allgemeinen 
sehr beschränkt. 
3. Das Recht auf eine der Würde des vom 
diplomatischen Beamten vertretenen Staates an- 
gemessene achtungsvolle Behandlung, welche im 
sog. gesandtschaftlichen Ehrenzeremo- 
niell zum Ausdrucke gelangt. Dieses Zeremoniell 
richtet sich nach der Rangklasse, welcher der Ge- 
sandte angehört, und ist hei den nichtcharakteri- 
sierten Gesandten ziemlich unbedeutend. 
Was sodann die Rechte der Gesandten im 
engeren Sinne oder der sog. charakterisierten Ge- 
sandten der vier Rangklassen anlangt, so haben 
dieselben nicht nur das bereits erörterte Recht der 
persönlichen Unverletzlichkeit, sondern auch das 
Recht der Exterritorialität (s. d. Art.). 
Als Folgerungen der Exterritorialität der Ge- 
sandten ergeben sich: 
1. Die Befreiung von der Straf- 
gerichtsbarkeit des Empfangsstaates 
ist durch die Notwendigkeit begründet, die voll- 
kommene Unabhängigkeit der Gesandten von der 
Regierung des besendeten Staates zu sichern; be- 
stände sie nicht, so hätte der Empfangsstaat fort- 
während Gelegenheit, unter dem Vorwande eines 
Verdachtes und einer notwendigen Untersuchung 
die Freiheit der Gesandten zu beschränken. Dieses 
Privilegium ist gegenwärtig allgemein anerkannt 
und gilt so unbedingt, daß die Gesandten selbst 
nicht darauf verzichten können, weil es nicht zu 
ihren privaten Gunsten, sondern in einem öffent- 
lichen Interesse gegeben ist. Die Exemtion von 
der Strafgerichtsbarkeit ist aber kein Freibrief zur 
Begehung von Verbrechen, und es können daher 
einem Gesandten gegenüber nicht nur von einer be- 
drohten Privatperson entsprechende Verteidigungs- 
mittel ergriffen, sondern auch von den Behörden 
des Empfangsstaates alle Mittel angewendet wer- 
den, um geplante sowie in Ausführung begriffene 
strafbare Handlungen desselben zu verhindern, 
oder wenn solche schon begangen worden sind, 
gegen weitere Beeinträchtigungen sich zu schützen 
und das gegebene Argernis zu entfernen. Macht 
sich ein Gesandter eines leichten, kein öffentliches 
Argernis erregenden Vergehens gegen eine Privat- 
person schuldig, so wird dasselbe entweder mit 
Stillschweigen übergangen, oder es erfolgt eine 
vertrauliche Warnung des Gesandten oder eine 
Beschwerde bei seinem Absendestaat. Begeht ein 
Gesandter ein Verbrechen gegen eine Privatperson, 
so wird in der Regel die Zurückberufung und Be- 
strafung des Schuldigen von dessen Absendestaate 
verlangt, der sich, sobald das Verbrechen und 
dessen Strafwürdigkeit hinlänglich festgestellt sind, 
dessen nicht weigern darf, wenn er sich nicht einer 
Rechtskränkung des in seinem Angehörigen ver- 
letzten Empfangsstaates schuldig machen will. Wei- 
gert sich aber der Absendestaat, den Schuldigen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.