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VII. Aechte der diplomatischen Agenten.
Nach uraltem internationalem Herkommen ge-
nießen alle diplomatischen Vertreter eines Staates
in dem Empfangsstaate gewisse persönliche Rechte
oder Privilegien, welche ihnen teils aus Achtung
vor ihrem Absendestaate teils aber deshalb ein-
geräumt werden, um ihnen die freie und unge-
störte Erfüllung ihrer diplomatischen Aufgaben zu
ermöglichen. Zu diesen Rechten gehören:
1. Das Recht der Unverletzlichkeit. Dieses
besteht darin, daß jeder verletzende Angriff gegen
die Person eines diplomatischen Vertreters durch
Rede, Schrift oder Tat, es mag dieser Angriff
von seiten des Empfangsstaates durch dessen Re-
gierungsorgane oder von seiten einer Privatperson
erfolgen, als eine Beleidigung des Absendestaates
angesehen wird und daher diesem gegenüber, wenn
er es fordert, gesühnt werden muß. Außerdem
äußert sich dieses Recht noch dadurch, daß Be-
leidigungen gegen diplomatische Vertreter durch die
meisten Strafgesetzgebungen besonders streng ge-
ahndet werden (s. z. B. 8 104 des deutschen R. St.=
G. B.). Das Recht der Unverletzlichkeit der diplo-
matischen Vertreter beginnt gleich den übrigen
Vorrechten derselben sofort mit dem Eintritt in
das Gebiet des Empfangsstaates und währt bis
zu dem Zeitpunkt, in welchem sie dasselbe wieder
verlassen, selbst dann, wenn im Falle eines Krieges
zwischen dem Empfangs= und dem Absendestaate
die Feindseligkeiten bereits begonnen haben sollten.
Dieses Recht erstreckt sich auch auf die Familie
und das Gefolge der diplomatischen Vertreter so-
wie auf alle Objekte, welche mit deren Amt oder
persönlicher Würde in unmittelbarem Zusammen-
hange stehen. Das Recht der Unverletzlichkeit kann
jedoch nicht geltend gemacht werden, wenn ein
diplomatischer Vertreter durch eigenes rechtswid-
riges Verhalten Verteidigungs= oder Sicherungs-
maßregeln gegen sich herbeigeführt hat; ebenso kann
von einer Verletzung oder Beleidigung im Sinne
des Völkerrechts dann nicht die Rede sein, wenn
ein diplomatischer Vertreter sich freiwillig in ein
Verhältnis begeben hat, welches mit seinem diplo-
matischen Charakter in keinem Zusammenhange
steht, so daß er in diesem Falle nur als Privat-
person behandelt wird, oder wenn sein diplo-
matischer Charakter der ihn beleidigenden Person
gänzlich unbekannt war. Ein Recht der Selbst-
hilfe steht den diplomatischen Vertretern, sofern sie
sich nicht etwa im Stande der Notwehr befinden,
nicht zu.
2. Das Recht auf persönliche Befreiung (Ex-
emtion) von den Einwirkungen der fremden
Staatsgewalt insoweit, als dies im Interesse einer
freien und ungestörten Geschäftsführung der diplo-
matischen Vertreter geboten erscheint. Dieses Recht
bezieht sich vorzugsweise auf eine gewisse Befreiung
von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates, der-
gestalt, daß dieser bei Vergehen oder Verbrechen
eines diplomatischen Vertreters höchstens zu dessen
Arretierung und Überweisung an den Absende-
Gesandte usw.
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staat oder zu dessen Landesverweisung schreiten
wird. Die Befreiung von der Finanz= und Polizei-
gewalt ist, abgesehen von den besondern Vorrechten
der charakterisierten Gesandten, im allgemeinen
sehr beschränkt.
3. Das Recht auf eine der Würde des vom
diplomatischen Beamten vertretenen Staates an-
gemessene achtungsvolle Behandlung, welche im
sog. gesandtschaftlichen Ehrenzeremo-
niell zum Ausdrucke gelangt. Dieses Zeremoniell
richtet sich nach der Rangklasse, welcher der Ge-
sandte angehört, und ist hei den nichtcharakteri-
sierten Gesandten ziemlich unbedeutend.
Was sodann die Rechte der Gesandten im
engeren Sinne oder der sog. charakterisierten Ge-
sandten der vier Rangklassen anlangt, so haben
dieselben nicht nur das bereits erörterte Recht der
persönlichen Unverletzlichkeit, sondern auch das
Recht der Exterritorialität (s. d. Art.).
Als Folgerungen der Exterritorialität der Ge-
sandten ergeben sich:
1. Die Befreiung von der Straf-
gerichtsbarkeit des Empfangsstaates
ist durch die Notwendigkeit begründet, die voll-
kommene Unabhängigkeit der Gesandten von der
Regierung des besendeten Staates zu sichern; be-
stände sie nicht, so hätte der Empfangsstaat fort-
während Gelegenheit, unter dem Vorwande eines
Verdachtes und einer notwendigen Untersuchung
die Freiheit der Gesandten zu beschränken. Dieses
Privilegium ist gegenwärtig allgemein anerkannt
und gilt so unbedingt, daß die Gesandten selbst
nicht darauf verzichten können, weil es nicht zu
ihren privaten Gunsten, sondern in einem öffent-
lichen Interesse gegeben ist. Die Exemtion von
der Strafgerichtsbarkeit ist aber kein Freibrief zur
Begehung von Verbrechen, und es können daher
einem Gesandten gegenüber nicht nur von einer be-
drohten Privatperson entsprechende Verteidigungs-
mittel ergriffen, sondern auch von den Behörden
des Empfangsstaates alle Mittel angewendet wer-
den, um geplante sowie in Ausführung begriffene
strafbare Handlungen desselben zu verhindern,
oder wenn solche schon begangen worden sind,
gegen weitere Beeinträchtigungen sich zu schützen
und das gegebene Argernis zu entfernen. Macht
sich ein Gesandter eines leichten, kein öffentliches
Argernis erregenden Vergehens gegen eine Privat-
person schuldig, so wird dasselbe entweder mit
Stillschweigen übergangen, oder es erfolgt eine
vertrauliche Warnung des Gesandten oder eine
Beschwerde bei seinem Absendestaat. Begeht ein
Gesandter ein Verbrechen gegen eine Privatperson,
so wird in der Regel die Zurückberufung und Be-
strafung des Schuldigen von dessen Absendestaate
verlangt, der sich, sobald das Verbrechen und
dessen Strafwürdigkeit hinlänglich festgestellt sind,
dessen nicht weigern darf, wenn er sich nicht einer
Rechtskränkung des in seinem Angehörigen ver-
letzten Empfangsstaates schuldig machen will. Wei-
gert sich aber der Absendestaat, den Schuldigen