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zurückzuberufen und zu bestrafen, oder handelt es
sich um ein Verbrechen von großer Erheblichkeit,
so ist der Empfangsstaat vollkommen berechtigt,
dem Gesandten zu befehlen, das Staatsgebiet zu
verlassen, oder ihn verhaften und über die Grenze
bringen zu lassen. Hat sich ein Gesandter, sei es
Gesandte usw.
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sich jedoch der Natur der Sache nach nicht auf
unbewegliche Güter, welche ein Gesandter als
rivatmann im Empfangsstaate besitzt. Diese
Erxemtion findet ferner nicht statt: a) wenn ein
Gesandter mit Genehmigung seines Absendestaa-
les sich der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates
aus eigenem Antriebe oder auf Anweisung seines
Absendestaates, in Unternehmungen gegen die Genehmigung seines Absendestaates bei einem Ge-
Sicherheit des Empfangsstaates eingelassen, so ist richte des Empfangsstaates als Kläger auftritt, in
dieser berechtigt, sich sofort der Person desselben welchem Falle er sich einer Widerklage bei dem-
zu versichern und überhaupt alle Maßregeln zu selben Gerichte und bei dem gleichen Instanzen-
ergreisen, welche die Not gebietet. Ist die Gefahr zuge unterwerfen muß; c) wenn der Gesandte
vorüber, so kann der verletzte Empfangsstaat vom als Kaufmann oder Gesellschafter in einem indu-
betreffenden Absendestaate die Zurückberufung und striellen oder kommerziellen Unternehmen sich mit
Bestrafung seines Gesandten und Genugkuung Handelsgeschäften befaßt. — Die Ausübung des
sordern. Wird dies verweigert, so macht sich der Gerichtszwanges gegen seine Person ist ausge-
Absendestaat zum Mitschuldigen seines Gesandten schlossen, ebenso ist er vom Zeugniszwang eximiert.
an dem Attentate gegen den Empfangsstaat, und Die Familie und das Gefolge eines Gesandten
dieser ist daher selbst zu einem feindlichen Ver= sind aus dem oben angeführten Grunde in gleicher
fahren gegen den betreffenden Gesandten und dessen Weise von der Zivilgerichtsbarkeit des Empfangs-
unterwirft; b) wenn ein Gesandter mit oder ohne
Absendestaat berechtigt. Der verletzte Staat be-
schränkt sich jedoch häufig von vornherein darauf,
dem Gesandten zu befehlen, das Staatsgebiet zu
verlassen, oder ihn verhaften und bewacht über die
Grenze bringen zu lassen. — Nach geltendem Recht
finden die gesandtschaftlichen Privilegien der Un-
verletzlichkeit und der sog. Exterritorialität auch
Anwendung auf das ganze Gesandtschaftspersonal,
die Familie des Gesandten und die Familien der
zum Personal gehörenden Personen und die Diener-
schaft des Gesandten und aller dieser Personen, ob-
wohl für das Gefolge keinerlei Rechtsanspruch be-
steht, da dieses ja in keiner Beziehung steht zu den
Bedingungen einer freien und ungestörten Aus-
übung der gesandtschaftlichen Funktionen. Aus-
genommen sind solche Bedienstete, welche Ange-
hörige des Empfangsstaates sind. — Ebenso ist
gegenüber den Kindern, die dem Gesandten oder
einem Mitgliede der Gesandtschaft im Gebiete des
Empfangsstaates geboren werden, auf Grund ihrer
Geburt im Empfangsstaat eine Wirksamkeit der
Staatsgewalt ausgeschlossen.
Die Befreiung von der Zivil-
gerichtsbarkeit des Empfangsstaates
ist ebenso wie die Befreiung von der Strafgerichts-
barkeit durch die Notwendigkeit begründet, die voll-
kommene Unabhängigkeit der Gesandten von der
Regierung des besendeten Staates zu sichern; sie
ist sowohl durch die internationale Gerichtspraxis
als auch durch die Gesetzgebung der europäischen.
Staaten anerkannt. Ein Gesandter kann als solcher
bei den Gerichten des Empfangsstaates nicht ver-
klagt werden; ebensowenig können Sachen, die er
als Gesandter besitzt, mit Beschlag belegt oder im
Falle der Abreise dessen Pässe wegen Schulden
verweigert werden. Die Gläubiger eines Gesandten
haben sich entweder durch Vermittlung des Mini-
sters des Auswärtigen an die Regierung des be-
treffenden Absendestaates zu wenden oder aber
denselben bei dem zuständigen Gerichte seines Ab-
sendestaates zu verklagen. Diese Exemtion erstreckt
staates befreit.
3. Die Unverletzlichkeit des Gesandt-
schaftshotels. Dieses Privilegium bedeutet
die Befreiung der Wohnungen der Gesandten von
der Wirksamkeit der territorialen Obrigkeit inso-
weit, als dies mit der sozialen und politischen
Sicherheit des Empfangsstaates vereinbar ist.
Dieses Vorrecht wurde im 16. und 17. Jahrh.
mißbräuchlich ausgedehnt, indem man nicht nur
die Wohnungen der Gesandten für unverletzlich
erklärte, sondern die Fiktion der Exterritorialität
auch auf den ganzen Stadtteil oder das Quartier
übertrug, innerhalb dessen ein Gesandtschaftshotel
gelegen war. Das Privilegium, vermöge dessen
die Gesandten innerhalb eines durch Ketten oder
andere Kennzeichen eingegrenzten Stadtteiles un-
beschränkt walteten, nannte man die Quartier=
freiheit (ius quarteriorum, ius franchisiae,
franchise des quartiers). Diese erwies sich aber
für die Empfangsstaaten bald um so unleidlicher,
als man daraus das Asylrecht (ius asyli, droit
d’asile) ableitete (s. Bd I. Sp. 421), kraft dessen
der von einer Gesandtschaft beherrschte Raum
allen von den örtlichen Justiz= und Polizeibehör=
den verfolgten Individuen als Zufluchtsstätte
diente. Zuerst gelang es Innozenz XI., der von
allen Päpsten bekämpften Quartierfreiheit (un-
geachtet der brutalen Gegenmaßregeln Lud-
wigs XIV.) durch ein Dekret von 1687 im Kir-
chenstaat ein Ende zu machen. Seit der Auf-
hebung der Quartierfreiheit behielten die Ge-
sandten neben dem Privilegium der Unverletzlichkeit
ihrer Wohnung (franchise de I’hötel) das Asyl=
recht bei, und zwar unter Erstreckung desselben
auf die Wagen der Gesandtschaft. Dieses Asyl-
recht führte jedoch gleichfalls in Bälde zu Miß-
bräuchen und internationalen Zwistigkeiten. Nach
heutigem Recht besteht die sog. Quartierfreiheit
nur noch darin, daß kein Organ des Empfangs-
staates, insbesondere kein Polizeibeamter, Finanz-
beamter und Gerichtsbeamter in das Gesandt-