Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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schaftshotel eindringen und ohne Einwilligung 
des Gesandten daselbst Amtshandlungen (Haus- 
suchung, Zustellung von Vorladungen, zollamt- 
liche Durchsuchungen) vornehmen kann. 
4. Abgabenfreiheit. Der Gesandte ist 
befreit von der Entrichtung persönlicher Steuern: 
der Kriegssteuer, den Einquartierungen, der Ein- 
kommens-, Vermögens= und Kopfsteuer. Früher ge- 
noß er allgemein auch Zollfreiheit; doch ist diese in 
vielen Staaten ausgehoben bzw. abgelöst; dort 
unterbleibt nur die Durchsuchung des Reisegepäcks. 
Einzelne Staaten gewähren in bestimmtem Um- 
fange noch Zollfreiheit, z. B. für die unmittelbar 
bei dem Amtsantritte in das Gebiet des Empfangs- 
staates eingeführten Gegenstände, so in Osterreich, 
dem Gesandten später zugeführte Gegenstände 
sind zollpflichtig unter Berücksichtigung der Rezi- 
prozität. Entrichten muß der Gesandte Grund- 
und Gebäude-, Handels= und Gewerbesteuern, 
Gebühren für gerichtliche Handlungen, Post-, 
Telegraphen, Eisenbahntaxen, Mautgebühren aller 
Art, die indirekten Steuern. Prinzipiell unter- 
liegt das dem Absendestaat gehörige Gesandt- 
schaftsgebäude der Grund= und Häusersteuer des 
Empfangsstaates; doch gewähren sich einzelne 
Staaten bezüglich dieses Gesandtschaftshotels 
Steuerfreiheit, so Deutschland einerseits, Frank- 
reich und Rußland anderseits. 
5. Das Recht der freien Religions- 
übung oder das sog. Kapellenrecht. 
Unter diesem Privilegium versteht man die Be- 
fugnis der Gesandten, im Gesandtschaftshotel eine 
Kapelle einzurichten und daselbst durch einen zur 
Gesandtschaft gehörigen Geistlichen (aumöônier) 
ihren eigenen Gottesdienst abhalten zu lassen, 
welchem nicht nur das Gesandtschaftspersonal und 
dessen Familiengenossen, sondern auch die am Sitze 
des Gesandten sich aufhaltenden Staatsgenossen 
desselben beiwohnen dürfen. Das Kapellenrecht 
hat für die Gesandten nur noch in einigen heid- 
nischen, mohammedanischen und südamerikanischen 
Staaten praktische Bedeutung, in welchen das 
Prinzip der Religionsfreiheit noch nicht zum 
Staatsgrundgesetze erhoben worden ist. 
Eine Zivilgerichtsbarkeit oder gar eine Straf- 
gerichtsbarkeit wird den Gesandten in den Staaten 
der Gegenwart nicht mehr eingeräumt. Die ge- 
richtlichen Funktionen der Gesandten beschränken 
sich heutzutage ausschließlich auf die Angelegen- 
heiten der sog. freiwilligen oder nichtstreitigen 
Gerichtsbarkeit (ogl. oben Abschnitt VI). 
Die Zeremonialrechte der Gesandten 
werden im einzelnen durch die Landes= und Hof- 
sitte des Empfangsstaates bestimmt und sind in 
jedem Staate je nach der Rangklasse, welcher ein 
Gesandter angehört, sehr verschieden. Hier sollen 
nur die den Gesandten erster Klasse eigentümlichen 
Zeremonialrechte kurz angeführt werden. Diese 
sind: 1) Das Recht auf den Titel „Exzellenz“. 
Dieses Titels haben sich ihnen gegenüber alle 
Staatsdiener und Untertanen des Empfangsstaates 
Gesandte ufw. 
  
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sowie alle bei diesem beglaubigten Gesandten an- 
derer Mächte zu bedienen, nicht aber auch der 
Souverän des Empfangsstaates; auch die Kar- 
dinäle geben den beim Vatikan beglaubigten Bot- 
schaftern während einer Vakanz des päpstlichen. 
Stuhles diesen Titel nicht, weil der künftige Papst 
aus ihnen gewählt wird. Kardinäle oder Fürsten 
führen, wenn sie als Gesandte auftreten, statt 
dieses Titels den Titel „Eminenz“ bzw. „Durch- 
laucht“. Gegenwärtig wird der Titel „Exzellenz“ 
aus Courtoisie auch den Gesandten zweiter Klasse, 
besonders im Verkehr untereinander, gegeben. 
2) Das Recht eines Thronhimmels (dais, Bal- 
dachin, Zelt aus Samt oder drap d'or) über dem 
im Empfangssaale befindlichen Paradestuhl, wel- 
cher den Thron des absendenden Souveräns be- 
deuten soll. 3) Das Recht, sich in Gegenwart des 
besendeten Souveräns zu bedecken, falls dieser es 
tut. 4) Das Recht, mit sechs Pferden, welche mit 
Staatsquasten (fiocchi) geziert sind, zu fahren. 
5) Das Recht der ersten Visite, d. h. das Recht, 
den ersten Besuch von allen schon anwesenden 
Gesandten, von denen der ersten Klasse jedoch erst 
nach erfolgter Anzeige der Ankunft, zu erwarten. 
Mitunter werden den Gesandten erster Klasse ein 
besonders feierlicher Empfang und pomphafte 
Empfangs= und Abschiedsaudienzen sowie mili- 
tärische Ehrenbezeigungen zuteil. — Die Ge- 
mahlinnen der Gesandten haben im allgemeinen 
keine Zeremonialrechte; doch werden ihnen aus 
Höflichkeit dieselben Ehrenplätze unter den 
Damen angewiesen, welche ihre Gemahle unter 
den Herren einnehmen. Die Gesandtschaftssekre- 
täre haben auf ein bestimmtes Zeremoniell keinen 
Anspruch. 
VIII. Berhältnis der diplomakischen Agen- 
ten zu dritten Staalen. Das Verhältnis des 
Gesandten zu dritten Staaten, deren Gebiet er auf 
dem Wege nach oder von dem Orte der Mission 
durchreist, ist sehr bestritten. Die einen Publizisten 
bestreiten jedes Vorrecht des Gesandten, andere 
wieder schreiben ihm Unverletzlichkeit zu. Wenn 
nun auch zuzugeben ist, daß die Immunitäten des 
Gesandten sich streng genommen nur auf das 
Verhältnis des Gesandten zum Empfangsstaate 
beziehen können, so liegt doch anderseits auf der 
Hand, daß die Interessengemeinschaft aller Kultur- 
staaten auch die praktische Gewährung der Unver- 
letzlichkeit des Gesandten von seiten jedes dritten 
Staates verlangt; und tatsächlich gewähren auch 
alle Kulturstaaten auswärtigen Missionen, wenn 
diese als solche und in ihrer diplomatischen Aktion 
befindlich legitimiert sind, analoge Privilegien 
wie der Empfangsstaat, vorausgesetzt, daß die 
Durchreise nicht verboten ist und daß es sich nur 
um eine freundschaftliche und ungefährliche Durch- 
reise handelt (ius transitus innoxüh); ebenso 
kann dieser dritte Staat der fremden Mission eine 
bestimmte Route vorschreiben und deren Aufent- 
halt auf eine bestimmte Frist beschränken oder 
geradezu verbieten. Die Reise über den Kriegs-
	        
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