Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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selbst in den durch das Los zu bildenden sieben 
Abteilungen bzw. von der in jeder Session zu 
bildenden Wahlprüfungskommission. An letztere 
sind die Wahlverhandlungen abzugeben, wenn eine 
rechtzeitig erhobene Wahlanfechtung oder Ein- 
sprache vorliegt, oder von der Abteilung die Gültig- 
keit der Wahl durch Mehrheitsbeschluß für zweifel- 
haft erklärt wird, oder zehn anwesende Mitglieder 
der Abteilung einen aus dem Inhalt der Wahl- 
verhandlungen abgeleiteten, speziell zu bezeichnen- 
den Zweifel gegen die Gültigkeit der Wahl er- 
heben. Die Wahlprüfungskommission hat die 
Aufgabe eines Gerichtshofes, welcher lediglich 
nach strengem Recht und festen Grundsätzen über 
die Gültigkeit einer Wahl entscheidet. Entschei- 
Geschäftsordnung, parlamentarische. 
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fertigt war. Entsteht in der Versammlung störende 
Unruhe, so kann der Präsident die Sitzung auf be- 
stimmte Zeit aussetzen oder ganz aufheben. Kann 
er sich kein Gehör verschaffen, so bedeckt er sein 
Haupt, womit die Sitzung auf eine Stunde unter- 
brochen ist. 
Die Mitglieder des Bundesrates und die zu ihrer 
Vertretung abgeordneten Kommissare müssen auf 
ihr Verlangen jederzeit gehört werden. Nimmt 
ein Vertreter des Bundesrates nach dem Schlusse 
der Diskussion das Wort, so gilt diese aufs neue 
für eröffnet. Sofortige Zulassung zum Worte 
können nur diejenigen Mitglieder des Reichstages 
verlangen, welche zur „Geschäftsordnung“ reden 
wollen. Die Zulassung geschieht nach freiem Er- 
  
dungen nach parteipolitischen Rücksichten, die leider messen des Präsidenten; der Redner darf in jedem 
nicht immer vermieden wurden, sind ein Mißbrauch. Falle nicht mehr als fünf Minuten beanspruchen. 
Dasselbe gilt für den Reichstag selbst, wenn er Persönliche Bemerkungen zur Aufklärung von 
über die Anträge der Wahlprüfungskommission Mißverständnissen oder zur Abwehr von Angriffen 
beschließt, wie auch für alle andern Parlamente. sind erst nach dem Schlusse der Debatte oder im 
Bis zur Ungültigkeitserklärung einer Wahl hat Falle der Vertagung derselben am Schlusse der 
der Gewählte Sitz und Stimme im Reichstage. Sitzung gestattet. Bei allen Diskussionen erteilt 
Sobald die Anwesenheit einer beschlußfähigen An- 
zahl von Mitgliedern (der absoluten Mehrheit 
sämtlicher 397 Abgeordneten) durch Namensauf- 
ruf festgestellt ist, vollzieht der Reichstag die Wahl 
seines Präsidiums und der Schriftführer. Die 
Wahlen des Präsidenten, sodann des ersten und 
hierauf des zweiten Vizepräsidenten erfolgen durch 
Stimmzettel nach absoluter Stimmenmehrheit, die 
der Schriftführer können auch durch Zuruf er- 
folgen (wie es in der Regel geschieht). Die Präsi- 
denten werden zu Anfang einer Legislaturperiode 
nur auf vier Wochen, dann für die übrige Dauer 
der Session gewählt, während in den folgenden 
Sessionen einer Legislaturperiode die Wahl sofort 
für die ganze Dauer der Session getätigt wird. 
Dem Präsidenten obliegt die Leitung der Ver- 
handlungen, die Handhabung der Ordnung und 
die Vertretung des Reichstages nach außen. Die 
Frage, ob die Gewalt des Präsidenten eine Vor- 
nahme richterlicher oder polizeilicher Amtshand- 
lungen innerhalb des Reichstagsgebäudes aus- 
schließt, kann nach dem bestehenden Recht nicht 
bejaht werden, da die geschäftsordnungsmäßigen 
Befugnisse des Präsidenten die gesetzlichen Be- 
fugnisse der staatlichen Behörden nicht beschränken 
können. Will der Präsidenk an der Debatte sich 
beteiligen, so muß er den Vorsitz abtreten. 
Der Präsident ist berechtigt, die Redner auf 
den Gegenstand der Verhandlung zurückzuweisen 
(„zur Sache“) oder nötigenfalls „zur Ordnung“ 
zu rufen. Ist das eine oder das andere in der 
nämlichen Rede zweimal ohne Erfolg geschehen, 
und fährt der Redner fort, sich vom Gegenstande 
oder von der Ordnung zu entfernen, so kann ihm 
nach vorheriger Verwarnung das Wort entzogen 
werden. Gegen den Ordnungsruf kann der Redner 
schriftlich Einspruch erheben, worauf der Reichstag 
in der nächstfolgenden Sitzung ohne Diskussion 
darüber entscheidet, ob der Ordnungsruf gerecht- 
der Präsident demjenigen Mitgliede das Wort, 
welches nach Eröffnung der Diskussion oder nach 
Beendigung der vorhergehenden Rede zuerst darum 
nachsucht. Wenn sich mehrere Redner gleichzeitig 
melden, muß der Präsident über die Reihenfolge 
derselben selbständig entscheiden. Das gibt dem 
Präsidenten einen großen Einfluß auf die Gestal- 
tung der Rednerliste, welchen er mit Gerechtigkeit 
und Billigkeit nach allen Seiten hin ausüben muß. 
Das Vorresen schriftlich abgefaßter Reden ist den 
Mitgliedern nur dann gestattet, wenn sie der deut- 
schen Sprache nicht mächtig sind. Abänderungs- 
vorschläge (Amendements) oder Anträge auf Ab- 
lehnung von Petitionen unter Angabe der Ableh- 
nungsgründe (motivierte Tagesordnung) können 
zu jeder Zeit vor dem Schlusse der Verhandlungen 
gestellt werden. Der Antrag auf Übergang zur 
Tagesordnung gegenüber einem Antrage eines 
Mitgliedes oder auf Nichtberücksichtigung einer 
Petition (einfache Tagesordnung) kann zu jeder 
Zeit gestellt werden und bedarf keiner Unterstützung; 
der Beschluß darüber erfolgt, nachdem ein Redner 
für und ein Redner gegen denselben gehört worden 
ist. Uber Anträge des Bundesrates kann nicht zur 
Tagesordnung übergegangen werden. 
Die Abstimmung (LBeschlußfassung) im 
Reichstag erfolgt durch Aufstehen oder Sitzen- 
bleiben. Ist das Ergebnis nach Ansicht des Prä- 
sidenten oder eines der fungierenden Schriftführer 
zweifelhaft, so wird die Gegenprobe gemacht; 
liefert auch sie noch kein sicheres Resultat, so er- 
folgt die Zählung des Hauses (der sog. Hammel- 
sprung), indem die Mitglieder den Saal verlassen 
und durch die „Ja-“ oder die „Nein-“ Türe herein- 
treten. Ist vor einer Abstimmung infolge einer 
darüber gemachten Bemerkung der Präsident oder 
einer der fungierenden Schriftführer zweifelhaft, 
ob eine beschlußfähige Anzahl von Mitgliedern 
anwesend sei, so erfolgt der Namensaufruf. Auf 
  
 
	        
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