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selbst in den durch das Los zu bildenden sieben
Abteilungen bzw. von der in jeder Session zu
bildenden Wahlprüfungskommission. An letztere
sind die Wahlverhandlungen abzugeben, wenn eine
rechtzeitig erhobene Wahlanfechtung oder Ein-
sprache vorliegt, oder von der Abteilung die Gültig-
keit der Wahl durch Mehrheitsbeschluß für zweifel-
haft erklärt wird, oder zehn anwesende Mitglieder
der Abteilung einen aus dem Inhalt der Wahl-
verhandlungen abgeleiteten, speziell zu bezeichnen-
den Zweifel gegen die Gültigkeit der Wahl er-
heben. Die Wahlprüfungskommission hat die
Aufgabe eines Gerichtshofes, welcher lediglich
nach strengem Recht und festen Grundsätzen über
die Gültigkeit einer Wahl entscheidet. Entschei-
Geschäftsordnung, parlamentarische.
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fertigt war. Entsteht in der Versammlung störende
Unruhe, so kann der Präsident die Sitzung auf be-
stimmte Zeit aussetzen oder ganz aufheben. Kann
er sich kein Gehör verschaffen, so bedeckt er sein
Haupt, womit die Sitzung auf eine Stunde unter-
brochen ist.
Die Mitglieder des Bundesrates und die zu ihrer
Vertretung abgeordneten Kommissare müssen auf
ihr Verlangen jederzeit gehört werden. Nimmt
ein Vertreter des Bundesrates nach dem Schlusse
der Diskussion das Wort, so gilt diese aufs neue
für eröffnet. Sofortige Zulassung zum Worte
können nur diejenigen Mitglieder des Reichstages
verlangen, welche zur „Geschäftsordnung“ reden
wollen. Die Zulassung geschieht nach freiem Er-
dungen nach parteipolitischen Rücksichten, die leider messen des Präsidenten; der Redner darf in jedem
nicht immer vermieden wurden, sind ein Mißbrauch. Falle nicht mehr als fünf Minuten beanspruchen.
Dasselbe gilt für den Reichstag selbst, wenn er Persönliche Bemerkungen zur Aufklärung von
über die Anträge der Wahlprüfungskommission Mißverständnissen oder zur Abwehr von Angriffen
beschließt, wie auch für alle andern Parlamente. sind erst nach dem Schlusse der Debatte oder im
Bis zur Ungültigkeitserklärung einer Wahl hat Falle der Vertagung derselben am Schlusse der
der Gewählte Sitz und Stimme im Reichstage. Sitzung gestattet. Bei allen Diskussionen erteilt
Sobald die Anwesenheit einer beschlußfähigen An-
zahl von Mitgliedern (der absoluten Mehrheit
sämtlicher 397 Abgeordneten) durch Namensauf-
ruf festgestellt ist, vollzieht der Reichstag die Wahl
seines Präsidiums und der Schriftführer. Die
Wahlen des Präsidenten, sodann des ersten und
hierauf des zweiten Vizepräsidenten erfolgen durch
Stimmzettel nach absoluter Stimmenmehrheit, die
der Schriftführer können auch durch Zuruf er-
folgen (wie es in der Regel geschieht). Die Präsi-
denten werden zu Anfang einer Legislaturperiode
nur auf vier Wochen, dann für die übrige Dauer
der Session gewählt, während in den folgenden
Sessionen einer Legislaturperiode die Wahl sofort
für die ganze Dauer der Session getätigt wird.
Dem Präsidenten obliegt die Leitung der Ver-
handlungen, die Handhabung der Ordnung und
die Vertretung des Reichstages nach außen. Die
Frage, ob die Gewalt des Präsidenten eine Vor-
nahme richterlicher oder polizeilicher Amtshand-
lungen innerhalb des Reichstagsgebäudes aus-
schließt, kann nach dem bestehenden Recht nicht
bejaht werden, da die geschäftsordnungsmäßigen
Befugnisse des Präsidenten die gesetzlichen Be-
fugnisse der staatlichen Behörden nicht beschränken
können. Will der Präsidenk an der Debatte sich
beteiligen, so muß er den Vorsitz abtreten.
Der Präsident ist berechtigt, die Redner auf
den Gegenstand der Verhandlung zurückzuweisen
(„zur Sache“) oder nötigenfalls „zur Ordnung“
zu rufen. Ist das eine oder das andere in der
nämlichen Rede zweimal ohne Erfolg geschehen,
und fährt der Redner fort, sich vom Gegenstande
oder von der Ordnung zu entfernen, so kann ihm
nach vorheriger Verwarnung das Wort entzogen
werden. Gegen den Ordnungsruf kann der Redner
schriftlich Einspruch erheben, worauf der Reichstag
in der nächstfolgenden Sitzung ohne Diskussion
darüber entscheidet, ob der Ordnungsruf gerecht-
der Präsident demjenigen Mitgliede das Wort,
welches nach Eröffnung der Diskussion oder nach
Beendigung der vorhergehenden Rede zuerst darum
nachsucht. Wenn sich mehrere Redner gleichzeitig
melden, muß der Präsident über die Reihenfolge
derselben selbständig entscheiden. Das gibt dem
Präsidenten einen großen Einfluß auf die Gestal-
tung der Rednerliste, welchen er mit Gerechtigkeit
und Billigkeit nach allen Seiten hin ausüben muß.
Das Vorresen schriftlich abgefaßter Reden ist den
Mitgliedern nur dann gestattet, wenn sie der deut-
schen Sprache nicht mächtig sind. Abänderungs-
vorschläge (Amendements) oder Anträge auf Ab-
lehnung von Petitionen unter Angabe der Ableh-
nungsgründe (motivierte Tagesordnung) können
zu jeder Zeit vor dem Schlusse der Verhandlungen
gestellt werden. Der Antrag auf Übergang zur
Tagesordnung gegenüber einem Antrage eines
Mitgliedes oder auf Nichtberücksichtigung einer
Petition (einfache Tagesordnung) kann zu jeder
Zeit gestellt werden und bedarf keiner Unterstützung;
der Beschluß darüber erfolgt, nachdem ein Redner
für und ein Redner gegen denselben gehört worden
ist. Uber Anträge des Bundesrates kann nicht zur
Tagesordnung übergegangen werden.
Die Abstimmung (LBeschlußfassung) im
Reichstag erfolgt durch Aufstehen oder Sitzen-
bleiben. Ist das Ergebnis nach Ansicht des Prä-
sidenten oder eines der fungierenden Schriftführer
zweifelhaft, so wird die Gegenprobe gemacht;
liefert auch sie noch kein sicheres Resultat, so er-
folgt die Zählung des Hauses (der sog. Hammel-
sprung), indem die Mitglieder den Saal verlassen
und durch die „Ja-“ oder die „Nein-“ Türe herein-
treten. Ist vor einer Abstimmung infolge einer
darüber gemachten Bemerkung der Präsident oder
einer der fungierenden Schriftführer zweifelhaft,
ob eine beschlußfähige Anzahl von Mitgliedern
anwesend sei, so erfolgt der Namensaufruf. Auf