Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

543 Geschäftsordnung, 
rechtigung oder auf Lebenszeit berufenen Mit- 
glieder des Herrenhauses sollen auf Grund eines 
von der Staatsregierung vorzulegenden Verzeich- 
nisses oder der an das Präsidium des Hauses ge- 
langenden Zertifikatorien der Staatsregierung 
durch eine besondere Kommission in eine Matrikel 
eingetragen werden, sobald sie als legitimiert an- 
erkannt worden sind. Die Matrikelkommission hat 
die Legitimation der Mitglieder nach Maßgabe der 
Verordnungen vom 12. Okt. 1854 und 10. Nov. 
1865 sowie der Allerhöchsten Erlasse vom 21. Okt. 
1854. 29. Sept. 1860, 26. Okt. 1867, 12. Mai 
1876, 6. Okt. 1879, 22. März 1892 und 15. Mai 
1905 betreffend das Präsentationsrecht der Städte 
zu prüfen und über das Ergebnis dem Hause Be- 
richt zu erstatten. Jedes Mitglied des Hauses kann 
Zweifel über die Legitimation eines Mitgliedes 
schriftlich der Kommission mitteilen. 
Im Herrenhause ist die einzige Aufgabe der Ab- 
teilungen die Wahl der Kommissionen. Die 
Vorlagen der Regierung, des andern Hauses oder 
der einzelnen Mitglieder werden in der Regel 
durch Kommissionen vorberaten. Das Haus kann 
  
jedoch beschließen, die Vorberatung statt in der 
Kommission im ganzen Hause vorzunehmen oder 
ohne jede besondere Vorberatung in die Schluß- 
beratung einzutreten. Im preußischen Herren- 
hause wie im Abgeordnetenhause bestehen ständige 
Fachkommissionen, und zwar im Herrenhause: für 
die Geschäftsordnung, für Petitionen, für den 
Staatshaushaltsetat und Finanzangelegenheiten, 
für Justizangelegenheiten, für Handels= und Ge- 
werbeangelegenheiten, für Eisenbahnangelegen- 
heiten, für kommunale Angelegenheiten und für 
Agrarverhältnisse; im Abgeordnetenhause: für die 
Geschäftsordnung, für Petitionen, für Agrarver- 
hältnisse, für Handel und Gewerbe, für das Justiz- 
wesen, für das Gemeindewesen, für das Unter- 
richtswesen, für den Staatshaushaltsetat, für die 
Prüfung der allgemeinen Rechnungen über den 
Staatshaushaltsetat. Außerdem kann jedes Haus 
für bestimmte einzelne Zwecke noch besondere Kom- 
missionen bestellen. Im Herrenhause besteht jede 
Kommission, wenn nicht durch die Geschäftsord- 
nung etwas anderes bestimmt ist oder das Haus 
durch einen Beschluß nicht eine andere Zahl fest- 
stellt, aus 15 Mitgliedern. Im Abgeordnetenhause 
können einer Kommission 7 bis 28 Mitglieder an- 
gehören. . 
Selbständige Anträge einzelner Mitglieder 
müssen im Herrenhause von 10, im Abgeordneten- 
hause von 15 Mitgliedern außer dem Antragsteller 
unterstützt werden, widrigenfalls der Antrag nur 
als Petition angesehen wird. Über die Reihenfolge 
der Redner entscheidet im Herrenhause stets das 
Los, im Abgeordnetenhause in erster Linie die Zeit 
der Anmeldung und nur bei gleichzeitiger An- 
meldung das Los. Solange es angeht, soll mit 
den Rednern, welche für, und denen, welche gegen 
einen Antrag sprechen wollen, abgewechselt werden. 
Redner derselben Reihe können ihre Stellen gegen- 
  
parlamentarische. 544 
seitig austauschen. Die sofortige Zulassung zum 
Worte können im Herrenhause diejenigen Mit- 
glieder verlangen, welche über die Fragestellung 
bei der Abstimmung, zur Geschäftsordnung oder 
zur Berichtigung tatsächlicher Anführungen reden 
wollen. Ein Verbesserungsantrag bedarf im Herren- 
hause der Unterstützung von 20 Mitgliedern. An- 
träge auf Vertagung der Sitzung, Absetzung eines 
Gegenstandes von der Tagesordnung, Vertagung 
oder Schluß der Debatte oder Wiedereröffnung 
der bereits geschlossenen Diskussion können im 
Herrenhause von jedem Mitgliede mündlich oder 
schriftlich mit Unterstützung von 15 Mitgliedern 
gestellt werden und sind zur Abstimmung zu 
bringen, nachdem das Wort einmal für und ein- 
mal gegen den Antrag gestattet ist. Nach der Ge- 
schäftsordnung beider Häuser des preußischen 
Landtages ist ein Übergang zur Tagesordnung 
über Gesetzesvorlagen oder Anträge der Regierung 
oder des andern Hauses unstatthaft. Liefert bei der 
Abstimmung die Gegenprobe kein sicheres Ergeb- 
nis, so muß im Herrenhause die Zählung der 
Stehenden und Sitzenden vorgenommen werden. 
Namentliche Abstimmung kann im Herrenhause 
beantragt werden von jedem Mitgliede ohne Unter- 
stützung, wenn die Zählung eine Mehrheit von 
weniger als zehn Stimmen ergibt. Die nament- 
liche Abstimmung muß ferner stattfinden, wenn 
auf dieselbe von einem Mitgliede mit Unterstützung 
von 20 Mitgliedern angetragen wird. 
In Bayern haben die Geschäftsordnungen 
beider Kammern nach vorgängiger Abänderung 
der Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 und 
des Gesetzes vom 19. Jan. 1872 betreffend den 
Geschäftsgang des Landtages eine zeitgemäße Neu- 
gestaltung erfahren. Die eine Fassung für die 
Kammer der Reichsräte ist vom 29. Mai 1896, 
für die Abgeordnetenkammer vom 8. Aug. 1904. 
Die Legitimation der Mitglieder geschieht vor Er- 
öffnung der Kammern. Die Erledigung der Re- 
gierungsvorlagen geht in der Regel allen andern 
Angelegenheiten vor. In einzelnen Ländern (z. B. 
in Bayern, Baden, Württemberg, Sachsen) muß 
der Erledigung von Regierungsvorlagen die Vor- 
beratung durch eine der bei Beginn jeder Session 
gewählten Kommissionen oder auch durch eine für 
die betreffende Sache besonders gewählte Kom- 
mission vorausgehen. Nach mehreren Verfassungen 
(Sachsen, Württemberg, Oldenburg) ist es zulässig, 
durch Beschluß der Kammer ein Mitglied zum 
Widerruf der von ihm getanen Außerungen zu ver- 
anlassen, auf Zeit auszuschließen und sogar seines 
Sitzes für verlustig zu erklären. 
In einer Reihe von Staaten ist in den letzten 
Jahren die Handhabung der parlamentarischen 
Geschäftsordnung durch Obstruktion gehindert, 
teilweise unmöglich gemacht worden, letzteres ins- 
besondere in Osterreich-Ungarn und Italien, wo 
die Volksvertretung vorübergehend infolge der 
gewaltsamen Behinderung der Erledigung der 
Geschäfte durch wüste Lärmszenen aller Art ein
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.