Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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tretende) gleichartige Kräfte unter bestimmten Vor- 
aussetzungen in der Regel gleiche oder gleichartige 
Wirkungen hervorzubringen streben und in der 
Regel hervorbringen. Demnach wären Gesetze 
über das wirtschaftliche Verhalten der einzelnen 
allgemeine Schlüsse aus der Annahme, daß eine 
Vielheit von Menschen miteinander in Verkehr 
und Wettbewerb steht, von denen jeder nach ge- 
wissen wirtschaftlichen Erwägungen, insbesondere 
auch unter Berücksichtigung des bestehenden Ver- 
mögensrechtes, handelt. Die Erfüllung eines sol- 
chen Gesetzes ist das vorausgesehene Ergebnis des 
Zusammenwirkens vieler einzelnen nach erfah- 
rungsmäßig unter ihnen vorherrschenden Beweg- 
gründen. 
Solchen sozialen Gesetzen kommt aber ebenso- 
wenig wie den von menschlichen Gemeinschaften 
aufgestellten Rechtssätzen, wegen der in Betracht 
kommenden Willensfreiheit, absolute Wirkung 
zu; der freie Wille kann gegen das Gesetz handeln, 
der Wille der Gesamtheit entgegengesetzte Vor- 
schriften erlassen. Beispiele bieten die Einführung 
von Taxen oder Monopolen im Gegensatz zur 
Preisbildung auf der Grundlage freien Eigen- 
tums. Nur unter letzterer, also juristischer Vor- 
aussetzung zeigt sich z. B. das oft als Naturgesetz 
schlechthin aufgeführte Gesetz von Angebot und 
Nachfrage, eine Formel, die übrigens nur die 
Preisschwankungen in einem gegebenen Zeitpunkt 
erklärt; das dauernde Gesetz des Preises auf 
Grund der bestehenden Vermögensrechtsordnung 
ist die Tendenz zur Preissteigerung, indem in 
letzter Linie der Besitz aus seiner Lage Vorteil 
zieht und die Arbeit der universelle Abnehmer der 
Produkte ist, ihr Preis jedoch zuletzt steigt und 
zuerst sinkt (s. Rösler in Hirths Annalen 1875, 
394). Ahnlich steht es mit andern wirtschaftlichen 
Notwendigkeiten; sie gelten unter der Voraus- 
setzung einer bestimmten Rechtsordnung und all- 
gemein üblich gewordenen Verhaltens; so wenn es 
heißt, daß die Unternehmer den Druck, den die 
Verhältnisse, die Krisen, auf sie ausüben, mit 
naturgesetzlicher Notwendigkeit auf die hinter ihnen 
stehenden Arbeiter fortpflanzen, daß die Krisen 
besonders dem Mittelstande schaden, daß bei Er- 
schwerung des Nahrungserwerbes die unehelichen 
Geburten steigen usw. 
Dessenungeachtet bleibt die Wichtigkeit der echten 
Naturgesetze für die Gesellschaft unangetastet. 
Für die leibliche Seite des Menschen und die mit 
ihr näher oder entfernter in Beziehung stehenden 
Verhältnisse (Wirtschaft, Familie) sind die Natur- 
gesetze über Leben, Alter, Geschlecht, Geburt und 
Tod, Arbeitskraft, Nahrung, Kleidung, Woh- 
nung usw. von höchster Wichtigkeit und müssen 
von der Rechtsordnung berücksichtigt werden. Wie 
wichtig ist der Einfluß der den Menschen um- 
gebenden Natur: Inseln, Halbinseln, Bodenglie- 
derung, Unebenheiten der Erdoberfläche, Meere, 
Flüsse, Klima, Fruchtbarkeit! Tier= und Pflanzen- 
welt bestimmen Ansiedlung, Verkehrsrichtung und 
Gesellschaft usw. 
  
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Wirtschaft. Ganz besonders ist letztere, die mensch- 
liche Wirtschaft, von den in der äußern Natur 
(nach Naturgesetzen) arbeitenden Kräften abhängig; 
man denke an die Erzeugung land= und forst- 
wirtschaftlicher Produkte, die Benutzung der 
Wasser-, Wind= und Dampfkraft, die Anwendung 
der Maschinen, die chemische Industrie, an die 
Zerstörung wirtschaftlicher Güter durch Ratur- 
ereignisse, die Notwendigkeit des Kräfteersatzes. 
Sobald jedoch der Mensch als Gesellschaftsindivi- 
duum, als ein Faktor der beobachteten Erscheinung 
mitwirkt, sobald ein auf Sachgüter gerichteter Ver- 
kehr vorliegt, versagen die Naturgesetze. In der 
Aufeinanderfolge wirtschaftlicher Vorgänge zeigen 
sich allerdings, wenn man eine Menge von Fällen 
beobachtet, Erscheinungen, die mit großer Regel- 
mäßigkeit sich wiederholen. Dies rührt aber da- 
von her, daß die zum Leben notwendigen Sach- 
güter beschränkt vorhanden und von vielen zugleich 
begehrt sind, daß die Menschen die Neigung haben, 
sich diese Güter mit kleinster Gegenleistung zu be- 
chaffen, d. h. im wirtschaftlichen Verkehr vom 
Selbstinteresse bestimmt werden, und dadurch (aber 
nur soweit die Rechtsordnung dies zuläßt) eine 
gleichartige Handlungsweise hervorgerufen wird. 
Die Massenwirkung jenes Strebens auf dem 
Boden der Rechtsordnung beobachtet eben die 
politische Okonomie (s. d. Art. Volkswirtschafts- 
lehre). 
Arten gesellschaftlicher Gesetze gibt es so viele, 
als Gebiete gesellschaftlichen Lebens, gesellschaft- 
licher Tatsachen, Erscheinungen und Vorgänge 
unterschieden werden. Von wirtschaftlichen Ge- 
setzen war bereits die Rede; aber auch auf dem 
Gebiete der Gesetze im ursprünglichen Sinne des 
Wortes, also im Rechts= und Staatsleben, hat die 
geschichtliche und die vergleichende Betrachtung seit 
jeher viele unter gewissen Voraussetzungen regel- 
mäßig wiederkehrende Erscheinungen, sehr oft 
Folgezustände gewisser Rechtseinrichtungen und 
zordnungen, nachgewiesen. Es seien erwähnt die 
oft beobachteten Eigentümlichkeiten der verschie- 
denen Berufe und Stellungen im Berufe, der Na- 
tionalitäten, die verschiedenen Staats= und Ver- 
waltungstypen, die geschichtlich vorgekommenen 
Wechsel der Staatsformen, die gewöhnlichen Fol- 
gen mißbrauchter Staatsgewalt, der regelmäßige 
Zusammenhang von Zentralisation und Groß- 
stadtbildung, die Folgen von Kolonialbesitz, die 
Regelmäßigkeit der Verbrechen u. dgl. Insbeson- 
dere bemüht sich die in neuerer Zeit eifrig ange- 
wendete Methode der Statistik, in genauerer Weise, 
durch systematische Massenbeobachtung ziffermäßige 
Darstellungen für Gegenstände zu erzielen, wofür 
man sich bisher mit allgemeinen Schilderungen 
und annähernden Beobachtungen begnügt hatte. 
Man beobachtet gesellschaftliche Gleichförmig-- 
keiten und Gesetze nicht bloß bei diesem oder jenem 
Einzelfalle, sondern gelangt zu solchen auch bei 
Erweiterung des Standpunktes nach Zeit und 
Raum,also bei Vergleichung der Völker und bei 
—
	        
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