Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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in Amerika und den romanischen Ländern, unter 
heftigen Ausfällen gegen geistlichen und weltlichen 
„Despotismus“ im Sinne der Grundsätze der fran- 
zösischen Revolution von 1789, wild-antikirchlich 
und demokratisch. 
Um diese Hauptsymbole gruppiert sich eine Un- 
menge von andern Symbolen, welche den Kosmo- 
politismus, die Universalität, Neutralität und 
Interkonfessionalität der Freimaurer, den Bau 
am Menschheitstempel, die freimaurerische Recht- 
schaffenheit, die maurerischen Tugenden, den Kampf 
des Lichtes gegen die Finsternis, die weltumspan- 
nende Bruderkette und die Pflicht der Verschwiegen- 
heit im Sinne der Freimaurergelübde usw. sinn- 
bilden. Diese Symbolik wird jedem Freimaurer 
zum Studium empfohlen. Gemäß den in den 
„Alten Pflichten“ ausgesprochenen Grundsätzen 
und den im Ritual und den Freimaurerkatechismen 
gegebenen Winken soll er „selbständig“ das frei- 
maurerische „Geheimnis“, d. h. das Humanitäts- 
prinzip in seiner wahren Bedeutung und in allen 
seinen praktischen Anwendungen, immer klarer und 
vollständiger zu erfassen suchen, eine Aufgabe, der 
sein ganzes Leben gewidmet sein müsse, da immer 
weitere Fortschritte möglich seien, und die Frei- 
maurerei eine wesentlich „fortschrittliche“ „Wissen- 
schaft“ und Lebens,kunst“ sei. — Wie weit man, 
in der Freimaurerei, sich dabei von der christlich- 
biblischen Auffassung der Symbole entfernt, dafür 
zeugt die Tatsache, daß viele der angesehensten 
Symbolerklärer, A. G. Mackey, Alb. Pike usw., 
die Symbole G, flammender Stern, die Säulen 
Jachin und Boaz, Kreuz und Rose, Hiram und 
Christus (— Osiris), vesica piscis (1790, ja 
selbst rer-, das dreifache Tau 1—— usw., auf den 
Sonnen= und Phalluskult der altheidnischen, be- 
sonders ägyptischen Mysterien (Isis, Osiris usw.) 
deuten (vgl. Mackey, Symbolism of F., 1869; 
Pike, Morals etc., 1881; V. Longo, La Mass. 
spec., 3 Bde, 1896; A. Preuß, A study in 
Amer. F.11908 134 ff 177);, das sei „die wahre 
ursprüngliche Bedeutung der freimaurerischen Sym- 
bolik“. Und diese Deutung wird durch die anglo- 
amerikanischen und romanischen Freimaurerrituale, 
welche einen altägyptischen Ursprung der Frei- 
maurerei behaupten, im Grunde amtlich bestätigt. 
Die Wichtigkeit dieser Symbolik für die Frei- 
maurerei leuchtet aus folgenden Erwägungen ein: 
Da dieselbe alle Kulturstufen und Phasen der 
menschlichen Entwicklung, alle alten und neuen 
Mysterien, Religionen, Geistesrichtungen und 
Nationalitäten umfaßt und in unbegrenzter Viel- 
deutigkeit auf alle anpaßbar ist, ist sie ganz dazu 
gemacht, 1) durch den Zauber des Geheimnis- 
vollen schwärmerische Naturen, wie sie die Frei- 
maurerei braucht, anzulocken und festzuhalten; 
2)die Freimaurerei als den Inbegriff der Lebens- 
weisheit aller Zeiten und Völker und hinwieder 
die bestehenden religiösen, politischen und sozialen 
Zustände nur als vorübergehende Phasen der 
Gesellschaften, geheime. 
  
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menschlichen Entwicklung und alte und neue 
„Dogmen“ selbst nur als subjeklive Vorstellungs- 
bilder oder Symbole eines allgemeinen objektiven 
Wahrheitskernes erkennen zu lassen, wie er frei- 
maurerischen Idealen entspricht, und so die all- 
mähliche geräuschlose Verwirklichung der frei- 
maurerischen Endziele zu fördern; 3) Unberufenen, 
auch im Bunde, die wahren Endziele und den 
wahren Charakter der Freimaurerei zu verschleiern; 
die eigentümliche adogmatische Einheit im Frei- 
maurerbund, ohne Beeinträchtigung der Denk- 
freiheit, aufrecht zu erhalten und sich dem sub- 
jektiven Geschmack und Geistes= und Entwicklungs- 
zustand des einzelnen anzupassen. 
Der durch diese Symbolik bedingte geheim- 
bündlerische Charakter der Freimaurerei wird durch 
Verschwiegenheitseide und -gelöb- 
nisse noch wesentlich verstärkt. In den ursprüng- 
lichen, auch von besonneneren Freimaurern scharf 
mißbilligten (Allg. Handb. 1., 2. u. 3. Aufl., 
Art. „Eid“") Eidesformeln, welche heute noch in 
der gesamten angloamerikanischen und schwe- 
disch -deutschen Freimaurerei üblich sind, ver- 
urteilt sich der Kandidat dazu, daß ihm im Fall 
der Verletzung seiner Gelöbnisse der Hals abge- 
schnitten, das Herz ausgerissen, der Leib durch- 
schnitten, die Hirnschale abgesägt usw. werde. In 
der gesamten Freimaurerei, auch wo jetzt „huma- 
nere“ Gelöbnisformeln üblich sind, drücken die 
Hauptzeichen der betreffenden Grade diese Eide 
und Strafen wenigstens symbolisch aus. Die 
Pflicht der Geheimhaltung bezieht sich hauptsächlich 
auf die Ritualformen und Zeichen, aber auch auf 
alle Vorgänge in der Loge und alle spezifisch frei- 
maurerischen Angelegenheiten sowie auf die Mit- 
gliedschaft und selbst auf die Ziele und Methoden 
der Freimaurerei, insofern deren Geheimhaltung 
im Interesse des Bundes liegt. Außer dieser Pflicht 
werden in den Freimaurereiden und -gelöbnissen 
noch besonders Pflichten der Treue gegen den 
Bund und gegen seine Aufgaben und des gegen- 
seitigen brüderlichen Beistands über- 
nommen. Auch die Art und Weise, in welcher dieser 
brüderliche Beistand tatsächlich in der Freimaurerei 
meist aufgefaßt und geübt wird: durch gegenseitige 
Bevorzugung bei Besetzung von Stellen und Zu- 
wendung von Aufträgen, durch Schonung des 
Br.- im Feindeslager auf Schlachtfeldern auf das 
Hilfs= und Notzeichen hin usw., wird sogar von 
besonneneren Freimaurern als ordnungswidrig, 
mit der bürgerlichen Gleichberechtigung und dem 
öffentlichen Interesse unvereinbar getadelt. „Wäre 
die Freimaurerei“, sagt Marbach (Freimaurer- 
gelübde (1878. 28), „eine Verbindung und noch 
dazu eine geheime, von Menschen aus den ver- 
schiedensten Lebenskreisen zur gegenseitigen För- 
derung im Fortkommen, so wäre sie eine nichts- 
würdige Verbindung, und die Polizei hätte nichts 
nötiger zu tun, als sie auszurotten“ usw. 
4. Die Wirksamkeit des Freimaurer= 
bundes nach außen. 1721 konnte man nach 
19°
	        
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