Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

585 
Länder sich rekrutierte, vom Voltaireanischen Geiste 
stark angesteckt waren, kann man mit Sicherheit 
schließen, daß die kulturkämpferischen Bestrebungen 
der Philosophen auch sonst durch die Logen ge- 
fördert wurden. In Deutschland war Friedrich II., 
der Freund Voltaires, ein Hauptbeschützer der 
Aufklärung und darum auch der Freimaurerei. 
Lessing, der hauptsächlichste Vertreter der Auf- 
klärung in der deutschen Literatur, suchte gleich 
Friedrich II. die Aufnahme in den Freimaurer= 
bund nach und wurde, so sehr ihn das Logenleben 
seiner Zeit anekelte, begeisterter Anhänger der frei- 
maurerischen Ideale, die sich auch nach seiner An- 
sicht mit den Idealen der Aufklärung deckten. Aus 
demselben Grunde suchten Herder, Goethe, Wie- 
land, Nicolai und andere deutsche Vorkämpfer der 
Aufklärung Anschluß an den Freimaurerbund. 
Die Aufklärung in Osterreich, wie sie besonders 
unter Joseph II. in die Erscheinung trat, war 
durch und durch freimaurerisch. Die Freimaurer 
hatten sich in der Stille der einflußreichsten Stellen 
in den Staats= und Hofämtern und im Jugend- 
unterricht zu bemächtigen gewußt und benutzten 
den ihnen eingeräumten Einfluß aufs rücksichts- 
loseste zur Kneblung der Kirche (Die Freimaurerei 
Osterreichs-Ungarns [1897) 78/123; L. Abafi, 
Gesch. der Freimaurerei in Osterreich-Ungarn 1 
[1890]) 135/161). Auch im 19. Jahrh. fanden 
alle kulturkämpferischen Bestrebungen, wenigstens 
insofern sie gegen die Rechte des Apostolischen 
Stuhles und gegen die katholische Kirche sich rich- 
teten, am Freimaurerbund einen Hauptförderer. 
Insbesondere war dies beim deutschen Kultur- 
kampf nach 1870, bei den Konflikten des italieni- 
schen Staates mit dem Papsttum und beim fran- 
zösischen Kulturkampf seit 1877 der Fall. In 
Deutschland schürte besonders der Freimaurer= 
Großmeister, Staatsrechtslehrer Bluntschli, im 
kulturkämpferischen Sinne, indem er gleichzeitig 
seinen großen Einfluß auf schweizerische Logen zur 
Entfachung des Kulturkampfes auch in diesem 
Lande geltend machte (Gruber, Einigungsbestre- 
bungen (1898 6/24; Ewald, Loge und Kultur- 
kampf, 1899). In Frankreich und Italien betreiben 
die dortigen Großoriente den systematischen Kampf 
gegen den „Klerikalismus“, welcher in Wirklichkeit 
nicht bloß gegen die katholische und christliche, 
sondern im positivistischen Sinne gegen jede ernst- 
hafte Religion gerichtet ist, förmlich als politische 
Klubs, die durch Beherrschung der Presse, Wahlen 
und des ganzen staatlichen Apparates und Unter- 
richtswesens bestrebt sind, die Parlamente und Re- 
gierungen und das ganze öffentliche Leben sich 
dienstbar zu machen. „Wir sind“, führte Abgeord- 
neter Masse, der offizielle Redner des Freimaurer= 
konvents 1903 aus, „das Gewissen des Landes, 
das sich im Konvent widerspiegelt; wir sind jedes 
Jahr entweder die Totenglocke für ein Ministerium, 
das seine Pflicht nicht getan und die Republik ver- 
raten hat, oder eine Stärkung für dasselbe.“ „Wir 
haben dem Ministerium Combes diese Stärkung 
Gesellschaften, geheime. 
  
586 
zuteil werden lassen“ usw. (P. Nourrisson, Les 
Jacobins au pouvoir (Par. 1904 269 f). „Da- 
mit unsere Tätigkeit erfolgreich sei“, betonte Groß- 
meister Lemmi in Italien (Gruber, Mazzini, Mas- 
soneria e Rivoluzione sRom 1901] 79ff), „muß 
die Freimaurerei die Macht haben, die öffentliche 
Meinung zu erzeugen und zu leiten“, sie muß „in 
allen öffentlichen Verwaltungskörpern Sitz und 
Stimme haben“, sich „der Mitwirkung aller staat- 
lichen Faktoren vergewissern“. Die politische und 
soziale „Allmacht“ der Freimaurerei wird sowohl 
in der französischen als italienischen Freimaurerei 
ganz offen als das zu erstrebende Ziel bezeichnet. 
Sowohl die französische und italienische als die 
deutsche Freimaurerei ist ferner bestrebt, sich einen 
möglichst großen Einfluß auf den Jugendunter- 
richt und die Volksbildung zu sichern. In Frank- 
reich hat in dieser Hinsicht namentlich die von 
Br.-. Mack begründete Unterrichtsliga, welche sich 
eine Menge anderer Vereine angliederte, einen 
großen Einfluß ausgeübt. Die Ausführungen 
vieler Freimaurer betreffend die angebliche glor- 
reiche Einwirkung der Freimaurerei auf die Glanz- 
periode der deutschen Literatur halten einer ernst- 
haften Prüfung nicht stand. Lessing, Goethe, 
Herder, die vor allem gemeint sind, erhielten vom 
Logenwesen ihrer Zeit keinerlei Anregungen, durch 
die sie geistig, sittlich oder literarisch wesentlich 
hätten gefördert werden können. Im Gegenteil 
erlebten sie, gleich den meisten andern bedeuten- 
deren Männern, die der Loge ihre Zeit widmeten: 
Feßler, Schröder, Krause, Moßdorf, Fichte usw., 
nur Enttäuschungen. Herder z. B. schrieb am 
9. Jan.1786 an Heyne in Göttingen: „Ich hasse 
alle geheimen Gesellschaften auf den Tod und 
wünsche sie, nach den Erfahrungen, die ich aus 
und in ihrem Innersten gemacht habe, zum Teufel; 
denn der schleichendste Herrschbetrug und Kabalen- 
geist ist'#s, der hinter ihrer Decke kriechet“ (Boos, 
Gesch. 326). Goethe gebrauchte zur Kennzeichnung 
der damaligen Logenmatadoren die Worte: „Narren 
und Schelme“ (Bauhütte 1888, 98). Auch zur 
Zeit, da Lessing, Goethe, Herder dem Freimaurer= 
bund angehörten, waren nicht sie die Gestirne, um 
welche die Logenwelt kreiste, sondern verbrecherische 
Gaukler und Schwindler, wie Johnson, Caglio- 
stro usw. Cagliostro trug durch die Halsband- 
geschichte auch unmittelbar zur französischen Revo- 
lution bei, welche die Freimaurerei durch ihre 
Grundsätze und die Unterstützung, welche sie der un- 
gläubigen Philosophie gewährte, vorbereiten half.- 
Logen waren bei den verschiedenen revolutionären 
Bewegungen seit 1750 teils die Schlupfwinkel, in 
denen die aktiven Revolutionäre ihre Anschläge 
direkt vorbereiteten, teils die Pflanzstätten für 
direkt aktiv-revolutionäre Verbindungen (Illumi- 
naten, Carbonari, Jungitalien, Jungtürken usw.). 
Es ist kein bloßer Zufall, wenn schon im zweiten 
Artikel der „Alten Pflichten“ von 1723, im schroff- 
sten Gegensatz zu den betreffenden Bestimmungen 
der christlichen Werkmaurer-Verfassungen, scharf
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.