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Länder sich rekrutierte, vom Voltaireanischen Geiste
stark angesteckt waren, kann man mit Sicherheit
schließen, daß die kulturkämpferischen Bestrebungen
der Philosophen auch sonst durch die Logen ge-
fördert wurden. In Deutschland war Friedrich II.,
der Freund Voltaires, ein Hauptbeschützer der
Aufklärung und darum auch der Freimaurerei.
Lessing, der hauptsächlichste Vertreter der Auf-
klärung in der deutschen Literatur, suchte gleich
Friedrich II. die Aufnahme in den Freimaurer=
bund nach und wurde, so sehr ihn das Logenleben
seiner Zeit anekelte, begeisterter Anhänger der frei-
maurerischen Ideale, die sich auch nach seiner An-
sicht mit den Idealen der Aufklärung deckten. Aus
demselben Grunde suchten Herder, Goethe, Wie-
land, Nicolai und andere deutsche Vorkämpfer der
Aufklärung Anschluß an den Freimaurerbund.
Die Aufklärung in Osterreich, wie sie besonders
unter Joseph II. in die Erscheinung trat, war
durch und durch freimaurerisch. Die Freimaurer
hatten sich in der Stille der einflußreichsten Stellen
in den Staats= und Hofämtern und im Jugend-
unterricht zu bemächtigen gewußt und benutzten
den ihnen eingeräumten Einfluß aufs rücksichts-
loseste zur Kneblung der Kirche (Die Freimaurerei
Osterreichs-Ungarns [1897) 78/123; L. Abafi,
Gesch. der Freimaurerei in Osterreich-Ungarn 1
[1890]) 135/161). Auch im 19. Jahrh. fanden
alle kulturkämpferischen Bestrebungen, wenigstens
insofern sie gegen die Rechte des Apostolischen
Stuhles und gegen die katholische Kirche sich rich-
teten, am Freimaurerbund einen Hauptförderer.
Insbesondere war dies beim deutschen Kultur-
kampf nach 1870, bei den Konflikten des italieni-
schen Staates mit dem Papsttum und beim fran-
zösischen Kulturkampf seit 1877 der Fall. In
Deutschland schürte besonders der Freimaurer=
Großmeister, Staatsrechtslehrer Bluntschli, im
kulturkämpferischen Sinne, indem er gleichzeitig
seinen großen Einfluß auf schweizerische Logen zur
Entfachung des Kulturkampfes auch in diesem
Lande geltend machte (Gruber, Einigungsbestre-
bungen (1898 6/24; Ewald, Loge und Kultur-
kampf, 1899). In Frankreich und Italien betreiben
die dortigen Großoriente den systematischen Kampf
gegen den „Klerikalismus“, welcher in Wirklichkeit
nicht bloß gegen die katholische und christliche,
sondern im positivistischen Sinne gegen jede ernst-
hafte Religion gerichtet ist, förmlich als politische
Klubs, die durch Beherrschung der Presse, Wahlen
und des ganzen staatlichen Apparates und Unter-
richtswesens bestrebt sind, die Parlamente und Re-
gierungen und das ganze öffentliche Leben sich
dienstbar zu machen. „Wir sind“, führte Abgeord-
neter Masse, der offizielle Redner des Freimaurer=
konvents 1903 aus, „das Gewissen des Landes,
das sich im Konvent widerspiegelt; wir sind jedes
Jahr entweder die Totenglocke für ein Ministerium,
das seine Pflicht nicht getan und die Republik ver-
raten hat, oder eine Stärkung für dasselbe.“ „Wir
haben dem Ministerium Combes diese Stärkung
Gesellschaften, geheime.
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zuteil werden lassen“ usw. (P. Nourrisson, Les
Jacobins au pouvoir (Par. 1904 269 f). „Da-
mit unsere Tätigkeit erfolgreich sei“, betonte Groß-
meister Lemmi in Italien (Gruber, Mazzini, Mas-
soneria e Rivoluzione sRom 1901] 79ff), „muß
die Freimaurerei die Macht haben, die öffentliche
Meinung zu erzeugen und zu leiten“, sie muß „in
allen öffentlichen Verwaltungskörpern Sitz und
Stimme haben“, sich „der Mitwirkung aller staat-
lichen Faktoren vergewissern“. Die politische und
soziale „Allmacht“ der Freimaurerei wird sowohl
in der französischen als italienischen Freimaurerei
ganz offen als das zu erstrebende Ziel bezeichnet.
Sowohl die französische und italienische als die
deutsche Freimaurerei ist ferner bestrebt, sich einen
möglichst großen Einfluß auf den Jugendunter-
richt und die Volksbildung zu sichern. In Frank-
reich hat in dieser Hinsicht namentlich die von
Br.-. Mack begründete Unterrichtsliga, welche sich
eine Menge anderer Vereine angliederte, einen
großen Einfluß ausgeübt. Die Ausführungen
vieler Freimaurer betreffend die angebliche glor-
reiche Einwirkung der Freimaurerei auf die Glanz-
periode der deutschen Literatur halten einer ernst-
haften Prüfung nicht stand. Lessing, Goethe,
Herder, die vor allem gemeint sind, erhielten vom
Logenwesen ihrer Zeit keinerlei Anregungen, durch
die sie geistig, sittlich oder literarisch wesentlich
hätten gefördert werden können. Im Gegenteil
erlebten sie, gleich den meisten andern bedeuten-
deren Männern, die der Loge ihre Zeit widmeten:
Feßler, Schröder, Krause, Moßdorf, Fichte usw.,
nur Enttäuschungen. Herder z. B. schrieb am
9. Jan.1786 an Heyne in Göttingen: „Ich hasse
alle geheimen Gesellschaften auf den Tod und
wünsche sie, nach den Erfahrungen, die ich aus
und in ihrem Innersten gemacht habe, zum Teufel;
denn der schleichendste Herrschbetrug und Kabalen-
geist ist'#s, der hinter ihrer Decke kriechet“ (Boos,
Gesch. 326). Goethe gebrauchte zur Kennzeichnung
der damaligen Logenmatadoren die Worte: „Narren
und Schelme“ (Bauhütte 1888, 98). Auch zur
Zeit, da Lessing, Goethe, Herder dem Freimaurer=
bund angehörten, waren nicht sie die Gestirne, um
welche die Logenwelt kreiste, sondern verbrecherische
Gaukler und Schwindler, wie Johnson, Caglio-
stro usw. Cagliostro trug durch die Halsband-
geschichte auch unmittelbar zur französischen Revo-
lution bei, welche die Freimaurerei durch ihre
Grundsätze und die Unterstützung, welche sie der un-
gläubigen Philosophie gewährte, vorbereiten half.-
Logen waren bei den verschiedenen revolutionären
Bewegungen seit 1750 teils die Schlupfwinkel, in
denen die aktiven Revolutionäre ihre Anschläge
direkt vorbereiteten, teils die Pflanzstätten für
direkt aktiv-revolutionäre Verbindungen (Illumi-
naten, Carbonari, Jungitalien, Jungtürken usw.).
Es ist kein bloßer Zufall, wenn schon im zweiten
Artikel der „Alten Pflichten“ von 1723, im schroff-
sten Gegensatz zu den betreffenden Bestimmungen
der christlichen Werkmaurer-Verfassungen, scharf