Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

49 
wegen der in dem betreffenden Kanon enthaltenen 
überspannten Prätensionen nicht die Genehmigung 
des Papstes Leo I., wurde jedoch später nach Weg- 
fall des Weigerungsgrundes auch von höchster 
Instanz anerkannt (Gregor. I., Ep. 1 25). 
Erst nach dem letztgenannten Konzil wurde für 
die Bischöfe der oben erwähnten vier Bischofssitze 
die technische Bezeichnung Patriarch üblich. Die 
iurisdictio patriarchalis umfaßte: 1) das Recht 
der Oberaussicht über die Bischöfe und Metro- 
politen des Patriarchalsprengels; 2) das Recht der 
Ordination der Metropoliten und auch der Bi- 
schöfe, aber unter Zustimmung des Metropoliten; 
3) das Recht der Berufung und Leitung von Kon- 
zilien; 4) das Recht der kirchlichen Gerichtsbarkeit 
in zweiter und dritter Instanz. 
Der Bestand dieser ersten hierarchischen Zwi- 
schenstufe war nur von einer verhältnismäßig kurzen 
Dauer. Mit dem Vordringen des Islams seit dem 
zweiten Viertel des 7. Jahrh. und der Eroberung 
der Patriarchalsitze von Jerusalem, Antiochien und 
Alexandrien durch die Kalifen Abubekr und Omar 
verblieb der orientalischen Kirche nur noch der 
Patriarchalsitz von Konstantinopel, und mit dem 
griechischen Schisma schied auch dieser aus der 
Rechtsordnung der katholischen Kirche aus. In- 
folge der Kreuzzüge und der Errichtung eines 
lateinischen Kaisertums kam es allerdings zu einer 
Wiederherstellung jener Patriarchate; aber mit 
dem Verfall des letzteren verloren sie ihre äußere 
Stütze und mit der Eroberung des Gelobten Lan- 
des und der Einnahme Konstantinopels durch die 
Türken vollends ihre Existenz. 
Die heutigen Patriarchen im Orient, welche 
durch die Union einzelner orientalischer Kirchen 
mit der katholischen Kirche der kirchlichen Hierarchie 
wieder eingegliedert sind, wie der melchitische, ma- 
ronitische, syrische, chaldäische, armenische Patri- 
arch, tragen wohl den Namen, aber nicht die Würde 
und die ihr innewohnenden Rechte der alten Patri- 
archen, da ihnen das charakteristische Moment der 
Jurisdiktion über Metropoliten fehlt. Dasselbe 
gilt auch für den im Jahr 1847 durch Papst 
Pius IX. wieder errichteten Patriarchenstuhl zu 
Jerusalem. Die drei Patriarchen von Alexandrien, 
Antiochien und Konstantinopel in Rom haben als 
Patriarchae in partibus infidelium nur einen 
höheren Ehrenvorrang. In gleicher Weise verhält 
es sich mit den Patriarchaten in Venedig, Madrid 
und Lissabon; es sind Titulaturen, mit denen für 
die Träger keinerlei jurisdiktionelle Befugnisse ver- 
bunden sind. 
Die zweite Mittelstufe, die der Exarchen im 
Orient, hat sich geschichtlich auf demselben Weg 
und rechtlich unter Einwirkung der gleichen Ver- 
hältnisse gebildet, wie sie zugunsten der Entstehung 
der Patriarchalsitze in Alexandrien und Antiochien 
näher angedeutet sind. Zu den Exarchen gehörten 
die Bischöfe von Ephesus, Cäsarea und 
Heraklea. Bei ihnen wie bei den Patriarchen 
liegt das Charakteristische darin, daß sie, wie diese, 
Episkopat. 
  
50 
nicht nur über Bischöfe, sondern auch über Metro- 
politen Jurisdiktion ausübten. Ursprünglich haben 
sie offenbar für ihre Sprengel dieselben Rechte be- 
sessen wie die Patriarchen, wenngleich sie diesen 
bei der geringeren territorialen Ausdehnung ihrer 
Jurisdiktionsgebiete an äußerem Ansehen nach- 
standen. Deshalb werden sie auch in der Zeit bis 
zum 5. Jahrh. neben denselben in einer Weise ge- 
nannt, welche auf volle Selbständigkeit und eine 
innerlich gleichberechtigte Stellung schließen läßt 
(Maaßen, Der Primat des Bischofs von Rom und 
die alten Patriarchen 58, Nr 27 ff). Erst mit dem 
Übergewicht, welches die Bischöfe von Konstanti- 
nopel namentlich seit Anfang des 5. Jahrh. erlang- 
ten, trat eine Beschränkung ihrer Jurisdiktions- 
befugnisse ein, bis sie dann schließlich durch die Ent- 
ziehung des Rechts der Ordination ihrer Metro- 
politen und die definitive Einfügung ihrer Diö- 
zesen in den Patriarchalverband von Konstanti- 
nopel eine dem Patriarchen von Konstantinopel 
untergeordnete Stellung einnahmen. — Mit den 
Patriarchen des Orients sind auch die genannten 
Exarchen dem gleichen Geschick verfallen, und der 
Name kommt heutigestags nur noch als Titel 
in der griechischen Kirche vor. 
Auf der gleichen hierarchischen Stufe, welche im 
Orient die Exarchen einnahmen, standen im Okzi- 
dent die Primatenz; nur ist hier die Entstehung 
derselben eine verschiedene, da die der Primaten 
darauf beruhte, daß der Papst einzelne Bischöfe 
zunächst persönlich mit primatialen Befugnissen 
über Bischöfe und Metropoliten betraute und durch 
Wiederholung eines derartigen Betrauungsaktes 
an die Nachfolger derselben diese Würde eine stän- 
dige, mit dem betreffenden Bischofssitz dauernd ver- 
bundene wurde und eben damit unter dem Namen 
Primatialwürde eine bleibende Zwischenstufe zwi- 
schen Papst und Metropoliten bildete. Als die 
ältesten Primaten sind die Bischöfe von Thessa- 
lonich für Illyrien, von Arles für Gallien, von 
Sevilla für Spanien zu nennen. Aber über das 
8. Jahrh. hat sich diese Stufe nicht erhalten. 
Es gab allerdings während des ganzen Mittel- 
alters bis in die neuere Zeit hinein fast in allen 
Ländern Metropoliten, welche wegen ihrer hervor- 
ragenden Stellung andern Metropoliten gegenüber 
den Namen Primas führten; jedoch als feste und 
bleibende hierarchische Mittelglieder zwischen Papst 
und Metropoliten erscheinen sie nicht, da die Rechte, 
welche sie ausübten, über das ius metropoliticum 
nicht hinausgehen und die erhöhte Stellung, in 
der sie auftraten, einen mehr politischen Charakter 
Lan sich trug. Eben deshalb läßt sich auch eine all- 
gemein gültige rechtliche Charakterisierung derselben 
nach ihrer Entstehung oder in Bezug auf den Um- 
fang ihrer Jurisdiktionsrechte nicht geben. Bei den 
älteren Kanonisten ist dieselbe eine schwankende und 
unbestimmte, und wenn sie in neuester Zeit die 
präzisere Fassung erhalten hat, daß die Primaten 
die ersten Metropoliten eines Reiches gewesen seien 
mit dem Recht, die Bischöfe und Erzbischöfe des 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.