Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Staats= und Kirchengewalt werden als die höchsten 
irdischen Autoritäten ihre Kulturaufgaben immer 
richtig erfassen und dahin streben müssen, ihre viel- 
sach gleichen Ziele durch gegenseitige Unterstützung 
zu erreichen. 
Ein Gesetz muß möglichst der austeilenden und 
ausgleichenden Gerechtigkeitentsprechen; diese Richt- 
schnur ist schon durch die bloße Vernunft gegeben. 
Es soll auch möglichst klar und verständlich sein; 
die in ihm enthaltenen Begriffe dürfen sich also 
nicht zu sehr dehnen lassen (Kautschukparagraphen). 
Der gute Gesetzgeber muf sich den vielseitigen Be- 
dürfnissen des Landes mit seinen verschiedenen Be- 
völkerungsklassen und Produktionszweigen an- 
schließen, dem immer größer und verzweigter 
werdenden Verkehr Regeln ablauschen und sie dann 
zu einer rechtlichen Norm erheben. Der Gesetz- 
geber muß ein weitblickendes Auge haben, sein 
Material gründlich sichten und damit einer baldigen 
Anderungs= oder Ergänzungsbedürftigkeit vor- 
beugen. Rascher Wechsel der Gesetzgebung ist 
meistens schädlich. „Die Verfassungs= und Rechts- 
ordnungen des Reiches und Preußens müssen vor 
allem in der Ehrfurcht und in den Sitten der 
Nation sich befestigen. Es sind daher Erschütte- 
rungen möglichst zu vermeiden, welche häufiger 
Wechsel der Staatseinrichtungen und Gesetze ver- 
anlaßt“ (Kaiser Friedrich am 12. März 1888). 
Schön sagt über die Erfordernisse eines guten 
Gesetzes das kanonische Recht (c. 2, d. 4): Erit 
autem lex honesta, ijusta, possibilis, secun- 
dum naturam, secundum patriae consuetu- 
dinem, loco temporique conveniens, neces- 
Saria, utilis, manifesta quoque, ne aliquid per 
obscuritatem in captionem contineat, nullo 
privato commodo, sed pro communi civium 
utilitate conscripta. Entspricht ein Gesetz den 
wesentlichen Anforderungen nicht, so wird es mit 
der Zeit außer Ubung kommen oder gar nicht be- 
folgt werden. Ist ein Gesetz geradezu fündhaft, 
so wird passiver Widerstand unvermeidlich (s. d. 
Art. Gehorsam, staatsbürgerlicher). Pflicht eines 
jeden Staatsbürgers ist es jedenfalls, mitzuarbeiten 
an der Verfeinerung und Befestigung des allge- 
meinen Rechtsbewußtseins. 
Literatur. Vgl. die Hand= u. Lehrbücher des 
allgemeinen Staatsrechts u. des Staatsrechts des 
Deutschen Reichs. — Savigny, Vom Beruf unfserer 
Gesinde. 
  
Zeit für G. u. Rechtswissenschaft (51892); Voll- 
graff, Histor.-staatsrechtl. Grenzen moderner G.en 
(1830); Beseler, Volksrecht u. Juristenrecht (1843); 
Adikes, Lehre von den Rechtsquellen (1872); Ihe- 
ring, Zweck im Recht (2 Bde, #1893/98); R. Gneist, 
Gesetz u. Budget (1879); Lassalle, Das System 
der erworbenen Rechte (21880); Ad Arndt, Das 
Verordnungsrecht des Deutschen Reiches (1884); 
V. Fricker, Die Verpflichtung des Kaisers zur Ver- 
kündigung der Reichsgesetze (1885); Seligmann, 
Der Begriff des Gesetzes (1886); Jellinek, Gesetz 
u. Verordnung (1887); G. Anschütz, Krit. Studien 
zur Lehre vom Rechtssatz u. formellen Gesetz (1891); 
Frormann, Die Beteiligung des Kaisers an der 
Reichsgesetzgebung, im Archiv für öffentl. Recht 
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XIV (1899) 31 ff; G. Anschütz, Die gegenwärtigen 
Theorien über den Begriff der gesetzgebenden Ge- 
walt (21901); E. Zitelmann, Die Kunst der G 
(1904); L. Geller, Gesetzgeberische Mißgriffe, Bei- 
trag zu einer Lehre von der Kunst der G., in Österr. 
Zentralblatt für die jurist. Praxis XXIV (1905) 
193/218; J. Kohler, G.spolitik des 19. Jahrh., 
in der Deutschen Juristenztg 1905, 32 ff; derf., 
Technik der G., im Archiv für zivilist. Praxis XCVI 
(1905) 345/375; van Calker, G. spolitik u. Rechts- 
vergleichung, in der Paul Laband gewidmeten Fest- 
schrift (1908). [Gerok, rev. Hink.) 
Gesinde oder Dienstboten sind diejenigen 
Personen, die ihre Arbeitskraft zu häuslichen oder 
niederen landwirtschaftlichen Verrichtungen auf 
längere Zeit gegen einen vorausbestimmten Lohn 
verdingen, mit dem in der Regel die unentgeltliche 
Gewährung von Wohnung und Kost verbunden ist. 
1. Rechtliche Verhältnisse. Auf diese 
können die Regeln der gewöhnlichen Dienstmiet- 
verträge nur beschränkte Anwendung finden; einer- 
seits erscheint es unmöglich, den Kreis der ihnen 
obliegenden Arbeiten vertragsmäßig bis ins ein- 
zelne genau zu umgrenzen, anderseits besteht zwi- 
schen Dienstherrschaft und Dienstboten nicht ein 
bloß vertragsmäßiges, auf Leistungen und ent- 
sprechende Gegenleistungen abzielendes Verhältnis, 
ondern der Zugehörigkeit zum Hausstande, zur 
Familie entsprechen auf beiden Seiten schwer wie- 
gende sittliche Pflichten. Dadurch treten die Dienst- 
boten in einen wesentlichen Gegensatz sowohl zu 
den gewöhnlichen Taglöhnern als auch zu den in- 
dustriellen Arbeitern. Die neuere Zeit, welche den 
Arbeitnehmer und Arbeitgeber an die Stelle des 
Gesellen und Meisters gesetzt hat, sucht auch die 
festen Bande, welche bisher Gesinde und Herr- 
schaft, gewiß nicht zu beiderseitigem Nachteile, mit- 
einander verknüpften, zu lockern; das Erfurter 
Parteiprogramm der Sozialdemokratie vom Jahre 
1891 führt bereits unter den zunächst zu erstreben- 
den Zielen auf: die rechtliche Gleichstellung der 
landwirtschaftlichen Arbeiter und der Dienstboten 
mit den gewerblichen Arbeitern und zu diesem Be- 
hufe die Beseitigung der noch geltenden Gesinde- 
ordnungen. 
Reichsgesetzliche Reglung hat das Dienst- 
botenwesen insbesondere nunmehr durch Art. 95 
des Einf. Ges. zum B.G.B. insofern gefunden, als 
einerseits die Landesgesetze, welche dem Gesinde- 
rechte angehören, grundsätzlich aufrecht erhalten 
  
wurden, anderseits aber doch eine Reihe von Vor- 
schriften des B. G. B. teils für unmittelbar maß- 
gebend erklärt wurde, teils für den Fall in An- 
wendung zu kommen hat, daß die Landesgesetze 
dem Gesinde nicht weitergehende Ansprüche ge- 
währen. Für die Landesgesetze bindend sind näm- 
lich die reichsgesetzlichen Bestimmungen über Ge- 
schäftsfähigkeit, insbesondere der Minderjährigen, 
über Haftung für Gehilfen, über die Verpflichtung 
der Dienstherrschaft in Bezug auf Wohnung, Ver- 
pflegung, Gesundheit, Sittlichkeit und Religion 
des Gesindes, über die Dauer des Dienstvertrags,
	        
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