611
mungen der seitherigen Gesindeordnungen und
auf die der Landesgesetzgebung durch Art. 95 des
Einf. Ges. zum B. G. B. gezogenen Schranken,
durch welche die Beseitigung oder wesentliche
Anderung seitheriger landesrechtlicher Vorschriften
bedingt wurde, sind in den meisten Bundesstaaten
teils besondere Gesindeordnungen erlassen, teils in
den Ausführungsgesetzen zum B.G. B. Bestim-
mungen über den Gesindevertrag getroffen worden.
In Preußen wurde das Bedürfnis nach Aus-
gleichung der bei den sechzehn in den einzelnen
Teilen der Monarchie in Kraft befindlichen Ge-
sindeordnungen obwaltenden Verschiedenheiten ver-
neint und in das preußische Ausf.Ges. zum B.G.B.
vom 20. Sept. 1899 nur eine auf das altpreu-
Wische Gesinderecht Bezug habende besondere Be-
stimmung aufgenommen, so daß es einstweilen bei
den Vorschriften der alten preußischen Gesinde-
ordnungen, unter welchen namentlich die Gesinde-
ordnung vom 8. Nov. 1810 Hervorhebung ver-
dient, sein Bewenden hat. In Bayern erfolgte in
Art. 15/31 des Ausf.Ges. vom 9. Juni 1899
eine eingehende Reglung der bürgerlich rechtlichen
Seite des Gesindewesens, in der diejenigen Vor-
schriften Aufnahme fanden, welche die allgemeinen
Vorschriften des B.G.B., insbesondere jene über
den Dienstvertrag abändern oder ergänzen. Auch
in Württemberg wurde unterm 28. Juli 1899
eine Gesindeordnung erlassen. In Sachsen wurde
durch Gesetz vom 31. Mai 1898 die revidierte
Gesindeordnung vom 2. Mai 1892 (an Stelle
der älteren vom 10. Jan. 1835) dem neuen Rechte
entsprechend abgeändert; ebenso wurde in Baden
durch Gesetz vom 20. Aug. 1898 das Gesetz vom
3. Febr. 1868 über die Rechtsverhältnisse der
Dienstboten abgeändert. Für Hessen enthält Art.
273 des Ausf.Ges. zum B.G.B. vom 17. Juli
1899 mehrfache Abänderungen des Gesetzes vom
28. April 1877, die Gesindeordnung betreffend.
Erwähnung mögen noch finden die Gesinde-
ordnungen für: Anhalt vom 21. April 1899,
Braunschweig abgeändert am 16. Aug. 1899,
Lippe vom 17. Nov. 1899, Lübeck vom 19. Juli
1899. Mecklenburg-Schwerin vom 2. April 1899,
Mecklenburg-Strelitz vom 9. April 1899, Olden-
burg vom 15. Mai 1899, Sachsen-Coburg und
Gotha vom 8. Dez. 1899, Sachsen-Weimar-
Eisenach vom 11. Okt. 1899, Schaumburg-Lippe
vom 14. Aug. 1899, Schwarzburg-Rudolstadt
vom 28. Febr. 1900, Schwarzburg-Sonders-
hausen vom 29. Juli 1899. Von den übrigen
Bundesstaaten haben die Materie teilweise in den
Ausführungsgesetzen zum B.G.B. behandelt: Bre-
men (Gesetz vom 18. Juli 1899), Sachsen-Alten-
burg (Gesetz vom 4. Mai 1899), Waldeck (Gesetz
vom 11. Dez. 1899).
Imallgemeinen gelten hiernach für das Gesinde-
wesen folgende Grundsätze: Der Dienstvertrag
bedarf keiner besondern Form; namentlich ist die
Hingabe oder die Annahme eines Ding= oder
Haftgeldes (Darangeld, Draufgabe, arrha) zur
Gesinde.
612
Wirksamkeit des Vertrages nicht erforderlich; sie
gilt nur als Beweis des zustande gekommenen
Vertrages; im Zweifel gilt die Draufgabe nicht
als Reugeld; ob sie auf den Lohn angerechnet
wird, bestimmt sich nach Landesrecht. Die Fähig-
keit zum Abschluß des Dienstvertrages bestimmt
sich nach §§ 104/115, 1358 des B.G.B. Die
Frau ist berechtigt, in Vertretung des Mannes
das zum Hauszhalt erforderliche Gesinde, ins-
besondere die weiblichen Dienstboten, zu dingen.
Der Dienstvertrag beruht im allgemeinen auf
freier Ubereinkunft (vorbehaltlich der 88 617/619
des B.G.B.); allein die Aufnahme des Dienst-
boten in die Hausgemeinschaft und in die Familie
des Dienstherrn und die schon hierdurch bedingte
Autorität der Dienstherrschaft gegenüber dem Ge-
sinde bringt notwendigerweise in mehrfacher Be-
ziehung Modifikationen der allgemeinen Bestim-
mungen über den Dienstvertrag mit sich. Der
Dienstbote leistet die Dienste im Zweifel in Per-
son ohne Stellvertretungsbefugnis; auch der An-
spruch auf Dienstleistung ist im Zweifel nicht
übertragbar. Beendigt wird das Gesindeverhältnis
mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen,
oder mit dem Ablauf der Kündigungsfrist; ist das
Dienstverhältnis für die Lebenszeit einer Person
oder für länger als fünf Jahre eingegangen, so
kann es von dem Verpflichteten nach dem Ablauf
von fünf Jahren gekündigt werden; die Kün-
digungsfrist beträgt dann sechs Monate. Aus
wichtigen Gründen kann das Dienstverhältnis von
jedem Teile ohne Einhaltung einer Kündigungs-
frist gelöst werden; außerdem kann eine Probe-
zeit vereinbart werden. Bei grundloser Enklassung
vor Ablauf der Dienstzeit besteht das Recht der
Wiederaufnahme oder das Recht auf volle Ent-
schädigung. Die Festsetzung unsittlicher Bedin-
gungen für den Dienstvertrag und die Eingehung
von Scheinverträgen ist untersagt. Der Dienst-
bote hat einen privatrechtlichen Anspruch auf Aus-
stellung eines Dienstzeugnisses und wegen Ver-
weigerung oder unrichtiger Ausstellung desselben
einen Schadenersatzanspruch gegen die Dienst-
herrschaft; diese kann landesrechtlich auch der nach-
folgenden Dienstherrschaft für den Schaden ver-
antwortlich sein, wenn sie einem Dienstboten, der
gegen sie eine schwere Veruntreuung begangen hat,
in Kenntnis dieser Tatsache das Zeugnis treuen
Verhaltens erteilt oder überhaupt ein wahrheits-
widriges Zeugnis ausstellt. Nach einigen Rechten
tritt in diesem Falle strafrechtliche Verfolgung,
sogar von Amts wegen, ein. Nach §§ 278, 831,
840 des B.G. B. haftet die Dienstherrschaft auch
für das Verschulden des Gesindes.
Die landesgesetzlichen Vorschriften öffentlich-
rechtlicher Natur sind durch Art. 95 des Einf.=
Ges. zum B.G.B. überhaupt nicht berührt. Hier-
her gehört die Befugnis der Polizeibehörde, Dienst-
boten, welche widerrechtlich den Antritt oder die
Fortsetzung des Dienstes verweigern, der Dienst-
herrschaft zwangsweise vorzuführen, wozu noch