Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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mungen der seitherigen Gesindeordnungen und 
auf die der Landesgesetzgebung durch Art. 95 des 
Einf. Ges. zum B. G. B. gezogenen Schranken, 
durch welche die Beseitigung oder wesentliche 
Anderung seitheriger landesrechtlicher Vorschriften 
bedingt wurde, sind in den meisten Bundesstaaten 
teils besondere Gesindeordnungen erlassen, teils in 
den Ausführungsgesetzen zum B.G. B. Bestim- 
mungen über den Gesindevertrag getroffen worden. 
In Preußen wurde das Bedürfnis nach Aus- 
gleichung der bei den sechzehn in den einzelnen 
Teilen der Monarchie in Kraft befindlichen Ge- 
sindeordnungen obwaltenden Verschiedenheiten ver- 
neint und in das preußische Ausf.Ges. zum B.G.B. 
vom 20. Sept. 1899 nur eine auf das altpreu- 
Wische Gesinderecht Bezug habende besondere Be- 
stimmung aufgenommen, so daß es einstweilen bei 
den Vorschriften der alten preußischen Gesinde- 
ordnungen, unter welchen namentlich die Gesinde- 
ordnung vom 8. Nov. 1810 Hervorhebung ver- 
dient, sein Bewenden hat. In Bayern erfolgte in 
Art. 15/31 des Ausf.Ges. vom 9. Juni 1899 
eine eingehende Reglung der bürgerlich rechtlichen 
Seite des Gesindewesens, in der diejenigen Vor- 
schriften Aufnahme fanden, welche die allgemeinen 
Vorschriften des B.G.B., insbesondere jene über 
den Dienstvertrag abändern oder ergänzen. Auch 
in Württemberg wurde unterm 28. Juli 1899 
eine Gesindeordnung erlassen. In Sachsen wurde 
durch Gesetz vom 31. Mai 1898 die revidierte 
Gesindeordnung vom 2. Mai 1892 (an Stelle 
der älteren vom 10. Jan. 1835) dem neuen Rechte 
entsprechend abgeändert; ebenso wurde in Baden 
durch Gesetz vom 20. Aug. 1898 das Gesetz vom 
3. Febr. 1868 über die Rechtsverhältnisse der 
Dienstboten abgeändert. Für Hessen enthält Art. 
273 des Ausf.Ges. zum B.G.B. vom 17. Juli 
1899 mehrfache Abänderungen des Gesetzes vom 
28. April 1877, die Gesindeordnung betreffend. 
Erwähnung mögen noch finden die Gesinde- 
ordnungen für: Anhalt vom 21. April 1899, 
Braunschweig abgeändert am 16. Aug. 1899, 
Lippe vom 17. Nov. 1899, Lübeck vom 19. Juli 
1899. Mecklenburg-Schwerin vom 2. April 1899, 
Mecklenburg-Strelitz vom 9. April 1899, Olden- 
burg vom 15. Mai 1899, Sachsen-Coburg und 
Gotha vom 8. Dez. 1899, Sachsen-Weimar- 
Eisenach vom 11. Okt. 1899, Schaumburg-Lippe 
vom 14. Aug. 1899, Schwarzburg-Rudolstadt 
vom 28. Febr. 1900, Schwarzburg-Sonders- 
hausen vom 29. Juli 1899. Von den übrigen 
Bundesstaaten haben die Materie teilweise in den 
Ausführungsgesetzen zum B.G.B. behandelt: Bre- 
men (Gesetz vom 18. Juli 1899), Sachsen-Alten- 
burg (Gesetz vom 4. Mai 1899), Waldeck (Gesetz 
vom 11. Dez. 1899). 
Imallgemeinen gelten hiernach für das Gesinde- 
wesen folgende Grundsätze: Der Dienstvertrag 
bedarf keiner besondern Form; namentlich ist die 
Hingabe oder die Annahme eines Ding= oder 
Haftgeldes (Darangeld, Draufgabe, arrha) zur 
Gesinde. 
  
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Wirksamkeit des Vertrages nicht erforderlich; sie 
gilt nur als Beweis des zustande gekommenen 
Vertrages; im Zweifel gilt die Draufgabe nicht 
als Reugeld; ob sie auf den Lohn angerechnet 
wird, bestimmt sich nach Landesrecht. Die Fähig- 
keit zum Abschluß des Dienstvertrages bestimmt 
sich nach §§ 104/115, 1358 des B.G.B. Die 
Frau ist berechtigt, in Vertretung des Mannes 
das zum Hauszhalt erforderliche Gesinde, ins- 
besondere die weiblichen Dienstboten, zu dingen. 
Der Dienstvertrag beruht im allgemeinen auf 
freier Ubereinkunft (vorbehaltlich der 88 617/619 
des B.G.B.); allein die Aufnahme des Dienst- 
boten in die Hausgemeinschaft und in die Familie 
des Dienstherrn und die schon hierdurch bedingte 
Autorität der Dienstherrschaft gegenüber dem Ge- 
sinde bringt notwendigerweise in mehrfacher Be- 
ziehung Modifikationen der allgemeinen Bestim- 
mungen über den Dienstvertrag mit sich. Der 
Dienstbote leistet die Dienste im Zweifel in Per- 
son ohne Stellvertretungsbefugnis; auch der An- 
spruch auf Dienstleistung ist im Zweifel nicht 
übertragbar. Beendigt wird das Gesindeverhältnis 
mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen, 
oder mit dem Ablauf der Kündigungsfrist; ist das 
Dienstverhältnis für die Lebenszeit einer Person 
oder für länger als fünf Jahre eingegangen, so 
kann es von dem Verpflichteten nach dem Ablauf 
von fünf Jahren gekündigt werden; die Kün- 
digungsfrist beträgt dann sechs Monate. Aus 
wichtigen Gründen kann das Dienstverhältnis von 
jedem Teile ohne Einhaltung einer Kündigungs- 
frist gelöst werden; außerdem kann eine Probe- 
zeit vereinbart werden. Bei grundloser Enklassung 
vor Ablauf der Dienstzeit besteht das Recht der 
Wiederaufnahme oder das Recht auf volle Ent- 
schädigung. Die Festsetzung unsittlicher Bedin- 
gungen für den Dienstvertrag und die Eingehung 
von Scheinverträgen ist untersagt. Der Dienst- 
bote hat einen privatrechtlichen Anspruch auf Aus- 
stellung eines Dienstzeugnisses und wegen Ver- 
weigerung oder unrichtiger Ausstellung desselben 
einen Schadenersatzanspruch gegen die Dienst- 
herrschaft; diese kann landesrechtlich auch der nach- 
folgenden Dienstherrschaft für den Schaden ver- 
antwortlich sein, wenn sie einem Dienstboten, der 
gegen sie eine schwere Veruntreuung begangen hat, 
in Kenntnis dieser Tatsache das Zeugnis treuen 
Verhaltens erteilt oder überhaupt ein wahrheits- 
widriges Zeugnis ausstellt. Nach einigen Rechten 
tritt in diesem Falle strafrechtliche Verfolgung, 
sogar von Amts wegen, ein. Nach §§ 278, 831, 
840 des B.G. B. haftet die Dienstherrschaft auch 
für das Verschulden des Gesindes. 
Die landesgesetzlichen Vorschriften öffentlich- 
rechtlicher Natur sind durch Art. 95 des Einf.= 
Ges. zum B.G.B. überhaupt nicht berührt. Hier- 
her gehört die Befugnis der Polizeibehörde, Dienst- 
boten, welche widerrechtlich den Antritt oder die 
Fortsetzung des Dienstes verweigern, der Dienst- 
herrschaft zwangsweise vorzuführen, wozu noch
	        
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