Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Landes zu Nationalkonzilien zu versammeln und 
auf diesen den Vorsitz zu führen, so ist dies nur 
in vereinzelten Fällen zutreffend und immer ein 
Ergebnis, dessen Faktoren einen politischen Hinter- 
grund haben. In unserer Zeit ist überall die Pri- 
matialwürde nur noch Ehrentitel ohne Juris- 
diktion, und in diesem Sinn tragen noch jetzt die 
Exzbischöfe von Toledo, Tarragona, Rouen, Me- 
cheln, Salzburg, Prag, Gnesen-Posen, Gran, 
Armagh den Namen Primas. 
Von denhierarchischen Zwischenstufen der älteren 
Zeit hat sich nur eine bis auf unsere Zeit erhalten, 
die der Metropoliten oder Erzbischöfe. Dieselbe 
erscheinthistorisch als die erste und älteste und bildet 
für die beiden andern die Grundlage und Vor- 
bedingung. Die Phasen ihrer allmählichen Ent- 
stehung ergeben sich ganz einfach und naturgemäß 
aus dem eigenartigen Gang der räumlichen Aus- 
breitung des Christentums und der innerhalb fester 
territorialer Grenzen stetig fortschreitenden Be- 
gründung kirchlicher Gemeindeverbände. Der Keim 
oder Kern des Bildungsprozesses selbst ist nach- 
weislich schon von den ersten Verkündern der christ- 
lichen Lehre und Stiftern der ersten christlichen 
Gemeinden, den Aposteln, gelegt. Diese wandten 
sich zunächst an die volkreicheren Provinzialhaupt= 
städte, und hier in diesen politischen und bürger- 
lichen Metropolen erstanden die ersten christlichen 
Gemeinden oder Kirchen. Bei dem Verkehr, der 
zwischen diesen und den übrigen Ortschaften der 
Provinz stattfand, zählte das Christentum bald 
über die Provinz zerstreut viele Gläubige, die als 
jener Gemeinde zugehörig betrachtet wurden, wie 
wir dies namentlich aus dem zweiten Korinther= 
brief 1, 1 ersehen (vgl. Hefele, Konziliengeschichte 
1 365)0. Als nun aber die Vermehrung der Gläu- 
bigen in den einzelnen Teilen der Provinz die 
Begründung eigener Verbände oder Gemeinden 
notwendig machte, so blieb nach wie vor, wenn 
auch in anderer Form, dieses Band der Zusam- 
mengehörigkeit bestehen, indem diese Gemeinden 
oder Kirchen mit ihren Bischöfen zu der Haupt- 
Episkopat. 
  
und Mutterkirche und deren Bischof in ein Ver- 
hältnis der Unterordnung und Abhängigkeit traten. 
Mit dem Abschluß dieser Entwicklung bildeten 
dann die einzelnen Diözesen oder Bistümer einer 
Provinz eine insich geschlossene, einheitliche Gruppe, 
welche in dem Bischof der politischen Metropole 
ihren Gravitations= und Einigungspunkt hatte. 
Diese Organisation oder kirchliche Verfassungs- 
sorm erhielt mit Rücksicht auf das Hauptmoment 
derselben den Namen Metropolitanverband, und 
dessen Träger hieß Metropolit und später Erz- 
bischo 
Ist somit auch die kirchliche Metropolitan- 
verfassung im innigsten Zusammenhang mit der 
politischen Territorialeinteilung entstanden, so darf 
man doch hierin keineswegs ein Wahrzeichen dafür 
finden wollen, daß sich die Kirche nicht aus sich 
selbst, sondern unter dem unmittelbaren Einfluß 
staatlicher Verfassungsformen organisiert habe. Es 
  
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sind bei der angedeuteten Entwicklung für die 
Kirche immer ihre eigenen Motive und Interessen 
allein maßgebend gewesen. Mit Rücksicht auf diese 
kamen auch von der Regel des alten Rechts, daß 
die kirchliche Provinzialeinteilung mit der bürger- 
lichen zusammenfallen solle, vielfache Abwei- 
chungen vor. 
Die höhere hierarchische Stufe oder die hervor- 
ragende Stellung, welche die Metropoliten oder 
Erzbischöfe über die dem Metropolitanverband 
angehörigen Bischöfe einnahmen, beruhte auf be- 
stimmten Jurisdiktionsbefugnissen, welche ihnen 
über diese zustanden. Zu denselben gehören: 1) das 
Recht der Ordination der Bischöfe ihrer Provinz; 
2) das Recht, Provinzialkonzilien abzuhalten und 
auf denselben die Leitung der Verhandlungen zu 
führen; 3) das Recht, Appellationen gegen die 
Urteile der bischöflichen Gerichte anzunehmen; 
4) das Recht der Oberaufsicht über die Amts- 
führung der Bischöfe und im Zusammenhang da- 
mit das Recht, die Strafgerichtsbarkeit über sie 
auszuüben, allein oder mit Hinzuziehung der Pro- 
vinzialbischöfe. 
Im Orient war diese kirchliche Provinzial- 
organisation schon im Beginn des 4. Jahrh. in 
ihren Haupt= und Grundzügen vollendet (c. 4 des 
Konzils zu Nizäa); die Mitteilungen aus dem 4. 
und 5. Jahrh. über die Abhaltung vieler Provin- 
zialkonzilien bezeugen dasselbe auch für die ein- 
zelnen Länder des Abendlandes. 
In denchristlich-germanischen Reichen, vorzugs- 
weise im Frankenreich, verlor jedoch der Metro- 
politanverband bald seine praktische Bedeutung 
und löste sich im Verlauf des 7. Jahrh. allmäh- 
lich ganz auf. Es hing dies mit der eigenartigen 
Entwicklung der äußeren kirchlichen Verhältnisse 
zusammen, welche hier dadurch eintrat, daß die 
Bischöfe zugleich Träger politischer Rechte und 
Vasallen der fränkischen Könige waren. Durch 
dieses politische Band wurde das kirchliche immer 
mehr in den Hintergrund gedrängt und kam um 
so weniger zur Geltung, als in jener Zeit die 
Könige die Ernennung der Bischöfe tatsächlich vor- 
nahmen unddie gemeinsamen kirchlichen Angelegen- 
heiten wie Reichsangelegenheiten auf den Reichs- 
tagen verhandelt wurden. 
Gegen Mitte des 8. Jahrh. gelang es den Be- 
mühungen des hl. Bonifatius unter Mitwirkung 
Pippins, die Wiederherstellung der Metropoli- 
tanverfassung im Interesse der kirchlichen Diszi- 
plin durchzusetzen; jedoch machte bald die miß- 
bräuchliche Ausübung der dadurch begründeten 
Rechte seitens der Metropoliten zur Sicherung der 
bischöflichen Amtsführung eine Verringerung der- 
selben notwendig. Diese erfolgte in der Weise, 
daß die Päpste zunächst der Ausübung der Straf- 
gerichtsbarkeit gegen die Bischöfe engere Grenzen 
zogen, speziell das Recht der Absetzung der Bischöfe, 
das Recht der Prüfung und Bestätigung der Bi- 
schofswahl (s. d. Art.) und das Konsekrationsrecht 
aus dem ius metropoliticum auslösten und ferner-
	        
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