Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

631 Gesundheit 
Gesundheitspflege ansehen: die Luft, die wir 
atmen, der Boden, auf dem wir wohnen, unsere 
Nahrungs= und Genußmittel, das Trinkwasser 
vor allem, dürfen keine schädlichen Substanzen 
enthalten. Sehen wir, welchen Verschlechterungen 
diese Hauptlebenssubstrate besonders ausgesetzt sind. 
Die hauptsächlichsten äußeren Lebens- 
substrate. Die Luft ist ein Gemenge von etwa 
21 Teilen Sauerstoff und etwa 79 Teilen Stick- 
stoff; sie enthält für gewöhnlich höchstens 4,10 %% 
Kohlensäure. Bei Anwesenheit vieler Menschen in 
geschlossenen Räumen kann sich der Kohlensäure- 
gehalt (durch die Lungen= und Hauttätigkeit) er- 
heblich, bis zu 30 %% und darüber, steigern. 
Allgemein wird ein Gehalt von 10 %% an als 
gesundheitsschädlich angesehen und empfunden. 
Dies scheint aber auch auf die gleichzeitige Über- 
sättigung der Luft mit Feuchtigkeit und Fäulnis- 
stoffen zurückgeführt werden zu müssen, deren 
Quellen ebenfalls die Ausdünstungen und beson- 
ders auch die in den Kleidern, dem Schuhwerk usw. 
schon zur Zersetzung gelangten Produkte des Stoff- 
wechsels sind. Bei gleichzeitiger Gas= oder Ol- 
beleuchtung und Ofenheizung erfolgt die Ver- 
minderung des Sauerstoffs und die Vermehrung 
der Kohlensäure noch schneller. Dazu kommt 
eine starke Staubbewegung, die überall dort, 
wo sich Menschen ansammeln, unvermeidlich ist. 
Die schlimmsten Bestandteile dieses Staubes sind 
Spaltpilze. Gesteigert werden genannte Übel- 
stände bei dem Mangel an Licht und Sonne. 
In vielen Wohnungen kommen noch allerhand 
andere Quellen der Luftverderbnis hinzu: Ab- 
tritts-, Ausgußrohr-, Senken= oder Kanalgase, 
welche reich an Ammoniak, Schwefel= und Kohlen- 
wasserstoffen, flüchtigen Fettsäuren und Spalt-- 
pilzen sind, von den Ausdünstungen der Küchen. 
Waschküchen usw. zu schweigen. Verderblich sind 
auch die Kellerdünste, welche teilweise von auf- 
steigender Grundluft herrühren. Denn wie das 
Luftmeer über dem Boden, so ist auch das Luft- 
meer in und unter dem Boden steten Schwankungen 
unterworfen und öfters, wenn Windstöße die Erde 
peitschen oder Luftdruck= und Temperaturausgleiche 
dies erfordern, in aufsteigender Bewegung. Die 
Bodenluft ist gewöhnlich reich an Kohlensäure, 
und wenn der Boden (in nächster Nähe des Hauses 
oder gar unter demselben) Brunnenschachte, Abort- 
gruben, Senken, undichte Siele oder andere Rohr- 
leitungen enthält, mit den oben genannten schäd- 
lichen Substanzen durchsetzt. 
Zu große Trockenheit der Luft, wie sie bei an- 
haltender starker Erwärmung, besonders durch 
Luftheizung, leicht erzeugt wird, wirkt auf die 
Schleimhäute austrocknend und reizend. Zu große 
Feuchtigkeit und die oben genannte Verderbnis 
der Atmungsluft ist den Lungen und der Haut- 
tätigkeit feindlich und gibt zur Entstehung von 
Schwindsucht und Rheumatismen Veranlassung, 
besonders wenn noch Staub= und Gassverun- 
reinigungen der Luft durch den Betrieb oder die 
  
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Art der Arbeit, wie beim Bergbau, in der In- 
dustrie, den gewerblichen Unternehmungen, hinzu- 
kommen. Die höchsten Grade der Luftverun- 
reinigung beobachtet man beim Bergbau, in der 
chemischen Industrie (besonders bei der Erzeugung 
irrespirabler Gase, wie Chlor u. a., und der Her- 
stellung von Arsen, Blei, Phosphor, Quecksilber) 
sowie in überfüllten, schlecht ventilierten Wirt- 
schaftslokalitäten. 
Die Luft im Freien wird nicht selten durch Aus- 
dünstungen gewerblicher Betriebe, verunreinigter 
Flußläufe, Teiche, Kloaken, Straßenrinnen, dann 
durch mineralischen und vegetabilischen Staub, 
den Ruß der zahllosen Hausherde und der Fabrik- 
schlote in den Industriegegenden verschlechtert. 
Bei ruhigem Verhalten des Luftmeeres, ganz be- 
sonders bei Nebel, wo nur träge Lufterneuerung 
statthat, werden die Staub= und Kohlenteilchen 
in der Atmungsluft schwebend erhalten und machen 
sich besonders in großen Städten, wie London, 
als brauner und schwarzer Nebel von Jahr zu 
Jahr belästigender und schädigender bemerkbar. 
Durch das Verbrennen des Torfs in den Moor- 
distrikten Ostfrieslands im Frühjahre entsteht der 
verderbliche Moorrauch (Höhenrauch, Haarrauch, 
Heerrauch, Landrauch, Sonnenrauch), der tage- 
lang große Strecken des nordwestlichen Mittel- 
europas in trüben Nebel einhüllt und der Sonne 
den Zutritt zum Boden wehrt. Auch die Vermin- 
derung des Luftdrucks kann krankheiterregend wir- 
ken (Bergkrankheit), mehr noch anhaltendes Ver- 
weilen in Luft von gesteigertem Drucke (Arbeiten 
unter Wasser). Die am meisten gesundheitschä- 
digenden Eigenschaften übt die Staubluft aus und 
das berufsmäßige Arbeiten in solcher Luft. 
Die größte Zahl aller chronischen und akuten 
Infektionskrankheiten entsteht durch Einatmen der 
Krankheitskeime bei gleichzeitiger Schwächung der 
Organe (Haut, Schleimhäute, Drüsen, Lungen), 
durch Mangel an Sauerstoff, zu großen Kohlen- 
säure= und Feuchtigkeitsgehalt der Atmungsluft, 
Überanstrengung der Muskeln usw. Bei den auf 
Reinhaltung der Atmungsluft gerichteten Maß- 
regeln kommt es somit nicht darauf an, nur gegen 
die eine oder andere Schädlichkeit, etwa den Staub 
oder die Kohlensäure, vorzugehen, sondern alle 
insgesamt zu verhindern durch Verstopfung aller 
Staubauellen und Quellen schädlicher Gase in den 
Wohnungen und in deren Nähe, durch Sorge für 
Reinhaltung des Bodens, der Abzüge, Regulic- 
rung der Heizung und Beleuchtung, Schaffung 
einer ausgiebigen Lufterneuerung (wobei darauf 
zu achten ist, daß nur reiner Luft der Zutritt ge- 
stattet werde) usw. Die einfachste Art der Luft- 
erneuerung durch Offnen gegenüberstehender Fen- 
ster oder Türen wird bei kalter Jahreszeit wegen 
der Zugluft und Abkühlung gerade dann ver- 
mieden, wenn sie am notwendigsten wäre. Es ist 
deshalb für alle Lokale und Anstalten, welche 
vorübergehend oder dauernd als Aufenthalt zahl- 
reicher Menschen dienen, auf die Anlage künst- 
 
	        
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