Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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wirte nicht zu rechnen ist und sehr lästige An- 
häufungen von Fäkaldepots die städtischen Ver- 
waltungen in Verlegenheit bringen. Auch sind die 
Kosten dieses Systems sehr bedeutend. Weitere 
Methoden geregelter Abfuhr sind das Separating- 
system, das Differenziersystem (pneumatisches 
System nach Liernour), die Anlage von Erd--, 
Aschen= oder Torfstreuklosetts. Alle Gesse Einrich- 
tungen sind für große Städte teils des Kosten- 
punktes teils der Anstauung der Fäkalien wegen 
unbrauchbar. Da nun anderseits die Beiseite- 
schaffung der Abwasser auf alle Fälle eine städtische 
Kanalanlage erfordert und nachgewiesen ist, 
daß die Fäkalien, welche mit dem Schmutzwasser 
weggeschwemmt werden, höchstens 5 % von dessen 
organischen Zersetzungsstoffen ausmachen (v. Pet- 
tenkofer), so ist die Schwemmkanalisation mit 
Wasserklosetts, über deren Anlage und Ventila- 
tion besondere Vorschriften zu erlassen sind, allen 
andern Systemen zur Unschädlichmachung der 
Fäkalien vorzuziehen. Um letztere wieder für den 
Boden nutzbar zu machen, empfiehlt sich die An- 
lage von Rieselfeldern, wo dieselbe überhaupt 
möglich und durchführbar ist, d. h. wo in der 
Nähe der Städte große sandige bzw. durchlässige 
Landkomplexe als Rieselgüter erwerbbar sind. Wo 
dieses untunlich ist, dagegen genügende Wasser- 
mengen und ausreichendes Gefälle zu Gebote stehen, 
ist die Einleitung der Abwasser einschließlich der 
Fäkalien in den Flußlauf naturgemäß und das 
einzig rationelle Verfahren. 
Daß die selbstreinigende Kraft des Wassers 
nicht geringer als die des Bodens (Rieselfelder) 
ist, steht unwiderleglich fest. Die Verunreinigung 
der Flußläufe wird weniger durch die Fäkalien, 
wie man ziemlich allgemein glaubt, als durch die 
anderweitigen organischen Substanzen des Kanal- 
inhaltes bedingt. Man hat die bei Harn und den 
Fäces in Betracht kommenden organischen Stoffe 
auf 73 g pro Person und Tag berechnet. Von 
diesen 73 g kommen aber 45 auf den Harn und 
nur 28 auf den Kot. Letzterer würde also einen 
Fluß weit weniger verunreinigen als der gewöhn- 
lich als unbedenklich angesehene Urin. Die Ver- 
unreinigung des Flußwassers ist selbst durch die 
kostspieligsten Kläranlagen, die sich ja höchstens 
einzelne wenige der großen, am Stromlauf ge- 
legenen Städte (nicht aber die große Zahl der 
kleinen daselbst liegenden Ortschaften) gestatten 
können, nur um ein geringes verminderbar. Solche 
Kläranlagen sind für chemische Fabriken, Woll- 
wäschereien, Färbereien usw. im Interesse der 
Fischzucht und auch der Hygiene namentlich dann 
geboten, wenn es sich um Bäche oder kleine, wasser- 
arme Flüßchen handelt. — Die Herrichtung einer 
zweckmäßigen Kanalanlage erfordert ein eingehen- 
des Studium der betreffenden brtiichen Verhält- 
nisse und ist stets als ein Ganzes, d. h. für den 
gegenwärtigen Umfang einer Stadt, ihre voraus- 
sichtliche Ausdehnung und endlich in allen ihren 
Verzweigungen einschließlich der Hausableitungen 
Gesundheitspflege usw. 
  
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zu planen und plangemäß dem jeweiligen Be- 
dürfnis entsprechend auszubauen, wobei auf Pro- 
filquerschnitt, richtiges Gefälle, Material, leichte 
Reinigung, Durchspülung und Ventilation des 
ganzen Systems und seiner einzelnen Teile (um 
Gasanstauungen und Luftpressungen zu vermei- 
den) besondere Rücksicht zu nehmen ist. 
Eine Wasserleitung, welche entweder Ge- 
birgsquellwasser oder die Wasseransammlungen 
aus Kiesschichten oder das Wasser aus Tief- 
brunnen oder endlich, was am wenigsten empfeh- 
lenswert ist, filtriertes Fluß-, Binnensee-, Teich- 
oder Oberflächengrundwasser führt, ist die uner- 
läßliche Ergänzung bzw. Voraussetzung jeder 
Kanalanlage. Frisches, gesundes Trinkwasser von 
gleichmäßiger Beschaffenheit, unter Ausschluß der 
zeitweilig oder stets schlechtes Trinkwasser liefern- 
den Haus= und Straßenflachbrunnen, kann nur 
durch eine Wasserleitung mit obligatorischem An- 
schluß der Gesamtheit der Bürger nutzbringend 
werden. Daneben liefert diese Wasserleitung aber 
auch das so notwendige Reinigungsmittel für die 
Wohnungen, die gewerblichen Anlagen, die Straßen 
und Kanäle und verdünnt den Inhalt der letzteren 
derart, daß sie schon an ihrer Einmündungsstelle 
in einen Fluß wenig mehr von der Beschaffenheit 
der Kanaljauche früherer Zeit zeigen. Zur Er- 
gänzung der Reinhaltung der Straßen und öffent- 
lichen Plätze ist eine Ordnung des Kehrwesens, 
Besprengung der Straßen und öffentlichen Plätze 
zur Staubverhütung, geordnetes Abfuhrwesen der 
eesten Abfallstoffe, des Straßenkehrichts usw. not- 
wendig. 
Eine der wichtigsten Fragen der Städtehygiene 
ist heutzutage die Beschaffung gesunder Woh- 
nungen für den Arbeiter, den kleinen Bürger 
und Beamten (vgl. d. Art. Wohnungsfrage). 
Die Sorge für die Kontrolle der Nahrungs- 
und Genußmittel erfordert Markthallen, Viehhöfe, 
Schlachthäuser mit der hinreichenden Anzahl von 
Tierärzten, Aussichts= und Untersuchungsbeamten, 
Freibänke, Abdeckereien (zur Unschädlichmachung 
der krepierten Tiere und des verworfenen Schlacht- 
viehs), Untersuchungsämter. Zur allgemeinen Er- 
haltung der Gesundheit muß den Bürgern und 
vor allem der Jugend Gelegenheit zum Turnen 
und zu Bewegungsspielen, zum Schwimmen und 
Baden, dann aber auch zu Spaziergängen und 
Erholungen geboten werden. Die Sorge für die 
Kranken erfordert Anstalten, die mit allen die 
möglichst rasche Genesung gewährleistenden Ein- 
richtungen versehen sind. Dazu gehören auch Des- 
infektionsapparate für die sichere Vernichtung von 
Ansteckungsstoffen in Bettstücken, Bettwäsche und 
Kleidern: Apparate, die auch der gesamten Bürger- 
schaft zur Benutzung bereitstehen sollten. Dann 
müssen die Schulgebäude und ihre Umgebung den 
hygienischen Anforderungen entsprechend eingerich- 
tet, und endlich muß den Armen und Hilfsbedürf- 
tigen ausreichende Fürsorge gewidmet werden 
(Asyle für Obdachlose, Invaliden= und Siechen-
	        
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