Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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häuser, Waisenhäuser, Versorgungsanstalten). Nicht 
an letzter Stelle ist für die Hebung des öffentlichen 
Gesundheitszustandes einer Stadt die Bekämpfung 
des Alkoholmißbrauches von Bedeutung. Hier kön- 
nen Enthaltsamkeitsbruderschaften und Mäßig- 
keitsvereine großen Nutzen stiften. Durch orts- 
statutarische Bestimmung, welche die Zahl der zu 
erteilenden Wirtschaftskonzessionen und ihre Ent- 
ziehung beim Ubertreten der an die Konzession ge- 
knüpften Bedingungen ausspricht, Besteuerung der 
Tingeltangel usw. kann die Stadtverwaltung die 
Bestrebungen der Vereine sehr unterstützen, ebenso 
durch Errichtung oder Förderung von Trinker- 
asylen. 
Wenn# auch die tiefere Ursache krankhafter Stö- 
rungen bei der heranwachsenden Jugend in der 
körperlichen Organisation, d. h. in gewissen an- 
geerbten oder in den ersten Lebensjahren durch 
zweckwidrige Pflege oder Krankheiten erworbenen 
Schwächezuständen der Knochen, Muskeln, Nerven, 
einzelner Sinnesorgane usw. gesucht werden muß, 
so kann doch anderseits nicht verkannt werden, daß 
der Besuch der Schule bei zahlreichen Kindern 
den Ausbruch von Krankheiten beschleunigt. Un- 
gemein verbreitet ist die Anlage zu Rachitis, 
Skrofulose, Katarrhen und entzündlichen Zu- 
ständen in den Atmungswegen. Nur die kleine 
Minderzahl der Kinder kommt absolut gesund zur 
Welt bzw. zur Schule. Die große Mehrzahl ist 
mit irgend einem Gebrechen oder einer Schwäche 
behaftet, welche in der Schule durch den Mangel 
an frischer Luft, Bewegung und Freiheit, durch 
die gezwungene, vornübergebeugte Haltung und 
Überanstrengung der Sinne, besonders der Augen, 
vorzeitig und in unnötig erheblichem Grade ent- 
wickelt werden. Unbestritten gilt dies für die 
Kurzsichtigkeit und den Schiefwuchs (Skoliosis 
und Lordofis). Doch auch allerhand Ernährungs- 
störungen, Blutarmut, Verdauungsschwäche, Er- 
schlaffung der geistigen Regsamkeit, Nervosität 
u. a. m. werden offenkundig durch die Schule ge- 
fördert. Ferner werden ansteckende äußere und 
innere Krankheiten durch das nahe Beisammen- 
sein der Kinder in der Schule ungemein oft ver- 
breitet. 
Vor allem muß das Schullokal selbst auf gutem 
Untergrunde gebaut, sonnig und trocken gelegen 
und hinreichend geräumig sein. Die Gänge und 
Treppen sollen breit und die Schulsäle derart 
angeordnet sein, daß das Licht durch möglichst 
hohe und tiefreichende Fenster entweder von links 
her oder noch besser von beiden Seiten einfällt. 
Direktes Sonnenlicht ist abzublenden. Die Größe 
des Raumes soll so bemessen werden, daß auf 
jedes Kind 4—5, im Minimum jedoch 3 chm 
Luftraum entfallen. Da nun die größten Säle, 
welche den in den letzten Reihen sitzenden Schülern 
noch auf die Tafel zu sehen gestatten und dem 
Lehrer noch einen guten Überblick gewähren, nicht 
über 10 m Länge und 7m Breite haben dürfen, 
so reichen dieselben bei der üblichen Höhe für höch- 
Gesundheitspflege ufw. 
  
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stens 60 Schüler aus (in Preußen werden, was 
entschieden zu viel ist, 80 Schüler zugelassen) und 
bei höheren Schulen für 40—50. Vorkehr für 
Ablage der Kleider, Schirme usw. darf nicht im 
Schulsaale selbst, sondern muß in einem besondern 
Vorraume oder auf den Gängen getroffen werden. 
Wenn Ofen zur Heizung benutzt werden, so soll 
man Füllöfen benutzen und ihr Glühendwerden 
verhindern. Die Ofen müssen in derartigem Ab- 
stande von den Bänken angebracht werden, daß 
die strahlende Hitze die Kinder der nächststehenden 
Bänke nicht trifft. Für größere Schulen ist in- 
dessen Zentralheizung (Niederdruckdampfheizung) 
und künstliche Ventilation mit Vorerwärmung der 
Luft empfehlenswert. Andernfalls muß die natür- 
liche Ventilation durch Offnen aller Türen und 
Fenster möglichst oft und ausgiebig, namentlich 
auch während der Unterrichtspausen, benutzt werden. 
Die Sitzpulte sollen den verschiedenen Größen der 
Kinder entsprechen und sowohl die gerade Haltung 
während des Schreibens als die bequeme Auflage 
des Heftes und der Vorderarme gestatten. Bei ihrer 
Konstruktion sind die Bankhöhe, die Differenz der 
Tischplatten= und Bankhöhe, die Distanz des Tisches 
von der Bank und die Rückenlehne, als deren beste 
die Kreuzlehne gilt, gesondert zu berücksichtigen. 
Die Aborte dürfen, von Klosetteinrichtungen ab- 
gesehen, nicht im Schulgebäude selbst liegen; für 
Spielplätze und frisches, gutes Trinkwasser, für 
Reinhaltung der Gänge, Treppen und Säle durch 
tägliches, sorgsames Wegschaffen des Staubes usw. 
ist genügende Vorkehr zu treffen. 
Besondere Aufmerksamkeit ist auf das Schreib- 
gerät, auf Tafel und Hefte, guten Druck und gutes 
Papier der Schulbücher zu verwenden. Jegliche 
Überbürdung und UÜberanstrengung, d. h. Reizung 
des kindlichen Gehirns, ist vom ÜUbel. Das Ge- 
dächtnis wird durch Auswendiglernen über ein 
bestimmtes, bei den einzelnen Kindern oft sehr 
verschiedenes mittleres Maß hinaus nicht gestärkt, 
sondern geschwächt; wesentlich für die Pflege des 
Gedächtnisses ist die Anregung des Interesses für 
den Unterrichtsgegenstand seitens des Lehrers. 
Vermeidung der körperlichen Züchtigung oder Ein- 
schränkung derselben auf besonders schwere Ver- 
gehen und unbedingtes Vermeiden des Schlagens 
auf den Kopf (Ohren), Turn= und Bewegungs- 
spiele, häufiges Baden (Brausebäder im Schul- 
gebäude), Beschränkung der häuslichen Aufgaben 
und Strafarbeiten, Verminderung der Unterrichts- 
fächer auf das Unentbehrlichste, Beseitigung des 
Nachmittagsunterrichtes sind Forderungen, welche 
von seiten der Arzte bzw. der öffentlichen Gesund- 
heitspflege im Interesse des körperlichen Gedeihens 
der Jugend immer wieder erhoben werden müssen. 
Auch hält man dafür, daß durch Einführung der 
senkrechten (Steil-) Schrift an Stelle der schrägen 
(Kurrent-) Schrift die fehlerhaften Körperhal- 
tungen, welche zu Wirbelsäulenverkrümmung und 
zur Kurzsichtigkeit führen, größtenteils vermeid- 
bar seien. 
  
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