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häuser, Waisenhäuser, Versorgungsanstalten). Nicht
an letzter Stelle ist für die Hebung des öffentlichen
Gesundheitszustandes einer Stadt die Bekämpfung
des Alkoholmißbrauches von Bedeutung. Hier kön-
nen Enthaltsamkeitsbruderschaften und Mäßig-
keitsvereine großen Nutzen stiften. Durch orts-
statutarische Bestimmung, welche die Zahl der zu
erteilenden Wirtschaftskonzessionen und ihre Ent-
ziehung beim Ubertreten der an die Konzession ge-
knüpften Bedingungen ausspricht, Besteuerung der
Tingeltangel usw. kann die Stadtverwaltung die
Bestrebungen der Vereine sehr unterstützen, ebenso
durch Errichtung oder Förderung von Trinker-
asylen.
Wenn# auch die tiefere Ursache krankhafter Stö-
rungen bei der heranwachsenden Jugend in der
körperlichen Organisation, d. h. in gewissen an-
geerbten oder in den ersten Lebensjahren durch
zweckwidrige Pflege oder Krankheiten erworbenen
Schwächezuständen der Knochen, Muskeln, Nerven,
einzelner Sinnesorgane usw. gesucht werden muß,
so kann doch anderseits nicht verkannt werden, daß
der Besuch der Schule bei zahlreichen Kindern
den Ausbruch von Krankheiten beschleunigt. Un-
gemein verbreitet ist die Anlage zu Rachitis,
Skrofulose, Katarrhen und entzündlichen Zu-
ständen in den Atmungswegen. Nur die kleine
Minderzahl der Kinder kommt absolut gesund zur
Welt bzw. zur Schule. Die große Mehrzahl ist
mit irgend einem Gebrechen oder einer Schwäche
behaftet, welche in der Schule durch den Mangel
an frischer Luft, Bewegung und Freiheit, durch
die gezwungene, vornübergebeugte Haltung und
Überanstrengung der Sinne, besonders der Augen,
vorzeitig und in unnötig erheblichem Grade ent-
wickelt werden. Unbestritten gilt dies für die
Kurzsichtigkeit und den Schiefwuchs (Skoliosis
und Lordofis). Doch auch allerhand Ernährungs-
störungen, Blutarmut, Verdauungsschwäche, Er-
schlaffung der geistigen Regsamkeit, Nervosität
u. a. m. werden offenkundig durch die Schule ge-
fördert. Ferner werden ansteckende äußere und
innere Krankheiten durch das nahe Beisammen-
sein der Kinder in der Schule ungemein oft ver-
breitet.
Vor allem muß das Schullokal selbst auf gutem
Untergrunde gebaut, sonnig und trocken gelegen
und hinreichend geräumig sein. Die Gänge und
Treppen sollen breit und die Schulsäle derart
angeordnet sein, daß das Licht durch möglichst
hohe und tiefreichende Fenster entweder von links
her oder noch besser von beiden Seiten einfällt.
Direktes Sonnenlicht ist abzublenden. Die Größe
des Raumes soll so bemessen werden, daß auf
jedes Kind 4—5, im Minimum jedoch 3 chm
Luftraum entfallen. Da nun die größten Säle,
welche den in den letzten Reihen sitzenden Schülern
noch auf die Tafel zu sehen gestatten und dem
Lehrer noch einen guten Überblick gewähren, nicht
über 10 m Länge und 7m Breite haben dürfen,
so reichen dieselben bei der üblichen Höhe für höch-
Gesundheitspflege ufw.
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stens 60 Schüler aus (in Preußen werden, was
entschieden zu viel ist, 80 Schüler zugelassen) und
bei höheren Schulen für 40—50. Vorkehr für
Ablage der Kleider, Schirme usw. darf nicht im
Schulsaale selbst, sondern muß in einem besondern
Vorraume oder auf den Gängen getroffen werden.
Wenn Ofen zur Heizung benutzt werden, so soll
man Füllöfen benutzen und ihr Glühendwerden
verhindern. Die Ofen müssen in derartigem Ab-
stande von den Bänken angebracht werden, daß
die strahlende Hitze die Kinder der nächststehenden
Bänke nicht trifft. Für größere Schulen ist in-
dessen Zentralheizung (Niederdruckdampfheizung)
und künstliche Ventilation mit Vorerwärmung der
Luft empfehlenswert. Andernfalls muß die natür-
liche Ventilation durch Offnen aller Türen und
Fenster möglichst oft und ausgiebig, namentlich
auch während der Unterrichtspausen, benutzt werden.
Die Sitzpulte sollen den verschiedenen Größen der
Kinder entsprechen und sowohl die gerade Haltung
während des Schreibens als die bequeme Auflage
des Heftes und der Vorderarme gestatten. Bei ihrer
Konstruktion sind die Bankhöhe, die Differenz der
Tischplatten= und Bankhöhe, die Distanz des Tisches
von der Bank und die Rückenlehne, als deren beste
die Kreuzlehne gilt, gesondert zu berücksichtigen.
Die Aborte dürfen, von Klosetteinrichtungen ab-
gesehen, nicht im Schulgebäude selbst liegen; für
Spielplätze und frisches, gutes Trinkwasser, für
Reinhaltung der Gänge, Treppen und Säle durch
tägliches, sorgsames Wegschaffen des Staubes usw.
ist genügende Vorkehr zu treffen.
Besondere Aufmerksamkeit ist auf das Schreib-
gerät, auf Tafel und Hefte, guten Druck und gutes
Papier der Schulbücher zu verwenden. Jegliche
Überbürdung und UÜberanstrengung, d. h. Reizung
des kindlichen Gehirns, ist vom ÜUbel. Das Ge-
dächtnis wird durch Auswendiglernen über ein
bestimmtes, bei den einzelnen Kindern oft sehr
verschiedenes mittleres Maß hinaus nicht gestärkt,
sondern geschwächt; wesentlich für die Pflege des
Gedächtnisses ist die Anregung des Interesses für
den Unterrichtsgegenstand seitens des Lehrers.
Vermeidung der körperlichen Züchtigung oder Ein-
schränkung derselben auf besonders schwere Ver-
gehen und unbedingtes Vermeiden des Schlagens
auf den Kopf (Ohren), Turn= und Bewegungs-
spiele, häufiges Baden (Brausebäder im Schul-
gebäude), Beschränkung der häuslichen Aufgaben
und Strafarbeiten, Verminderung der Unterrichts-
fächer auf das Unentbehrlichste, Beseitigung des
Nachmittagsunterrichtes sind Forderungen, welche
von seiten der Arzte bzw. der öffentlichen Gesund-
heitspflege im Interesse des körperlichen Gedeihens
der Jugend immer wieder erhoben werden müssen.
Auch hält man dafür, daß durch Einführung der
senkrechten (Steil-) Schrift an Stelle der schrägen
(Kurrent-) Schrift die fehlerhaften Körperhal-
tungen, welche zu Wirbelsäulenverkrümmung und
zur Kurzsichtigkeit führen, größtenteils vermeid-
bar seien.
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