Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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der Provinzialregierung, die Oberpräsidenten, 
haben das Recht der Konzessionserteilung für An- 
lage neuer Apotheken; sie können Sanitätsmaß- 
regeln für die ganze Provinz oder einzelne Bezirke 
anordnen, sie leiten die Medizinalkollegien der 
Provinzen, deren eines am Sitzjeder Provinzial- 
regierung ist und aus drei Mitgliedern, drei Asses- 
soren und zwei Vertretern der Arztekammer besteht. 
Die Kollegien haben Gutachten über gerichtlich- 
medizinische Fälle abzugeben, allgemeine Heilungs-, 
Verhaltungs= und Sicherungsmaßregeln bei aus- 
brechenden Seuchen und für das Medizinalwesen 
wichtige technische Gegenstände zu prüfen und 
endlich periodische Berichte abzustatten. Der an 
der Spitze eines jeden Regierungsbezirkes stehende 
Präsident hat die Armen= und Krankenpflege bzw. 
die denselben dienenden Anstalten sowie die ganze 
Medizinal= und Sanitätspolizei zu überwachen. 
Die Bearbeitung der medizinal= und sanitätspoli- 
zeilichen Sachen liegt dem ihm zu diesem Zwecke 
beigegebenen Regierungs= und Medizinalrate ob. 
Dieser muß die Medizinalanstalten des Bezirks von 
Zeit zu Zeit revidieren und hat Generalberichte 
über das Sanitätswesen des Bezirks zu erstatten. 
Zu staatlichen Gesundheitsbeamten des Kreises 
wurde durch das Gesetz vom 16. Sept. 1899 der 
„Kreisarzt“ (eventuell mit einem oder mehreren 
Assistenten) an Stelle des „Kreisphysikus“ und 
des „Kreiswundarztes“ gesetzt. Er erhielt eine 
seinem Vorgänger gegenüber erweiterte Tätig- 
keitssphäre und Machtbefugnis, ein festes Dienst- 
einkommen (Privatpraxis mit Ausnahme von 
Konsultationen ist ihm untersagt) und ist pensions- 
berechtigt. In Stadtkreisen kann der als Kom- 
munalbeamte angestellte Stadtarzt vom Medizinal- 
minister mit der Wahrnehmung der Obliegenheiten 
des Kreisarztes betraut werden. Ferner wurden die 
auf Grund des Sanitätsregulativs vom 3. Aug. 
1835 früher gewählten Sanitätskommissionen in 
Städten von mehr als 5000 Einwohnern als Ge- 
sundheitskommissionen gesetzlich festgelegt. In den- 
selben hat der Kreisarzt, der auch ihre Zusammen- 
berufung verlangen kann, beratende Stimme und 
muß jederzeit gehört werden. Dem Landrat und 
den Polizeibehörden verbleiben die ihnen auf 
Grund des alten Regulativs zustehenden Befug- 
nisse. Mit diesem Gesetz, dessen Ausführung noch 
dazu verschleppt wird. sind die Hoffnungen auf 
die so notwendige gründliche Medizinalreform in 
Preußen für lange Zeit gescheitert, nachdem es 
1897 geschienen hatte, daß dieselbe auf Grund 
der vom Medizinalministerium ausgearbeiteten 
ausführlichen Denkschrift einer glücklichen Lösung 
entgegengeführt werden sollte. Auch die Selbst- 
verwaltungskörper der Provinzen, die Provinzial- 
verbände, sind bei der öffentlichen Gesundheits- 
pflege beteiligt, weil ihnen außer den Landarmen- 
und Korrigendenanstalten die Anstalten für Irre, 
Taubstumme,. Blinde und Idioten und die He- 
bammeninstitute unterstehen und nach § 82 des 
Zuständigkeitsgesetzes vom 26. Juli 1876 über die 
  
Gesundheitspflege usw. 
  
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zwangsweise Einführung sanitätspolizeilicher Ein- 
richtungen der Kreisausschuß (für Landgemeinden), 
der Bezirksrat (für die Stadtgemeinden der Land- 
kreise) und der Provinzialrat (für die Stadtkreise) 
entscheidet. Durch das Gesetz über die „außer- 
ordentliche Armenlast“ vom 11. Juli 1891 wer- 
den den Gemeinden bestimmte Zweige der Armen- 
pflege, nämlich die Fürsorge für die Irren, Idioten, 
Epileptiker, Taubstummen und Blinden, soweit 
diese der „Anstaltspflege bedürftig sind“, entzogen 
und den Landarmenverbänden übertragen, wodurch 
die Gemeinden bzw. die Ortsarmenverbände finan- 
ziell sehr entlastet werden, da sie nur ein Sechstel 
der entstehenden Kosten zu tragen haben. Es 
würde dann endlich in Bezug auf die Organisation 
des Sanitätswesens in Preußen noch die staat- 
lich anerkannte Standesvertretung der Arzte, die 
Arztekammern, zu erwähnen sein, welche 
durch königliche Verordnung vom 25. Mai 1887 
eingeführt sind, eine für jede Provinz (mit Nach- 
trag vom 23. Jan. 1899). Zu ihrem Geschäfts- 
kreis gehört die Erörterung aller Fragen und An- 
gelegenheiten, welche den ärztlichen Beruf oder das 
Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege be- 
treffen oder auf Wahrnehmung und Vertretung 
ärztlicher Standesinteressen gerichtet sind. Vertreter 
derselben sind zu den Sitzungen der Medizinal- 
kollegien und der wissenschaftlichen Deputation für 
das Medizinalwesen mit beratender Stimme zu- 
zuziehen; sie tagen am Amtssitze des Oberpräsi- 
denten. Die Arztekammern haben durch „Gesetz be- 
treffend dieärztlichen Ehrengerichte, das Umlagerecht 
und die Kassen der Arztekammern“ vom 25. Nov. 
1899 eine wichtige Erweiterung ihrer bis dahin 
vorwiegend nur konsultativ und anregend wirk- 
samen Befugnisse erlangt. Nach diesem Gesetz soll 
für den Bezirk einer jeden Arztekammer ein ärzt- 
liches Ehrengericht, für den Umfang der Monarchie 
ein ärztlicher Ehrengerichtshof gebildet werden. 
In zahlreichen Bestimmungen wird das ehren- 
gerichtliche Verfahren festgesetzt und schließlich das 
Umlagerecht und die Errichtung einer Kasse für 
jede Arztekammer bestimmt. Letztere soll auch als 
Hilfskasse für notleidende Arzte und deren Hinter- 
bliebene entwickelt werden. 
In Preußen beruht die gesetzliche Befugnis der 
Polizeibehörde zu Anordnungen im Gebiete der 
Sanitätspolizei auf dem Allgemeinen Land- 
recht (TI II, Tit. 17, 8 10). Hierauf basiert das Ge- 
setz über die Polizeiverwaltung vom 11. Mai 1850. 
Infolgedessen können die Regierungen die Anzeige- 
pflicht der Arzte und Hausvorstände für gewisse 
Krankheiten bestimmen und andere sanitäre An- 
ordnungen erlassen. Im übrigen sind die sanitäts- 
polizeilichen Vorschriften (Regulativ) bei anstecken- 
den Krankheiten, bestätigt durch Allerhöchste Order 
vom 8. Aug. 1835, mit Gesetzeskraft maßgebend. 
Das Regulativ bestimmt die Bildung von Sani- 
tätskommissionen und die allgemeine Anzeigepflicht 
der Familienhäupter, Haus= und Gastwirte und 
Medizinalpersonen betreffs wichtiger ansteckender
	        
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